Die künstliche Intelligenz erzeugt längst auch Kunst. Verändern ihre Bilder unsere Vorstellung von Schönheit?
Foto: midjourney/lib

Es ist ein Schaffensprozess, der in Sekundenschnelle passiert: Im ersten Schritt gibt der Mensch einen Text ein – "Eine Frau spaziert durch Wolken" könnte so eine Anweisung lauten. Die Programme speisen dann aus abertausenden Bildern die passenden Informationen und entwerfen ein neues. Schwuppdiwupp, fertig – Kunst.

Mittlerweile sind die – meist sehr expressiven – Bilder der künstlichen Intelligenzen weitverbreitet. Wer in den sozialen Medien, bei Twitter oder Instagram durch seine Timeline scrollt, der begegnet ihnen mit großer Wahrscheinlichkeit. In Wien gab es sogar eine eigene Ausstellung. Die Galerie Ministry of Artists zeigte im Februar Bilder, die von KI erschaffen wurden.

Aber wie wirkt sich das auf unsere Wahrnehmung aus? Bestimmen Bilder, erstellt von künstlicher Intelligenz, schon bald, was wir ästhetisch finden? Darüber haben wir mit einem Psychologen, einem Medienwissenschafter und einer Grafikdesignerin gesprochen.

Der Psychologe:

"Je öfter wir etwas sehen, desto schöner finden wir es"

"Wenn es darum geht, was Menschen schön finden, hat sich gezeigt: Es ist eine Mischung aus allgemeiner Übereinstimmung und individuellem Geschmack. Bei Gesichtern etwa liegt das Verhältnis bei ungefähr 50 Prozent Übereinstimmung und 50 Prozent persönlicher Präferenz. Im Bereich der abstrakten Kunst ist diese Übereinstimmung noch geringer. Ob etwas als schön empfunden wird, hängt hier also stärker vom Geschmack der Betrachterin, des Betrachters ab.

Man kann also nicht pauschal sagen, welche Kunstwerke gefallen. Es gibt jedoch einige Merkmale, die fast alle Menschen schön finden. Die meisten von uns bevorzugen eher gesättigte, hellere Farben gegenüber dunklen und einen etwas höheren Kontrast. Gegenständliche Kunst finden die meisten schöner als abstrakte. Das liegt wohl daran, dass wir es wertschätzen, wenn wir eine handwerkliche Fähigkeit, ein Können hinter einem Kunstwerk erkennen, und das ist leichter zu beurteilen, wenn man zum Beispiel sehen kann, dass etwas kunstvoll gemalt wurde. In diesen Zusammenhang fällt dann wohl der Satz 'Das könnte ich selbst so nicht'.

Auf den Befehl "Beagle in einem Kaffeehaus" hat die Plattform Midjourney dieses Bild ausgespuckt. Gegenständliche Kunst finden die meisten Menschen schöner als abstrakte, und auch Kontraste gefallen, weiß der Psychologe Helmut Leder. Die KI bildet diese Merkmale nach.
Foto: Midjourney/lib

Dass wir KI-generierte Bilder schön finden, obwohl sie nicht menschengemacht sind, hängt wohl damit zusammen, dass sie bekannte künstlerische Prinzipien beinhalten. Die künstliche Intelligenz wird ja gefüttert mit Beispielen ursprünglich menschlicher Kunst, und sie lernt daraus. Sie analysiert Unmengen von eingespeisten Bildern, darunter berühmte Kunstwerke. Daher weisen die Bilder, die sie ausgibt, viele Merkmale auf, die auch menschengemachte Kunst hat.

Außerdem: Je öfter wir etwas sehen, desto schöner finden wir es. Anders gesagt: Vertrautheit führt zu Gefallen. In der Psychologie ist dabei vom Mere-Exposure-Effekt die Rede. Das ist ein recht starker Effekt, der auch erklärt, warum Vertrautheit ein stabilisierender Effekt für soziale Beziehungen ist. Auch in der Mode lässt er sich beobachten: Man findet zuerst einen Trend nicht schön, aber läuft dann in einem Jahr vielleicht selbst in diesen oder jenen Farben herum. In der Kunst ist der Effekt auch zu erkennen. Wenn man Menschen nach ihren Lieblingskunstwerken fragt, nennen sie meist solche, die sie oft gesehen haben.

Möglicherweise ist dieser Effekt auch einer der Gründe, warum KI eine immer höhere Akzeptanz bekommt. Vor einigen Jahren hätten wir sicherlich gesagt, dass menschgemachte Kunstwerke als attraktiver eingeschätzt werden als computergenerierte – dazu gab es auch einige Forschung. Durch die Häufigkeit, in der man nun solche Bilder sieht, könnte es allerdings zu einem Umschwung kommen.

Was kann computergenerierte Kunst jedoch noch nicht? Neues kreieren. Wirklich tolle Kunst schafft eine neue Art, auf die Welt zu blicken. Das kann die KI – im Moment zumindest – noch nicht."

Helmut Leder (59) ist Professor für Psychologie an der Universität Wien. Er forscht zum Thema Ästhetik.

Der Medienforscher:

"Die Bilder sind unfassbar banal"

"Die Bilder, die die künstliche Intelligenz generiert, schaffen meiner Meinung nach kaum eine neue Ästhetik. Sie sind lediglich ein statistisch wahrscheinlicher Ausgang. Alles, was diese Systeme machen: Sie kauen die Informationen, mit denen sie gefüttert werden, durch und geben sie in neuen Kombinationen wieder aus. Die Bilder sind Datensätze. Und ich finde sie ehrlicherweise unfassbar banal.

Die ersten Ergebnisse, die entstanden sind, als die Technologie noch weniger ausgereift war: Sie waren aufgrund ihrer Unzulänglichkeit deutlich spannender. Was die aktuellen Bilder jetzt zeigen, ist nichtssagend. Vielmehr verstellen sie uns den Blick auf die Mechanismen dahinter. Das eigentlich Wichtige bei Maschinen- bzw. Medienkunst ist jedoch nicht die Frage, was die Bilder zeigen. Sondern: Was zeigen sie uns nicht, was steckt dahinter? Die Werkzeuge sind nicht transparent.

Was wir machen, wenn wir diese Plattformen benutzen: Wir trainieren sie weiter, verbessern ein kommerzielles Produkt – das dann irgendwann kostenpflichtig werden und uns zurückverkauft werden wird. Wir müssen uns unserer Verantwortung bewusst sein.

Programme wie Midjourney können mit nur wenigen Anweisungen Bilder erstellen, die wie Fotos oder menschengemachte Gemälde aussehen.
Foto: Midjourney/lib

Ich könnte mir schon vorstellen, dass ein gewisser Gewöhnungseffekt eintreten könnte – das ist bei jedem Bild der Fall und hat auch etwas mit den Mechanismen massenmedialer Verbreitung zu tun. Bilder verändern unsere Sehgewohnheiten und unser Kunstverständnis. Das ist dasselbe Phänomen wie bei neuen Snapchat- oder Tiktok-Filtern. Das war aber auch schon bei neuen Maltechniken in der Renaissance so oder bei der Einführung der Fotografie oder des Films.

Für mich handelt es sich übrigens nicht um ein Entweder-oder zwischen menschlicher Kunst und Maschinenkunst. Beides sind künstlerische Gestaltungsprozesse. Außerdem gibt es eine genuin menschliche Kreativität ohnehin nicht – genauso wenig wie eine Maschinenkreativität. Es ist immer ein Zusammenspiel. Dass wir künftig mit KI arbeiten werden, steht für mich außer Frage. Wir müssen uns also überlegen: Wie werden wir damit arbeiten? Welche Rolle wollen wir dem Ganzen zuschreiben?

Ich frage mich aktuell, warum wir so hart daran arbeiten, uns das Denken abnehmen lassen. Wir lassen uns Hausübungen von Chatbots schreiben, Musik und Gedichte, wir lassen uns Bilder malen. Wollen wir uns wirklich die Kunst abnehmen lassen und nur noch zuschauen? Oder soll die künstliche Intelligenz nicht lieber alles andere machen, auf das wir keine Lust haben? Die harte Arbeit in der Industrie zum Beispiel, die entfremdete Arbeit in Büros und so weiter. Und wir machen stattdessen nur noch Kunst und befragen die Technologie, wie sie uns befragt."

Paul Feigelfeld (43) ist Kultur-, Medien- und Designforscher. Er ist derzeit Professor für Wissenskulturen im digitalen Zeitalter am Institut für Designforschung der Hochschule für Bildende Künste Braunschweig. 2019 war er Gastkurator der Ausstellung "Uncanny Values. Künstliche Intelligenz & Du" am MAK Wien im Rahmen der Vienna Biennale.

Die Grafikdesignerin:

"Ich glaube nicht, dass KI dieselbe Wirkung erzeugen kann"

"Eine visuelle Erfahrung ist nie unschuldig – alles, was wir sehen, alles, was wir um uns haben, formt uns auf eine gewisse Weise. So auch die Bilder, die von der künstlichen Intelligenz generiert wurden. Die Gefahr könnte sein, dass künftig ein gewisser Gewöhnungseffekt eintritt und die Sinne abstumpfen. Wenn uns KIs formen und beeinflussen, dann frage ich mich, wo das hinführen soll. Eine Dystopie wäre, dass man nicht mehr weiß: Was ist echt, was ist unecht? Die Authentizität würde verloren gehen, wir wären diffus und orientierungslos.

Designprozesse sind immer ein kreativer Weg. Das Schaffen und Experimentieren sind wichtige Bestandteile meiner Arbeit. Bis ich zu einem Ergebnis komme, treffe ich permanent Entscheidungen, etwa über Konzepte, richtige Tonalitäten und passendes Schriftbild, oder ich hinterfrage Strategie, Farbgebung und vieles mehr. Über das Probieren, Austesten wird auch klarer, wie es sein soll. Dieser Weg erscheint leichter, wenn man etwas bei der künstlichen Intelligenz in Auftrag gibt. Die Bilder scheinen in Sekundenschnelle fertig zu sein. Dadurch verlieren sie auch an Wert. Wenn das Handwerk, der Prozess nicht mehr zählt, ist alles flüchtig. Wobei ich beim Anwenden der Tools bemerke, dass es aktuell gar nicht so einfach ist, ein meinen Vorstellungen entsprechendes Bildergebnis zu erzielen. KI ist eine Spielwiese an Möglichkeiten, die uns neue Perspektiven eröffnet und wo wir uns zeitgleich wieder verlieren können.

Bei meiner Arbeit konsumiere ich deshalb möglichst wenig soziale Medien, damit ich nicht etwas, das ich sehe, unbewusst nachahme. Durch den Algorithmus besteht auch das Risiko, dass man nur noch an sein Profil angepasste Bilder im Feed angezeigt bekommt. Aber eigentlich ist man als Mensch doch neugierig auf das andere, und das andere ist auch eine kreative Triebfeder, um Neues zu schaffen. Viel mehr zehre ich aus der Kunst, der Literatur oder dem Film. Die Werke sind unkonkreter, und man kann Dinge anders interpretieren und im Design darauf Bezug nehmen.

Keine Malerin, kein Fotograf – sondern die Plattform Midjourney hat dieses Bild geschaffen.
Foto: midjourney/lib

Deshalb denke ich auch nicht, dass durch die Kunst der KI die alten Werke für uns uninteressant werden. Wenn man ein handgemaltes Bild, das etwa drei Meter mal zwei Meter groß ist, vor sich sieht, dann hat das eine ganz spezielle Wirkung. Das ist etwas, das einen umhaut, eine Erfahrung, die Gänsehaut verursacht. Man spürt das Herzblut dahinter. Und ich glaube nicht, dass eine KI dieselbe Wirkung erzeugen kann. Vielleicht wird aber auch künftig das möglich sein, und die KI wird etwa Gerüche erzeugen und eine möglichst authentische Erfahrung nachstellen können. Sich das vorzustellen ist gruselig.

Ich wüsste aktuell nicht, wie mir eine künstliche Intelligenz zu Beginn der Kreation helfen kann. Außer bei der Recherche oder indirekt über verwendete Software. Sie erstellt visuelle Oberflächen, aber das Konzept, das kann einem niemand abnehmen. Daher sehe ich die KI mehr als Tool, das mir die Arbeit erleichtert, aber den schöpferischen Prozess noch nicht abnehmen kann. Das Eigenständige machen wir immer noch selbst. Wenn man zum Beispiel ein Logo gestaltet, aus dem man ein grafisches System entwickeln will, dann kann die KI das nicht umsetzen. Aber womöglich wird das in Zukunft möglich sein."

Verena Panholzer (43) ist Gründerin und Artdirektorin von Studio Es. Seit 2019 ist sie Mitglied der Alliance Graphique Internationale (AGI). Im letzten Jahr hatte sie eine Gastprofessur an der Akademie der bildenden Künste in Stuttgart inne. In diesem Semester unterrichtet sie Typografie an der Universität für angewandte Kunst.

(Lisa Breit, 30.3.2023)