Ein ausgewachsener Giraffenbulle unserer Tage ist eine beeindruckende Erscheinung: eineinhalb Tonnen schwer und bis zu sechs Meter hoch, davon verfallen 2,5 Meter auf den Hals. Und doch verblasst dieses Tier im Schatten seiner schuppigen Analoga der Dinosaurierzeit. In Sachen Halslänge könnte ein internationales Forschungsteam nun einen neuen Rekordhalter identifiziert haben: Mamenchisaurus sinocanadorum war ein wahrer Gigant des Oberjura.

Allein der Hals dieses Sauropoden dürfte mehr als 15 Meter lang gewesen sein. Da bei nahen Verwandten der Hals etwa die Hälfte der Gesamtlänge des Tieres ausmachte, könnte der Dinosaurier bis zu 30 Meter lang gewesen sein. Die Gattung Mamenchisaurus war vor 163 bis 145 Millionen Jahren hauptsächlich in Südostasien verbreitet, alle ihre Mitglieder zeichnen sich durch außerordentlich lange Hälse aus.

Mitglieder der Sauropodengattung Mamenchisaurus waren imposante Erscheinungen.
Illustr.: Stony Brook University/Júlia d’Oliveira

Seltene Fossilien

Welches davon tatsächlich den längsten Hals hatte, ist nicht einfach zu beantworten. Aufgrund ihrer Ausmaße gehören Fossilien der größten Sauropoden auch zu den seltensten. Während kleinere Gebeine schneller unter Sedimenten verschwinden können, bleiben größere Knochen länger den Elementen ausgesetzt. Einige fragmentarische Fossilien deuten allerdings darauf hin, dass verschiedene Sauropodengruppen unabhängig voneinander Hälse von über zehn Metern Länge entwickelt haben.

"Aufgrund des schlechten Erhaltungszustands dieser Exemplare und ihrer nächsten Verwandten sind Schätzungen ihrer Halslänge natürlich spekulativ", meinte Andrew Moore von der Stony Brook University (New York). Der Paläontologe hat es gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen dennoch gewagt und im "Journal of Systematic Palaeontology" einen Rekonstruktionsversuch unternommen.

Auferstanden aus wenigen Resten

Das einzige bekannte Exemplar von Mamenchisaurus sinocanadorum wurde 1987 in der Shishugou-Formation in Nordwestchina entdeckt und 1993 beschrieben. Die fossilen Funde bestehen aus vier Wirbeln, einem gut erhaltenen Unterkiefer sowie weiterem Schädelmaterial. Auf der Grundlage dieser Fossilien und Vergleichen mit anderen, besser erhaltenen Spezies der gleichen Gattung konnten die Autorinnen und Autoren den evolutionären Werdegang und seine anatomische Entwicklung von M. sinocanadorum rekonstruieren.

"Die Mamenchisauriden sind bedeutend, weil sich in dieser Gruppe die Grenzen für Halslängen deutlich verschoben haben", erklärte Moore. "Aber mit einem 15 Meter langen Hals könnte Mamenchisaurus sinocanadorum zumindest vorerst der Rekordhalter sein." Das Team vermutet, dass es dort draußen noch größere Exemplare zu entdecken gibt: "Solange wir nicht annehmen, dass wir zufällig den größten Sauropoden entdeckt haben, den es je gab, sollten wir immer davon ausgehen, dass es noch größere Tiere gab", sagte Moore.

Außer diesem Unterkiefer, einigen Schädelfragmenten und vier Wirbelknochen ist von Mamenchisaurus sinocanadorum nicht viel erhalten geblieben.
Foto: Natural History Museum/Paul Barrett

Luft in den Wirbeln

Wie es den Sauropoden gelang, so lange Hälse und massige Körper zu entwickeln, ohne unter ihrem eigenen Gewicht zusammenzubrechen, bleibt ein biomechanisches Rätsel. Doch außerordentliche Vertreter wie Mamenchisaurus sinocanadorum könnten einige Anhaltspunkte liefern: Mithilfe von computertomografischen Scans fanden die Forschenden heraus, dass die Wirbel von M. sinocanadorum große Luftkammern enthielten, die 69 bis 77 Prozent des Wirbelvolumens einnehmen.

Leichte Knochen würde erheblich zur Gewichtsreduktion beitragen, aber sie machen auch anfälliger für Verletzungen. Um dem entgegenzuwirken, besaß Mamenchisaurus sinocanadorum vier Meter lange Halsrippen, knöcherne Verlängerungen der Wirbel, die gebündelt beide Seiten des Halses schützten und für zusätzliche Versteifung und Stabilität sorgten.

Kopf in den Kronen

"Biomechanische Untersuchungen des Mamenchisauriden-Halses deuten darauf hin, dass er nur in einem relativ flachen Winkel von 20 bis 30 Grad über die Horizontale angehoben war", sagte Paul Upchurch vom University College London, Koautor der Studie. Aber selbst bei diesem relativ flachen Winkel würde sich der Kopf des Dinosauriers durch die extreme Länge des Halses 7,5 bis zehn Meter über dem Boden befinden – genug, um gut an die Blätter hoher Baumkronen zu gelangen. (tberg, 16.3.2023)