Die Zeit der verdeckten Aktionen ist vorbei: In den nächsten Wochen findet das Duell zwischen Rendi-Wagner und Doskozil im Rampenlicht statt.
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Programm: Seit der Pandemie fehlt Unverwechselbares

Von der Preisregulierung bis zur kräftigen Pensionserhöhung, von der Stärkung des öffentlichen Gesundheitssystems bis zum Ausbau der Kinderbetreuung: Als Oppositionsführerin vertritt Pamela Rendi-Wagner alles Mögliche, wogegen waschechte Sozialdemokraten kaum etwas haben können. Doch wofür steht die 51-Jährige, von einer urban-liberalen Anmutung abgesehen, persönlich? In der heißen Corona-Phase stach die aus ihrer Überzeugung als Ärztin resultierende restriktive Haltung ins Auge. Doch das ist nichts, womit eine Partei werben will.

Darüber hinaus, monieren ihre Kritiker, habe PRW in ihren viereinhalb Jahren an der Spitze wenig Profil entwickelt. Der einstigen Generaldirektorin für öffentliche Gesundheit fehle der politische Kompass, der sie durchs Tagesgeschäft leite – mit Unentschlossenheit und mitunter langer Reaktionszeit als Folge. Selbst aufgelegten Forderungen gingen mühselige Debatten voraus, ist aus der Partei zu vernehmen, etwa dem Ruf nach einer Abschöpfung der Übergewinne von Energiekonzernen. Rendi-Wagner wolle es eben allen – in dem Fall auch den Unternehmen – recht machen.

Team: Führen im kleinen Kreis

Rendi-Wagners Team? Welches Team, werden böse Zungen in der SPÖ fragen. Rendi-Wagner hat sich nicht den Ruf erworben, viele Mitstreiter in ihre Führungsarbeit einzubinden. Immer wieder gab es Klagen über fehlende Kommunikation. Die Bereichssprecher im Parlament spielen eine geringere Rolle, als man es in einer Oppositionspartei erwarten würde. Eine Art Schattenkabinett ministrabler Persönlichkeiten, die eine sozialdemokratisch geführte Regierung stellen könnten, ist nicht zu erkennen.

Meist ist es Klubchef Jörg Leichtfried, der die Chefin im alltäglichen Geschäft vertritt. Ein anderer enger Vertrauter zieht nicht erst seit Rendi-Wagners Zeit viel Unmut auf sich: Bundesgeschäftsführer Christian Deutsch war einst auch Adlatus des 2017 in einer innerparteilichen Revolte ausgehebelten Kanzlers und SP-Chefs Werner Faymann. Ob der Parteimanager bleiben kann, ist deshalb fraglich. Geht Rendi-Wagner ohne Versprechen der (personellen) Erneuerung in das Match mit Doskozil, wäre das – gelinde gesagt – kühn.

Lager: Wien und schweigende Mehrheit als Hoffnung

Auf dem Papier sieht die Lage glasklar aus: Michael Ludwig, Chef der großen Wiener Landespartei, hat sich mehrfach für Rendi-Wagner ausgesprochen – erst am Dienstag wieder mit Bussis garniert. Doch wie viel ist der Zuspruch wert? Selbst wenn Ludwig weiterhin wirbt: So viel demokratisches Selbstbewusstsein hat in die SPÖ Einzug gehalten, dass das Parteivolk in einer geheimen Wahl nicht sklavisch der Vorgabe von oben folgen muss. Das Gleiche gilt, vielleicht in geringerem Maß, für die für einen Parteitag delegierten Funktionäre. Und Fakt ist: Nach Rendi-kritischen Stimmen muss man auch in den Wiener Reihen nicht lange suchen.

Ein anderer roter Koloss, der bisher als stützende Kraft Rendi-Wagners galt, ist die Gewerkschaft. Doch auch hier ist die Stimmung gemischt: Einerseits stoßen Doskozils Pläne, etwa für einen gesetzlichen statt per Kollektivvertrag ausgehandelten Mindestlohn, auf Einspruch, andererseits fehlt Vertrauen in die Amtsinhaberin.

Was ihre Fürsprecher schon bisher beschworen haben: Die Kritiker seien zwar laut – doch die schweigende Mehrheit stehe hinter Rendi-Wagner.

Persönlichkeit: In der Wissenschaft groß geworden

Die Wissenschafterin, die urbane, bürgerliche, linksliberale Pamela Rendi-Wagner kommt, wie auch ihr Widerpart Hans Peter Doskozil, aus einfachen Verhältnissen. Ihre Karrierewege verlaufen jedoch völlig unterschiedlich. Rendi-Wagner schließt ihr Medizinstudium an der Universität Wien ab, danach folgt ein postgraduales Studium an der University of London. Sie habilitiert an der Universität in Wien, forscht zu Impfprävention und Tropenmedizin, arbeitet auch als Gastprofessorin an der Universität von Tel Aviv. Wieder zurück in Wien, wird sie Sektionsleiterin im Gesundheitsministerium, dann Gesundheitsministerin.

Dass Rendi-Wagner in ihrer internationalen Karriere immer Teams führen musste, deren Mitglieder unabhängige Wissenschafter und Wissenschafterinnen waren, verlange "einen partizipativen Führungsstil", befindet der Psychoanalytiker und Mentalcoach Alois Kogler: "Mit Befehlen wird man in diesen Kreisen nicht erfolgreich sein." Was die aktuelle SPÖ-Chefin mit ihrem Herausforderer verbinde: "Sie sind hartnäckig, beide Kämpfer, beide Führungspersönlichkeiten."

Zielgruppe: Strahlkraft im linksliberalen Publikum

Pamela Rendi-Wagner steht für weltoffene, urbane Schichten, die in etwa ein Viertel der Bevölkerung ausmachen. Ihr Potenzial konzentriert sich im Wesentlichen auf das linksliberale Spektrum der Gesellschaft. Die SPÖ-Vorsitzende strahle auch in die sozial orientierte Stadtbevölkerung aus, die nicht unbedingt mit dem linksliberalen Segment sympathisiert, sagt Wahlforscher Günther Ogris vom Sora-Institut, und natürlich finde sie auch hohe Resonanz bei Frauen, vor allem bei jenen im Dienstleistungssektor. In Summe sei ihr Wählerpotenzial durchaus groß, die entscheidende Frage werde sein, "ob sie dieses auch mobilisieren kann".

Nicht klar abzuschätzen sei das Verhalten der Pensionistinnen und Pensionisten, sagt Ogris: Diese Bevölkerungsgruppe sei für beide, Rendi-Wagner wie Doskozil, noch eine Herausforderung.

Peter Hajek, ein anderer Demoskop, sieht die SP-Chefin in einem Punkt im Nachteil: 60 bis 70 Prozent der Bevölkerung verorten sich politisch Mitte bis Mitte rechts. Während Doskozil auch in dieses Lager hineinwirke, habe Rendi-Wagner hier erhebliche Defizite.

Programm: Sozialismus mit ländlichem Antlitz

Ein Hardliner in der Asyl- und Ausländerfrage: Dieses Bild Hans Peter Doskozils hat sich ins allgemeine Gedächtnis eingebrannt. Und tatsächlich gibt es einen Unterschied zur Linie der Bundes-SPÖ, der sich allerdings eher im Atmosphärischen als im Faktischen zeigt: Die Burgenländer halten es für einen Fehler, Probleme rund um Zuwanderung und Integration lieber gleich gar nicht anzusprechen.

Die Punze des Rechtsauslegers ärgert Doskozil dennoch – aus nachvollziehbaren Gründen. Denn zu Hause zieht der etatistisch veranlagte Landeshauptmann Projekte durch, die geradezu sozialistisch anmuten. Was der 52-Jährige vom Mindestlohn von nunmehr 2000 Euro netto für Landesbedienstete bis zur Anstellung pflegender Angehöriger umsetzt, ergibt zwar noch keinen Masterplan – aber in Wahlkämpfen lässt sich, wie etwa Sebastian Kurz 2017 mit der angeblichen Schließung der Balkanroute bewies, mit einzelnen Duftmarken schon punkten. Worauf Doskozil stolz ist, schreckt andere in der Partei jedoch ab: Besonders liberale Wiener Sozialdemokraten glauben einen biederen, rückwärtsgewandten Zugang zu erkennen.

Team: Rätselhaftes Schattenkabinett

Dieser Mann soll ein Teamplayer sein? Wer Doskozils Aktionen beobachtet hat, dem können gehörige Zweifel kommen. Der burgenländische Herausforderer störte in den unpassendsten Momenten – etwa vor Wahlen – die innerparteiliche Ruhe, sodass selbst wohlmeinende Genossen destruktiven Egoismus erkannten.

Aus gutem Grund verspricht Doskozil, mit einem "breiten Team" zu kandidieren. Dem Vernehmen nach soll dieses bereits feststehen; verlautbaren will der Frontmann die Besetzung noch nicht.

Es wäre aber keine Überraschung, wenn Max Lercher dabei ist. Als Bundesgeschäftsführer einst von Rendi-Wagner abgesägt, zeigte sich der Steirer von Doskozils Weg angetan. Gehandelt wird auch Christian Kern. Von einem fixen Engagement könne keine Rede sein, sagt der Ex-Kanzler jedoch dem STANDARD: Doskozil werde demnächst wohl ein Wunschteam für ein Schattenkabinett, die Bundesgeschäftsstelle und die Klubleitung im Parlament vorstellen – er selbst komme für all diese Funktionen jedoch nicht infrage.

Lager: Herausforderer mit kleiner Hausmacht

Sein Standing als Landeshauptmann und Medienstar täuscht über die Bedeutung der eigenen Landespartei hinweg: Im Vergleich mit der mitgliederstarken Organisation in Wien sind die burgenländischen Sozialdemokraten von zwergenhafter Gestalt. Als Rückhalt für eine Kampfabstimmung um den Parteivorsitz ist Doskozils Hausmacht also eine vernachlässigbare Größe.

Wie viel Support Doskozil abseits der eigenen Hochburg genießt? Das Vorspiel darf ihm Mut machen: Sein Anliegen, dass die Entscheidung per Mitgliedervotum fallen soll, fand in den Chefetagen der Landesparteien eine Mehrheit. Doch genauso wie bei Rendi-Wagner heißt das noch nicht, dass die Mitglieder und für den Parteitag delegierten Funktionäre deshalb für den Herausforderer votieren werden.

Als Hort der Doskozil-Anhänger gelten parteiintern Salzburg, Niederösterreich und tendenziell auch Salzburg. Kritiker Rendi-Wagners finden sich auch in anderen Ländern, doch Doskozil hat mit seinen Störaktionen ebenfalls Kredit verspielt – und selbst Zweifel an Verlässlichkeit und strategischen Fähigkeiten geschürt.

Persönlichkeit: Sozialisiert in klaren Hierarchien

Hans Peter Doskozil ist wie Pamela Rendi-Wagner nicht in üppigem Wohlstand aufgewachsen. Doskozil erzähle öffentlich aber wenig über seine Eltern und seine Kindheit, hat der Psychotherapeut und Mentalcoach Alois Kogler beobachtet, "außer dass es im Winter immer viel mehr Schnee gab als heutzutage. Sonst weiß man kaum etwas über seine Kindheit." Doskozil wird ebenso wie sein Bruder Polizist, er studiert daneben Jus – samt akademischem Abschluss. Als burgenländischer Polizeidirektor fällt er in der Flüchtlingskrise positiv auf, der Einstieg in die Politik erfolgte gleich als Verteidigungsminister.

Der heutige Landeshauptmann des Burgenlandes lernte bei der Polizei, eine Organisation – der Struktur entsprechend – durchaus autoritär zu führen. "Learning by fear" nennt Kogler dieses Prinzip: "Gehorsam ist das wichtigste Element. Doskozil lebte einen Führungsstil mit klaren Hierarchien und Rollenverteilungen. Man gibt Befehle, und diese werden nicht hinterfragt", sagt Kogler. Mit dem Wechsel in die Politik hat er sein Kommunikationsverhalten entsprechend anpassen müssen.

Zielgruppe: Abtrünnige Wähler rechts der Mitte

Für Peter Hajek vom Public-Opinion-Strategies-Institut ist die Zielgruppe, auf die es Doskozil abseits der roten Kernschichten abgesehen hat, klar umrissen: Wähler und Wählerinnen rechts der Mitte. Dabei gehe es nicht nur um jene, die zur FPÖ abgewandert sind, sondern auch um konservative, schwarze Wählergruppen, denen der Kurs von ÖVP-Chef Karl Nehammer bereits zu rechts ist, ergänzt Günther Ogris vom Sora-Institut. Der Forscher gibt aber zu bedenken, dass das Schielen auf eine rechts orientierte Klientel ins Auge gehen könne. In Niederösterreich habe der ÖVP diese Strategie und das Thematisieren der Asylfrage nichts genützt.

Hajek hatte im November in einer Erhebung für Doskozil wiederum Hinweise geliefert, dass Doskozil bei einer Nationalratswahl um etliche Prozentpunkte besser abschneiden würde als Rendi-Wagner. Und das für ihn Entscheidende: Doskozil würde aus dem "rechten Lager" wesentlich mehr Stimmen holen als er im linken SPÖ-Spektrum zu verlieren droht. Demnach würde die Chance auf eine Mehrheit für eine Ampelkoalition mit Grünen und Neos unter ihm besser stehen als unter Rendi-Wagner. (Gerald John, Walter Müller, 16.3.2023)