"Ich ließ nicht zu, dass mir der schlimme Vorfall für den Rest meines Lebens den Spaß am Wasser nimmt." Andreas Ernhofer
Foto: Heribert Corb

Von den Schultern abwärts konnte er nichts mehr bewegen. Ein Sprung ins Wasser hatte ihm mit 17 Jahren wortwörtlich das Genick gebrochen. "Ich ließ aber nicht zu, dass dieser Unfall mir für den Rest meines Lebens den Spaß am Wasser nimmt", erzählt Andreas Ernhofer. Heute zählt der 26-jährige Österreicher zu den besten Paraschwimmern weltweit.

Unfall und Training

Wie schaffte er das? Wenn man mit ihm spricht, erahnt man es: Seine Sätze sind klar, die Stimme ist tief und fest, die Augen sind ruhig und durchdringend – fixierend. "Er war schon immer ein sehr ehrgeiziger und positiver Mensch", sagt sein Cousin Stefan Ernhofer. Er war es, der Andreas bei dem Unfall aus dem Wasser zog. Stefan wurde Physiotherapeut. Seit einiger Zeit ist er Andreas’ Co-Trainer

Stefan steht am Beckenrand, stoppt die Zeit jeder Bahn mit, die Andreas schwimmt, und notiert sie in sein Handy: "Die Daten gehen täglich an den Trainer in Graz. Der passt daraufhin das Training an."

Mit den Füßen drückt Andreas sich vom Beckenrand ab, mit jedem Armzug kommt er seinem Ziel näher. Durch jahrelanges Reha-Training kann er mittlerweile seinen Oberkörper, die Arme und teils auch die Beine wieder ansteuern und bewegen. Anfangs war es nicht sein Plan, Profischwimmer zu werden.

Hier wärmt sich Andreas Ernhofer (links) mit seinem Cousin und Co-Trainer Stefan Ernhofer auf.
Foto: Heribert Corn

Rollstuhl-Rugby

Seine Reha-Trainerin betreute auch eine Rollstuhl-Rugby-Mannschaft und lud ihn ein mitzumachen. Er fing Feuer und spielte mit. "Das ist genauso wild, wie’s klingt – wie Autodromfahren, nur schneller", sagt Andreas lachend. Doch sein sportlicher Ehrgeiz und ein Treffen mit anderen Schwimmern überzeugten ihn schließlich, zu diesem Sport zu wechseln. Auch das Verletzungsrisiko ist geringer.

Plötzlich kommen zwei weitere Paraschwimmer in die Schwimmhalle, Sabine Weber-Treiber und Andreas Onea. Letzterer ist für Andreas ein großes Vorbild: "Seine Disziplin und seine Erfolge motivieren mich. Mittlerweile sind wir gute Freunde."

Gehalt und Preisgeld

Verdient er mit dem Sport auch genügend Geld? "Meine 20 Erfolge brachten mir bisher 50 Euro Preisgeld ein." Und das, obwohl er Vizeweltmeister ist. Die Vergütung und die Anerkennung von Para-Spitzensportlern sind noch lange nicht auf dem Niveau von Nicht-Behindertensportlern. "In den letzten Jahren haben wir schon mehr Aufmerksamkeit bekommen", meint Andreas.

Seit einiger Zeit ist er in das Leistungssportförderprogramm des Bundesheers aufgenommen worden. Er ist einer von 20 Parasportlern und Parasportlerinnen des Heeres. Dadurch bekommt er ein regelmäßiges Gehalt und muss nun nicht mehr nur von Almosen und Sponsorengeldern leben.

Anfang März qualifizierte er sich erneut für die kommenden Paralympischen Spiele 2024 in Paris.
Foto: Heribert Corn

Wie er sich motiviert

Sechs Tage die Woche trainiert Andreas. Immer zwei Stunden schwimmen am Vormittag, nachmittags steht Kraft-, Ausdauertraining, Physiotherapie oder Mentaltraining auf dem Programm, abends oft Videoanalyse. Um 21 Uhr ruft das Bett, denn der nächste Tag startet meist um sechs Uhr morgens – mit einem ausgiebigen Frühstück mit Schinkensemmerln. Er ist ein leidenschaftlicher Esser.

"Ich gehe morgens immer so schnell wie möglich zum Training, damit der Schweinehund nicht merkt, was ich heute alles noch machen muss", sagt Andreas lachend. Er möchte Menschen mit Motivationsproblemen helfen, sich aufzuraffen. In Schulen und Firmen gibt er Workshops: "Jede oder jeder hat schon Erfolge gefeiert. Erinnere dich an das Gefühl, als du eine schwierige Aufgabe erfolgreich bewältigt hast. Das ist es, wofür es sich lohnt durchzubeißen."

Sein schönster Moment war 2018, als er bei der Europameisterschaft im Schwimmen Bronze gewann. "Wenn ich die Medaille in die Hand nehme, kommen die Emotionen wieder in mir hoch!" Andreas strahlt, seine Augenbrauen hüpfen rauf und runter, seine Gesten werden größer. Dass Spitzensportler bei Wettkämpfen nicht aufgeregt sind, hält er für ein Gerücht: "Vor dem Start bin ich immer angespannt. Aber ich verwandle Nervosität in Energie."

Seit ein paar Jahren ist er als Spitzensportler beim österreichischen Bundesheer angestellt und darf im Heeresleistungssportzentrum in Maria Enzersdorf trainieren.
Foto: Heribert Corn

Leidenschaft fürs Feuer

Andreas erinnert sich gerne an seine Jugend in seinem Heimatort Deutsch-Wagram. Die Freiwillige Feuerwehr ist ein wichtiger Teil seines Lebens. "Ich hatte Angst, nach dem Unfall nicht mehr im Verein tätig sein zu können", sagt Andreas. Seine Sorge löste sich allerdings schnell in Luft auf. Die Vereinsmitglieder unterstützten ihn und boten ihm einen Posten in der Verwaltung an, den er noch heute innehat.

Seinen sportlichen Erfolg und die Inklusion im Alltag verdankt er auch seiner Familie und seinen Freunden. Als der Unfall geschah, besuchte er gerade eine HTL in Wien und konnte deshalb ein halbes Jahr nicht in die Schule gehen. "Ich wollte auf keinen Fall eine Klasse wiederholen, sondern zusammen mit meinen Freunden den Abschluss machen. Deshalb ackerten wir Tag und Nacht. Ich habe es dann auch geschafft."

Rückblickend, sagt er, würde er es allerdings anders machen und sich erst auf seine körperliche Gesundheit fokussieren. "Reha und Schulabschluss gleichzeitig – das war schon sehr anstrengend."

Start-up Pläne

Sein Wissensdurst war damit aber noch lange nicht gestillt. Jetzt studiert er Medizinische Informatik im Bachelor an der TU Wien. Seit der Sport zum Beruf wurde, hat er für das Studium nicht mehr so viel Zeit. Abschließen will er es aber trotzdem. Denn leider ist das Alter der Feind jedes Spitzensportlers. Deshalb sorgt Andreas jetzt schon vor. Noch dieses Jahr möchte er zusätzlich ein Start-up gründen. Nur so viel verrät er: Es hat auf jeden Fall mit Sport zu tun. (Natascha Ickert, 17.3.2023)