Im Gastblog gibt Kurt Tutschek Einblicke in das Werk eines Fotografen, der ein besonderes Auge für Bildkomposition hatte.

Das Valle di Blenio ist eine pittoreske Landschaft. Kristallklare Bäche schlängeln sich durch grüne Wiesen, kühn steigen die Berghänge empor, die Natur scheint hier noch intakt. Das Tal im schweizerischen Kanton Tessin wird auch "Sonnental" genannt und zählte schon früh wegen der zahlreichen Pass-Übergänge zu einer der wichtigsten Routen durch die Alpen. In dieser malerischen Landschaft verbrachte der heute nahezu vergessene Fotograf Roberto Donetta den größten Teil seines Lebens.

Roberto Donetta
Foto: Courtesy by Fondazione Archivio Donetta

Roberto Donetta wurde am 6. Juni 1865 als letztes von vier Kindern von Carlo und Maria Donetta in Bascia am Eingang des Bleniotals geboren.

Kein einfaches Leben

Über die ersten zwanzig Jahre von Donettas Leben ist nur wenig bekannt. Die erste gesicherte Information ist das Datum seiner Heirat mit Linda Tinetti im Jahr 1886, aus der sieben Kinder hervorgingen. Angesichts der schwierigen wirtschaftlichen Lage zu jener Zeit war Donetta jedoch wie die meisten seiner Landsleute gezwungen, auszuwandern. Und so zog er ab 1889 in den Wintermonaten nach Norditalien, um als Maroniverkäufer zu arbeiten. Nach seiner Rückkehr ins Tal bekleidete er kurzfristig einen Posten beim Militär und eröffnete danach einen Lebensmittelladen, den er allerdings nur ein halbes Jahr betrieb. Im Jahr 1894 versuchte er sein Glück in England. Er zog nach London, wo er ein knappes Jahr verbrachte, ehe er wieder in die schweizerische Heimat zurückkehrte.

Das Leben war schwierig. Um über die Runden zu kommen, verdingte sich Donetta in unterschiedlichsten Berufen, arbeitete auch als Saatgutverkäufer, was geringes, aber annähernd regelmäßiges Einkommen versprach. Gleichzeitig begann er sich für die Fotografie zu interessieren, was er dem Bildhauer Dionigi Sorgesa zu verdanken hatte, der ihm nicht nur erste Ideen für fotografische Projekte lieferte, sondern ihm auch eine Kamera lieh.

Schon mit den ersten Aufnahmen bewies Donetta sein Gefühl für Bildkomposition, den Umgang mit Licht und Schatten und das Festhalten vergänglicher Augenblicke.

Eisproduktion | 1900–1932
Foto: Courtesy by Fondazione Archivio Donetta
Das Karussell kommt ins Dorf | 1900–1932
Foto: Courtesy by Fondazione Archivio Donetta
Familie | 1900–1932
Foto: Courtesy by Fondazione Archivio Donetta

Bald zog Roberto Donetta mit seiner Plattenkamera als Wanderfotograf durch die Dörfer des Blenio-Tals und hielt mit seiner Kamera fest, was ihm erhaltenswert schien: Das harte Leben der Menschen zwischen den steil aufragenden Berghängen, Feste und Feierlichkeiten im Jahreslauf, Familienbilder für das Fotoalbum, Begräbnisse und Hochzeiten, die malerischen Landschaften des Tessins.

Von den Landschaftsaufnahmen fertigte er auch Postkarten an, die er zum Verkauf anbot. Doch er bewies auch immer wieder Sinn für Humor. In sorgfältig gestellten Aufnahmen werden mit groben Werkzeugen Zähne gezogen, Kinder verstecken sich hinter Blättern und ein Fahrradunfall wird inszeniert.

Schulstunde im Freien | 1900–1932
Foto: Courtesy by Fondazione Archivio Donetta
Bei der Heuarbeit | 1900–1932
Foto: Courtesy by Fondazione Archivio Donetta
Versteckt | 1900–1932
Foto: Courtesy by Fondazione Archivio Donetta
Beim Zahnarzt | 1900–1932
Foto: Courtesy by Fondazione Archivio Donetta
Katastrophe | 1900–1932
Foto: Courtesy by Fondazione Archivio Donetta
Die weite Welt kommt mit dem Filmprojektor ins Dorf. | 1900–1932
Foto: Courtesy by Fondazione Archivio Donetta
Arbeiterinnen der Fabbrica di Cioccolato Cima Norma, einer Schokoladefabrik | 1900–1932
Foto: Courtesy by Fondazione Archivio Donetta
Messe am Kreuz von Mottarone | 1900–1932
Foto: Courtesy by Fondazione Archivio Donetta
Virgilio Monico mit seinen Kindern an einem Wasserfall | 1900–1932
Foto: Courtesy by Fondazione Archivio Donetta
Der Blick fürs Detail: Blühender Kaktus im Baumstamm | 1900–1932
Foto: Courtesy by Fondazione Archivio Donetta
Zwei Frauen mit Schirm | 1900–1932
Foto: Courtesy by Fondazione Archivio Donetta
Roberto Donetta und seine Frau Linda, zu ihren Füßen die Kinder Brigida und Saul.
Foto: Courtesy by Fondazione Archivio Donetta

Das Leben blieb beschwerlich. Donettas Frau hatte wenig Verständnis für seine Liebe zur Fotografie, die kaum Einkünfte ins Haus brachte. Sie verließ ihn im Jahr 1912 in der Hoffnung, in der Kantonshauptstadt Bellinzona gemeinsam mit den Kindern ein besseres Leben zu finden. Nur sein jüngster Sohn Saul blieb bei Donetta. Trotzdem stand Donetta weiterhin in Briefkontakt mit seiner Frau und dem Rest der Familie, die die Schweiz bald verließ und die Zelte in Frankreich aufschlug.

Während des Krieges werden die finanziellen Schwierigkeiten noch größer, Donetta entwickelt sich immer mehr zum Sonderling und stirbt schließlich völlig verarmt 1932 im Alter von 67 Jahren in der Casa Rotonda, einem einfachen Rundbau in Corzoneso. Die Casa Rotonda stammt aus dem Ende des 18. Jahrhunderts und wurde ursprünglich als Gebäude für eine Grundschule errichtet. Später wurde das Rundhaus wegen Schülermangels geschlossen und in ein Wohnhaus umgewandelt, in dem Roberto Donetta die letzte Zeit seines Lebens verbrachte.
Nach seinem Tod beschlagnahmten die Behörden Donettas wenige verbliebene Besitztümer, um alte Schulden und die Beerdigungskosten zu begleichen. Die fotografischen Glasplatten fanden keine Interessenten und gelangten so in den Besitz der Gemeinde Corzoneso (heute Acquarossa).

Aufbereitung der Fotografien

Heute ist in der Casa Rotonda das Archivio Donetta untergebracht, das den fotografischen Nachlass Roberto Donettas verwaltet. Es umfasst die rund 5000 Glasplatten sowie einige Originalabzüge und ist im Besitz der Gemeinde Acquarossa. Bei einem Besuch vor Ort oder über die Website gilt es, einen großartigen, vielfältigen und weithin unbekannten Fotografen, der heute als einer der Großen der Schweizer Fotogeschichte anerkannt ist, neu zu entdecken! (Kurt Tutschek, 18.3.2023)

Der Autor dankt dem Archivio Donetta für die Fotos und die Erlaubnis zur Veröffentlichung.

Fotos
Courtesy by Fondazione Archivio Donetta | www.archiviodonetta.ch

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