In seinem Gastkommentar kritisiert der Autor und Unternehmer Heinrich Breidenbach Kanzler Karl Nehammer, der in seiner Rede zur Zukunft der Nation den Begriff "Leistung" lediglich in Zusammenhang mit Drohungen verwendete. Breidenbach findet, dass "die 'bürgerliche' Politik" für die Honorierung "realer Leistungen kein Garant (mehr)" sei.

Über welche Leistung reden wir eigentlich?
Fotos: Getty Images, Montage: Standard

Ja! Arbeit und "Leistung" müssen geschätzt und gefördert werden. Ja! "Leistung" muss sich lohnen. Ja! Menschen, die hart arbeiten, sollen materiell besser leben als andere, die freiwillig weniger oder gar nicht arbeiten.

Aber nein! Das schöne Wort darf nicht nur bei Bedarf in den Mund genommen werden, wenn es als Drohung gegen Niedrigverdienende und Arme oder als Rechtfertigung für Einkommensunterschiede und Vermögensungleichheiten dienen soll, für Unterschiede, die mit keiner "Leistung" zu rechtfertigen oder zu begründen sind. Das ist etwa der Fall, wenn die Vorstandsvorsitzenden börsennotierter österreichischer Unternehmen mit dem 5. Jänner 2023 so viel verdient haben wie durchschnittliche Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nach dem ganzen langen Arbeitsjahr.

Reale Tugenden

Es geht bei Einkommen und Verteilung leider immer weniger um "Leistung". Wenn die Tätigkeit von Vorstandsvorsitzenden achtzig Mal höher bewertet wird als zum Beispiel Krankenpflege, ist dies mit "Leistung" oder "Verantwortung" weder zu erklären noch zu rechtfertigen. Es ist ausschließlich eine Machtfrage, wie Leistung oder angebliche Leistung materiell bewertet wird.

Natürlich gibt es Leistung wirklich. Bei Akkordarbeit kann sie exakt gemessen werden, bis das dann früher oder später im Krankenstand oder in der Pension endet. Aber Fleiß, Pünktlichkeit, Pflichtbewusstsein, Bildungsbereitschaft, nicht immer auf die Uhr schauen, den Zahn am Freitag statt am Montag ziehen lassen sind reale Tugenden und reale Leistung.

Die Chance aufs Eigenheim

Die "bürgerliche" Politik in ihrer Gesamtheit ist allerdings für die Honorierung solch realer Leistungen kein Garant (mehr). Ein Beispiel dafür wäre, dass auch für sehr fleißige Menschen ohne Erbschaften das Wohnen zum Wohlstandsräuber Nummer eins geworden ist. Es ist so, wie es Hans Strasser, der ÖVP-Bürgermeister der Salzburger Gemeinde Eugendorf, nach 34 Jahren im Amt kürzlich in den Salzburger Nachrichten (14. 3. 2023) beklagte: "Als ich angefangen habe, da haben die Jungen noch eine Chance gesehen, dass sie sich das Eigenheim leisten können. Dass das nicht mehr so ist, macht mir Sorgen."

"So werden Arbeit und 'Leistung' systematisch entwertet."

Die Gesellschaft hätte die Wahl. Unterstützt sie, dass Menschen von Leistung und Arbeit gut leben oder leistungslos von Vermögen, Erbschaften und der Preissteigerung von Immobilien. "So viel habe ich mir in meinem ganzen Leben nicht erarbeitet, wie das Haus, das meine Eltern vor sechzig Jahren gebaut haben, im Wert gestiegen ist." Das hört man in Immobiliengunstlagen oft. So werden Arbeit und "Leistung" systematisch entwertet. Nur die Besteuerung von Vermögen und Erbschaften könnte diese verzerrten leistungsfeindlichen Verhältnisse wieder geraderücken. Wer aber ist dagegen?

Eine alte angeblich "bürgerliche" Klientelpolitik ist hauptverantwortlich dafür, dass unsere Städte und Landschaften in den letzten Jahrzehnten einer hemmungslos preistreibenden Spekulation geopfert wurden. Sie blockiert jede ökologische und soziale Raumordnung, sie schützt den Mietwucher, sie duldet zehntausende Leerstände am Wohnungsmarkt, sie betreibt eine flächenfressende gewerbliche und private Bauweise, sie feiert Orgien an hässlichen Chalets und Zweitwohnungen in den Tourismusgemeinden und vieles mehr. Dies mit allen Folgen für die wirklichen Leistungsträgerinnen und Leistungsträger, die ihnen angeblich am Herzen liegen. Bei den Diskursen über diese Missstände wird das schöne Wort "Leistung" dann allerdings verschämt hintangehalten. Dann kommen "Eigentum" und "Freiheit" zum Zug.

Wortkeule gegen Arme

Bundeskanzler Karl Nehammer hat in seiner "Rede zur Zukunft der Nation" den Begriff "Leistung" ausschließlich nach unten, als Wortkeule gegen Arme, Arbeitslose sowie Bezieherinnen und Bezieher von Sozialleistungen verwendet. Es würden Verhältnisse drohen, bei denen die einen nur mehr "work", die anderen nur mehr "life" hätten. Es brauche daher das "Grundprinzip, dass Leistung sich lohnen muss". Darunter, "dass die Schere wieder größer wird, zwischen dem Einkommen aus Arbeit und dem Beziehen von Sozialleistungen". Mit der Forderung nach einer Senkung des Arbeitslosengeldes bei fortschreitender Dauer der Arbeitslosigkeit macht Nehammer klar, wie er sich die Vergrößerung der genannten "Schere" vorstellt. Nicht durch eine Besserstellung der Leistenden, sondern durch eine Schlechterstellung der Beziehenden von Sozialleistungen.

Blick nach oben

Keine Frage. Den Missbrauch sozialer Leistungen gibt es, berechnende oder resignative Leistungsverweigerung ebenfalls. Die Gesellschaft darf darauf pochen, dass jede und jeder nach seinen oder ihren Kräften zu ihrem Wohl beiträgt.

Aber ohne den Blick nach oben bleiben die Drohungen nach unten einseitig und letztlich nur Ideologie. Reichen die Ideen und Taten von Wirtschaft, Industrie, öffentlicher Hand als Arbeitgeber, Bildungs-, Gesundheits-, Wirtschafts- oder Tourismuspolitik für ein gutes, gesundes und erfüllendes Arbeitsleben aus? Sorgt die Politik dafür, dass Leistung sich wirklich lohnt? Kann mehr für die Leistungsfähigkeit und Leistungsbereitschaft der Menschen getan werden? Das wären Fragen. Diese "Leistungen" fordert Nehammer nicht ein. Er liefert sie auch nicht. Das ist seine Schieflage. (Heinrich Breidenbach, 16.3.2023)