Ein Gelber Sack, der in Niederösterreich vor eine Haustüre gestellt wird, hat eine große Chance, Bekanntschaft mit dem Sacköffner von Thomas Mayer zu machen. Die barbarisch anmutende Maschine, ein rotierendes Rad mit Klingen, schlitzt hier sechs Tage die Woche ununterbrochen Müllsäcke auf. Der Sacköffner, so groß wie ein Kleinwagen, ist der erste Schritt von vielen, den eine Wasserflasche, ein Joghurtbecher, eine Katzenfutterdose gehen muss, um wieder eine Wasserflasche, ein Joghurtbecher oder eine Katzenfutterdose zu werden.

Drei Viertel aller in Niederösterreich gesammelten gelben Säcke landen in der Sortieranlage Wölbling.
Foto: Philip Pramer

Doch jetzt klemmt ein weißer Plastikkanister in diesem Portal ins zweite Leben. Thomas Mayer stoppt die Maschine, stößt mit einer Stange gegen den Behälter, der anschließend wieder in dem Strudel aus Plastik und Metall verschwindet.

Mayer leitet die Sortieranlage der Firma Brantner in Wölbling, rund zehn Kilometer nördlich von St. Pölten. 20.000 Tonnen Abfälle oder – wie es Recyclingfirmen lieber hören – Wertstoffe landen hier jährlich, drei Viertel aller Gelben Säcke in Niederösterreich.

Störungen durch Akkus

Sie durchlaufen eine ganze Reihe von Maschinen: Infrarotscanner erkennen PET-Flaschen und schießen sie mit Luftdruck auf das richtige Förderband. Magneten sortieren Eisendosen aus, sogenannte Wirbelstromabscheider andere Metalle wie Aluminium. Doch viel Arbeit erfolgt immer noch manuell. 60 Menschen arbeiten am Standort, viele von ihnen stehen an den Fließbändern und sortieren nach, was die Maschinen nicht schaffen.

Was im Gelben Sack landet, wird häufig händisch nachsortiert. Wie lange noch?
Foto: Philip Pramer

Oder diese stören."Das sind die Lieblinge jeder Sortieranlage", sagt Mayer und deutet mit dem Fuß auf ein Kunststoffband, das sich über mehrere Meter durch die Halle kringelt. So ein Band, auf dem vielleicht einmal doppelseitiges Klebeband haftete, kann die Maschinen außer Gefecht setzen und muss möglichst früh durch Menschenhand aussortiert werden.

Wenn die Maschinerie einmal stoppte, waren früher oft Kassettenbänder verwickelt, sagt Mayer. Heute sind es Akkus, etwa in Smartphones oder Kinderspielzeug, die Probleme machen. Kommt das Lithium mit Sauerstoff in Kontakt, fängt es Feuer, das nur noch schwer zu löschen ist. In Deutschland brannten deswegen allein im letzten Jahr mehrere Sortieranlagen.

Was nicht passt, wird verbrannt

Doch es sind auch Kleinigkeiten, die das System stören. Mayer zeigt auf eine halbvolle Wasserflasche, nach der eine Mitarbeiterin am Fließband gerade greift. "Daran scheitert die Automatik", sagt der Ingenieur. Der Infrarotscanner erkennt sie zwar als PET-Flasche – doch wenn das Luftdruckventil sich eine Drittelsekunde später öffnet, lässt sich das gefüllte Gefäß vom Luftstoß nicht beeindrucken. Auch hier muss ein Mensch eingreifen, damit sie auf dem richtigen Band landet.

Rund 60 Prozent der Plastikverpackungen landen in Wölbling in der "Mehrkunstofffraktion". Sie wird in der Regel verbrannt.
Foto: Philip Pramer

18 verschiedene Wertstoffarten, sogenannte Fraktionen, werden in Wölbling sortiert – PET-Flaschen in verschiedenen Farben, Folien verschiedenster Arten, es gibt eine eigene Fraktion für Kübel und eine für Kanister. Denn nur was möglichst sortenrein sortiert wird, kann später recycelt werden.

Was in keine Kategorie passt oder nicht aussortiert wird, weil die Maschinen zu ungenau arbeiten oder Menschen sie nicht erreichen, landet am Ende in der MKF – der Mischkunststofffraktion. Sie wird in der Regel "thermisch verwertet", sprich: verbrannt. 60 Prozent sind es hier in Wölbling, viel weniger schafft derzeit auch keine andere Sortieranlage in Österreich.

Da geht noch mehr

Das ist zu viel. Die EU gibt vor, dass bis 2025 die Hälfte aller Kunststoffverpackungen recycelt werden müssen, bis 2030 sogar 55 Prozent. Da immer noch viel Plastik im Restmüll landet, kommt Österreich insgesamt nur auf eine Recyclingquote von mageren 25 Prozent. Um die Ziele zu erreichen, braucht es wohl eine kleine Revolution in der Müllsortierung. Doch KI-Systeme, die hunderte verschiedene Arten von Abfall erkennen und mithilfe von Roboterarmen trennen, sind ebenso noch nicht in der Realität angekommen wie Mikroben, die Plastik fressen, oder Verfahren, die Kunststoffe wieder zu Öl machen. Warum ist die Müllsortierung im Jahr 2023 immer noch so manuell?

"Der Mensch ist eigentlich eine gute Sortiermaschine", sagt Roland Pomberger, Leiter des Lehrstuhls Abfallverwertungstechnik und Abfallwirtschaft an der Montanuniversität Leoben. Menschliche Augen und Hände sind derzeit oft noch besser als Kameras und Greifarme. Aber die neuen Sortiertechnologien mit Sensoren und KI-Unterstützung entwickeln sich rasant und werden in Zukunft für immer mehr Abfälle eingesetzt werden.

Vollautomatische Anlage der Zukunft

Doch das ändert sich: In Deutschland gibt es etwa bereits Sortieranlagen, die quasi vollautomatisch laufen. Eine solche entsteht gerade auch in Enns. Dennoch ist solche Technologie noch teuer – und Recycling nicht immer ein lohnendes Geschäft. "Der Abfall geht aber meist den Weg der geringsten Kosten", sagt Pomberger. Oft deckt der Rohstoffwert des Abfalls nicht den Aufwand für Sammlung und Recycling. Viel entscheidender dafür, wie viel recycelt wird, ist daher weniger der technologische Fortschritt als gesetzliche Vorschriften – wie etwa verpflichtende Recyclingquoten.

Nur gut sortierte Wertstoffe – wie hier grüne PET-Flaschen – lassen sich recyclen.
Foto: Philip Pramer

Aber Verpackungen müssen überhaupt erst einmal recyclingfähig sein. Viele unscheinbare Folien, in denen Lebensmittel verpackt sind, bestehen aus mehreren Materialien, die sich kaum mehr trennen lassen – ein Fall für die Verbrennungsanlage. Derzeit gibt es kaum Anreize, stattdessen recycelbare Verpackungen zu verwenden, bemängelt Pomberger.

Und dann muss der Müll natürlich noch den Weg in den richtigen Behälter finden. Viele Verpackungen gehen in der schwarzen Tonne verloren, obwohl schätzungsweise ein Drittel bis die Hälfte des Restmülls in Österreich eigentlich recycelbar wäre. In Vorarlberg, wo besonders emsig getrennt wird, fallen nur 72 Kilogramm Restmüll pro Person und Jahr an, in Wien sind es 280. In anderen Regionen der Welt sieht es mit der Trennmoral freilich noch schlechter aus.

Alles in eine Tonne?

Sophie Tuviahu steht in einem kargen Raum eines Konferenzzentrums. Der Jerusalem Press Club hat Medienleute zu einer Investorenkonferenz nach Israel geladen. Hunderte Start-ups buhlen hier um Risikokapital und Medienaufmerksamkeit. Unter ihnen: UBQ. Das Unternehmen will eine Lösung für die ungeheuerliche Menge an Restmüll gefunden haben, der weltweit produziert wird – auch in Tuviahus Land. "Wir sind nicht besonders gut im Trennen", sagt Tuviahu, Vize-Verkaufschefin von UBQ, fast verlegen. Draußen vor dem Fenster türmen Cateringmitarbeiter Säcke mit Essensresten, Glasflaschen und Kartons zu einem meterhohen Müllberg auf.

UBQ will solchen unsortierten Müll zu Kunststoffgranulat verarbeiten, welches Plastik aus Rohöl ersetzen kann. Der Abfall wird dafür zerkleinert, Glas und Metall aussortiert. Unter hoher Temperatur schmilzt der Plastikanteil, gleichzeitig werden die anderen Bestandteile – Bananenschalen, Windeln, Papier – in ihre chemischen Bausteine zerlegt. Diese sollen die Plastikpartikel zusammenhalten.

ie israelische Firma UBQ will gemischten Haushaltsmüll zu Plastikpellets verarbeiten, aus denen wieder neue Produkte werde können.
Foto: UBQ

Die künstliche Intelligenz kommt

Paletten für Pepsi und Tabletts für McDonald’s wurden bereits aus dem Granulat erzeugt, Autoteile sollen bald folgen. Noch dieses Jahr soll eine Anlage in den Niederlanden eröffnen, die jedes Jahr 80.000 Tonnen UBQ erzeugt. "Es klingt fast zu gut, um wahr zu sein", sagt Tuviahu.

Abfallexperte Pomberger sieht die Restmüllsortierung kritisch, viele Entwicklungen seien noch im Forschungsstadium. In der schwarzen Tonne würden die Stoffe zu stark verschmutzen. Besser sei es, das Trennsystem, das es in Österreich gibt, weiter zu verbessern. Dann würde auch die Sortierung der Altstoffe effizienter werden. Irgendwann werden die Maschinen jedenfalls kommen.

Das ist auch Thomas Mayer von der Sortieranlage Wölbling klar. Auch dort wird künstliche Intelligenz seit kurzem eingesetzt. In seinem Büro zeigt er, wie eine Software mittels einer Kamera ermittelt, ob auf dem Förderband für blaue PET-Flaschen auch wirklich nur solche liegen. Derzeit dient das System zur Qualitätskontrolle – irgendwann könnten damit auch Roboterarme gesteuert werden, die Fremdkörper automatisch aussortieren.

Auf seinem Schreibtisch liegen drei Pralinenpackungen, für die Mitarbeiterinnen, die kürzlich Geburtstag hatten. "Wir kümmern uns hier um die Kollegen", sagt Mayer. Zumindest solange es sie noch gibt. (Philip Pramer, 18.3.2023)