Soll die EZB in einer aufkochenden Bankenkrise wegen der hohen Inflation die Zinsen erhöhen?

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Eigentlich hätte die Zinssitzung der Europäische Zentralbank (EZB) am Donnerstag eine Formsache werden sollen. Schließlich hatte sich die Führungsriege der Notenbank um Chefin Christine Lagarde ungewöhnlich weit aus dem Fenster gelehnt, als sie beim vorherigen Zinsschritt im Februar um einen halben Prozentpunkt für März einen weiteren im selben Ausmaß in Aussicht gestellt hatte. Allerdings musste am Mittwoch die ins Trudeln geratene Schweizer Großbank Credit Suisse bei der Schweizer Notenbank um Hilfe ansuchen, die in Form eines bis zu 50 Milliarden Schweizer Franken schweren Kredits auch gewährt wurde.

VIDEO: Den Bankensektor des Euroraums bezeichnete die EZB-Präsidentin als "widerstandsfähig."
DER STANDARD

Dadurch wurde der vermeintliche Befreiungsschlag im Zuge der Inflationsbekämpfung für die EZB wegen der aufgeflammten Krise im Bankensektor zur Zwickmühle. Denn die hartnäckig hohe Inflation in der Eurozone, mit 8,5 Prozent im Februar meilenweit über dem zweiprozentigen Zielwert der EZB, spricht für den angekündigten Zinsschritt. Aber will Lagarde in so einer angespannten Lage dem Finanzsystem weiteren Stress zumuten?

Sechster Zinsschritt seit Juni

Die EZB-Chefin wagte es trotzdem. Der Leitzins wird um einen halben Prozentpunkt auf nunmehr 3,5 Prozent angehoben. Der Zinssatz bei Bankeinlagen bei der Notenbank steigt im selben Ausmaß auf 3,0 Prozent. "Die Inflation ist viel zu hoch für ein zu lange Zeit", betonte Lagarde in einer Pressekonferenz am Donnerstagnachmittag. Es ist der sechste Zinsschritt der Notenbank seit sie im Juli des Vorjahres ihre jahrelange Null- und Negativzinspolitik aufgegeben hat.

"Dies steht im Einklang mit der Entschlossenheit, eine zeitnahe Rückkehr der Inflation auf das mittelfristige Zwei-Prozent-Ziel sicherzustellen", sagte Lagarde. Die erhöhte Unsicherheit verdeutliche, wie wichtig ein datengestützter Ansatz bei den Leitzinsbeschlüssen sei. Der EZB-Rat beobachte die aktuellen Marktspannungen genau und sei bereit, "so zu reagieren, wie erforderlich, um Preis- und Finanzstabilität im Euroraum zu wahren." Dabei stellte Lagarde klar, dass man keinen Zielkonflikt zwischen beiden Zielen sehe. Inflation werde durch Zinsanhebungen bekämpft, zur Sicherung der Finanzmarktstabilität gebe es andere Maßnahmen.

Im Gegensatz zur letzten Zinssitzung blieb Lagarde diesmal dennoch einen konkreten Ausblick auf die weitere Zinsentwicklung schuldig. Darauf angesprochen, erklärte sie, dass durch die jüngsten Spannungen im Bankensektor sich die Unsicherheit deutlich erhöht habe. "Es ist derzeit nicht möglich, einen Ausblick auf den Zinspfad zu geben", sagte die Notenbankchefin. Die weitere Zinsentwicklung werde von den volkswirtschaftlichen Daten abhängen.

"Dies ist eine wichtige Änderung, die die Möglichkeit eröffnet, dass diese Zinserhöhung die letzte sein könnte – zumindest für die absehbare Zukunft", sagte Katharine Neiss, Chefökonomin beim Vermögensverwalter PGIM Fixed Income, in einer ersten Reaktion über den ausgebliebenen Zinsausblick.

Geringere Inflationsprognose

Dem Ziel der Preisstabilität dürfte die Notenbank schon insofern näher gekommen sein, da sie am Donnerstag auch ihre Inflationserwartungen senkte. Demnach soll die Teuerung im Euroraum heuer 5,3 Prozent betragen, das ist ein Prozentpunkt weniger als zuletzt prognostiziert. Für das Jahr 2024 erwartet die EZB nun 2,9 Prozent nach zuvor 3,4 Prozent. Lagarde begründete diese Verringerung damit, dass von den Energiepreisen nun weniger Inflationsdruck ausgehe als zuvor erwartet.

Ursprünglich aufgekocht sind die Probleme im Bankensektor in der Vorwoche durch den überraschenden Zusammenbruch der Silicon Valley Bank (SVB). Das auf Technologie und Start-ups fokussierte US-Geldhaus hatte sich mit Staatsanleihen verspekuliert und musste diese wegen der Zinsanstiege mit hohen Verlusten verkaufen. Das Vertrauen war dahin, Kunden zogen Milliarden an Einlagen ab, was der Bank zum Verhängnis wurde.

Schlechtes Risikomanagement

Auch wenn Experten darin schlechtes Management und ein Versagen des Risikomanagements der SVB sehen – auch europäische Banken haben viele verlustträchtige Anleihen in ihren Büchern stehen. Dazu kommt, dass es der rasche Anstieg der Zinssätze für Unternehmen schwieriger macht, die von Finanzinstituten aufgenommenen Kredite zurückzuzahlen oder zu bedienen, was die Gefahr von Verlusten für die Kreditgeber erhöht.

Die Pleite der SVB in den USA birgt nach Ansicht von Ifo-Chef Clemens Fuest "auf jeden Fall" Gefahren für die Stabilität des globalen Finanzsystems. "Es ist ja fast klassisch, wenn in Phasen eines starken Zinsanstiegs das Problem entsteht, dass die Finanzstabilität in Gefahr gerät", sagte der Chef des Münchner Wirtschaftsforschungsinstituts. "Wir haben jetzt eine Situation, in der das Vertrauen in Kreditinstitute erschüttert ist."

EZB in Zwickmühle

Fuest sprach sich im Vorfeld der Entscheidung dafür aus, dass die EZB bei der angekündigten Erhöhung der Leitzinsen um 50 Basispunkte bleiben solle. "Würde sie jetzt etwa auf 25 Basispunkte zurückgehen, würde das zwar etwas Entlastung bringen im Hinblick auf die kurzfristige Finanzstabilität", erklärte der Ökonom. "Sie würde damit aber zugleich das Signal geben, dass sie glaubt, wir hätten hier ein größeres Problem."

Auch Hanno Lorenz, Volkswirt der Agenda Austria, sprach sich für Zinserhöhungen zur Bekämpfung der Inflation aus, da dies Hauptaufgabe der EZB sei: "Die Probleme, die sich im Finanzsektor mit der Zinswende auftun, sind kein Argument gegen weitere Schritte, sondern zeigen nur, welche Probleme die lange Phase des billigen Geldes in der Wirtschaft geschaffen hat", sagte Lorenz. Gegenwärtig sieht er wenig Anzeichen, dass die Probleme auf Geldhäuser im Euroraum überschwappen könnten. Daher soll die Zentralbank die Teuerung weiter entschlossen bekämpfen. "Das ist schmerzhaft für den Staatshaushalt, für Kreditnehmer und Wirtschaft", erläutert Lorenz. Die Inflation weiter zu befeuern sei aber noch gefährlicher.

Erhöhungszyklus dem Ende nahe

Mittelfristig dürften die Turbulenzen im Bankensektor auf jeden Fall starke Auswirkungen auf den weiteren Zinspfad der großen Notenbanken haben, den Börsenprofis nun wesentlich flacher erwarten. "Die Erwartungen für weitere Leitzinserhöhungen wurden fast vollkommen ausgepreist", heißt es dazu vom Vermögensverwalter DWS. Von der US-Notenbank Fed würden nun sogar mehrere Zinssenkungen noch in diesem Jahr erwartet. Gröbere Verwerfungen erwartet man im Haus DWS aber nicht: "Im Vergleich zur Zeit vor der Finanzkrise sind die systemischen Risiken zwar deutlich reduziert worden, mit konjunkturellen Bremsspuren ist aber zu rechnen." (Alexander Hahn, 16.3.2023)