Der 1. Mai auf dem Wiener Rathausplatz zieht nach wie vor viele Genossinnen und Genossen an. Eine rote Parteimitgliedschaft allerdings immer weniger.

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Die Genossen haben entschieden. Oder besser gesagt: Das Parteipräsidium und der Vorstand der SPÖ haben entschieden – dass die Genossinnen und Genossen entscheiden sollen. Eine Mitgliederbefragung soll nämlich her, um den seit vielen Monaten schwelenden Konflikt um die Führung der Partei zu lösen. Die Details dazu sollen in der kommenden Woche vom Präsidium vorgelegt werden, auch "die genaue Textierung", wie Parteichefin Pamela Rendi-Wagner es am Mittwochabend in einer Pressekonferenz nach den Sitzungen der Gremien formulierte. Und ausgetüftelt wird der Modus für die Befragung auch gleich gemeinsam mit Rendi-Wagners nunmehr offiziellem Herausforderer um den Bundesparteivorsitz: dem burgenländischen Landeshauptmann Hans Peter Doskozil.

SPÖ mit 140.000, ÖVP mit 600.000 Mitgliedern

Unklar ist bislang, ob neben den beiden Kontrahenten noch eine weitere Kandidatin oder ein weiterer Kandidat auf dem Stimmzettel der Befragung stehen könnte. Klar ist dagegen, wer die Menschen sind, die demnächst ihre Stimme für die neue rote Spitze abgeben können – jedenfalls ein bisschen: Rund 140.000 Mitglieder hat die SPÖ aktuell. Zum Vergleich: Bei der ÖVP sind es laut Angaben der türkisen Bundespartei derzeit 600.000 – inklusive aller Teilorganisationen.

Auch die Sozialdemokratie bewegte sich in puncto Parteibücher einst in luftigeren Höhen: Im Jahr 1980 gab es noch 700.000 Genossinnen und Genossen mit Parteimitgliedschaft. Selbst vor drei Jahren, als Rendi-Wagner den Modus der Mitgliederbefragung bereits zum Stellen der Vertrauensfrage genutzt hatte, gab es noch 158.000 SPÖ-Mitglieder. Innerhalb dieser drei Jahre ging die Zahl der Parteibücher also um satte 18.000 zurück.

Mitgliederschwund wegen Überalterung

Der starke Mitgliederschwund über die Jahre und Jahrzehnte liegt aber nicht in erster Linie an Austrittswellen – der entscheidende Faktor ist die Demografie: Der Altersschnitt der SPÖ-Mitglieder beträgt aktuell 63 Jahre. Und schon seit Jahrzehnten treten deutlich weniger junge Menschen in die Partei ein, als Mitglieder sterben. Der Ruf der SPÖ als "Pensionistenpartei" kommt also nicht von ungefähr.

Und der hohe Altersschnitt wird auch bei der Positionierung Rendi-Wagners und Doskozils vor der Befragung eine Rolle spielen müssen. Oder anders formuliert: Mit einem Fokus auf Jugendthemen wird kein Blumentopf und kein Parteivorsitz zu gewinnen sein.

Mit konkreteren demografischen oder sozioökonomischen Daten ist man in der Bundespartei auf STANDARD-Anfrage äußerst zurückhaltend. Daten zum formalen Bildungsgrad etwa, also Akademikerinnenquote, Anteil von Mitgliedern mit Matura oder Pflichtschule als höchstem formalem Bildungsabschluss, gibt es zwar; man will sie aber nicht veröffentlichen. Auch die Junge Generation, die politische Interessensvertretung aller 16- bis 38-Jährigen in der SPÖ, wollte auf Nachfrage keine Zahlen zu Parteimitgliedern bis 38 Jahre nennen.

Beträchtliches Minus bei Mitgliedern in Wien

Die meisten SPÖ-Mitglieder dürfte es wenig überraschend im "roten Wien" geben, das mit bald zwei Millionen Einwohnern auch fast ein Viertel der Bevölkerung Österreichs stellt. Ein genauer Wert wird aber nicht veröffentlicht, Transparenz sucht man hier vergebens. Informationen zu den Mitgliedern gebe es "aus Datenschutzgründen" nicht – das gelte auch für die Anzahl der aktiven Mitgliedschaften oder Gastmitgliedschaften, heißt es auf STANDARD-Anfrage aus der Wiener SPÖ. Das sei die derzeitige Policy. "Kein Geheimnis ist, dass die Anzahl der Mitgliedschaften zurückgeht." Und: "Von der Altersstruktur her sind unsere Mitglieder sicher in den höheren Altersklassen zu finden."

Zieht man die Mitgliederzahlen der anderen acht Bundesländer von der Gesamtzahl 140.000 ab, kommt man aber auf einen Wert von maximal 35.000 Parteibüchern für Wien. Damit ist auch der Mitgliederschwund in der Hauptstadt beträchtlich: Denn 2017 – damals wurde noch kein so großes Geheimnis um die Mitgliederanzahl gemacht – wurde diese von der Wiener SPÖ mit 45.000 beziffert. In nur sechs Jahren gab es damit ein Minus von rund 10.000 Mitgliedern.

Zweitgrößter Faktor Niederösterreich

Der zweitgrößte Faktor bei der Mitgliederbefragung wird Niederösterreich sein. Dort haben rund 30.000 Personen ein rotes Parteibuch. Auf Platz drei liegt Oberösterreich mit 23.500 Mitgliedern, gefolgt von der Steiermark mit 18.500. Das Burgenland hat gut 11.800 Mitglieder. Im Herkunftsland Doskozils wird aber eine besonders hohe Mobilisierung erwartet. In Vorarlberg mit etwa gleich vielen Einwohnern wie das Burgenland – im Gegensatz dazu aber traditionell "schwarz" – gibt es unterdessen nur 1.100 SPÖ-Mitglieder.

Das andere schwarze Kernland im Westen, Tirol, hat rund 3.000 Mitglieder; Kärnten mit einer traditionell starken SPÖ indessen 10.000. In Salzburg gibt es laut Landespartei derzeit rund 8.000 Parteibücher. Kurz gesagt: In der Entscheidung über die neue SPÖ-Spitze wird der Osten Österreichs deutlich stärker abgebildet als der Westen.

Für den Ausgang des Vorsitzvotums wird allerdings nicht nur die Gesamtzahl der Parteimitglieder entscheidend sein – sondern vor allem, wie viele von ihnen auch tatsächlich abstimmen. Bei Rendi-Wagners Mitgliederbefragung 2020 war es mit gerade 43 Prozent aller aktiven Parteimitglieder weniger als die Hälfte. (Martin Tschiderer, David Krutzler, 16.3.2023)