
Die Schulschließungen in der Anfangsphase der Pandemie können Expertinnen und Experten nachvollziehen. Dass in der Folge keine alternativen Wege gesucht worden seien, sondern es weiter nur um die Frage Auf oder Zu gegangen sei, kann Kinder- und Jugendpsychiater Ernst Berger nicht verstehen.
Wien – Die österreichische Bundesregierung hat kürzlich eine Aufarbeitung der Corona-Pandemie angekündigt. In Bezug auf die Fragen, wie es Kindern und Jugendlichen in den vergangenen drei Jahren ergangen ist, kann das Netzwerk Kinderrechte bereits eine ausführliche Antwort geben. Die Vertretung von 51 Organisationen wie SOS Kinderdorf, Kinder- und Jugendanwaltschaften der Bundesländer, Rat auf Draht, Diakonie und Caritas und vielen mehr hat am Donnerstag den 172 Seiten starken Sonderbericht "Kinderrechte und Corona" vorgelegt.
In dem Sonderbericht finden sich zahlreiche Studien zur Situation von Kindern und Jugendlichen aus verschiedenen Fachrichtungen. Viele zeigen, wie die jungen Menschen psychisch litten, was ihnen besonders zu schaffen machte und worüber sie sich ärgerten. Bei Befragungen in Workshops im Herbst 2022 habe sich gezeigt, dass Kindern und Jugendlichen sehr wichtig sei, dass sie gesehen und gehört werden. Beides sei bei der Pandemie vergessen worden, fasste Elisabeth Schaffelhofer-Garcia Marquez für das Netzwerk Kinderrechte am Donnerstag bei einer Pressekonferenz zusammen.
Gesundheitsteams für Schulen gefordert
Das Netzwerk fordert, dass sämtliche politischen Entscheidungsträger den Bericht und die darin enthaltenen Handlungsempfehlungen für ihren Bereich heranziehen und überlegen sollen, was die nächsten Schritte wären. Außerdem solle es als Kompensationsleistung für in der Pandemie gemachte Fehler psychosoziale Gesundheitsteams an allen Schulen sowie zusätzliche Schulsozialarbeiter und Schulpsychologen geben, hieß es bei der Pressekonferenz.
Kinder- und Jugendpsychiater Ernst Berger fasste zusammen, dass die Pandemie "jahrelange Versäumnisse bei der Implementierung von Kinderrechten deutlich gemacht" habe, also – wie schon öfter festgestellt wurde – sich wie ein Brennglas auf schon vorhandene Probleme richtete. Besondere Kritik äußerte Berger am Auf und Zu der Schulen.
Dass es in der Anfangsphase der Corona-Pandemie zu Schulschließungen gekommen sei, sei nachvollziehbar, aber man habe – anders als zum Beispiel in Deutschland – sich nicht überlegt, wie eine schrittweise Öffnung möglich wäre, um rasch zumindest Teile des Betriebs wieder laufen zu lassen. Man habe also die Perspektive der Kinder und Jugendlichen, ob derlei für sie gut sein könnte, nicht mitgedacht.
"Viele Maßnahmen wurden getroffen, damit die Eltern arbeiten gehen konnten", teilte denn auch ein junger Mensch mit, der an einem Workshop zur Aufarbeitung der Pandemie vom Netzwerk Kinderrechte Österreich im Herbst 2022 teilgenommen hat; ebenfalls nachzulesen in dem Bericht.
Viele Ausnahmen, aber nicht für Kinder
Die Salzburger Kinder- und Jugendanwältin Andrea Holz-Dahrenstaedt kritisierte, dass junge Menschen in der Corona-Politik "nicht vorgekommen" seien. Für Wirtschaft, Seilbahnen, Tourismus und Veranstaltungen wie die Fußball-EM habe es regelmäßig Ausnahmen von den Corona-Regeln gegeben, Jugendliche seien aber mit vielen Entbehrungen – zum Beispiel dem Verbot von Vereinssport, Skikursen oder anderen Veranstaltungen – konfrontiert gewesen. Folgen der Einschränkungen sind noch spürbar, etwa bei Rat auf Draht gibt es nach wie vor mehr Anrufe wegen psychischer Erkrankungen als noch vor der Pandemie.
Das Netzwerk Kinderrechte verlangt in Österreich eine unabhängige Kindermonitoringstelle zum Schutz der Kinderrechte. Es gibt zum Beispiel einen unabhängigen Monitoringausschuss, der die Einhaltung der Menschenrechte von Menschen mit Behinderungen durch die öffentliche Verwaltung überwacht. Die Kindermonitoringstelle müsste – wie erwähnt – unabhängig sein, könnte aber beispielsweise vom Sozial-, Bildungs-, Familien- und Justizministerium getragen werden und müsst interministeriell agieren, ergänzte Schaffelhofer-Garcia Marquez auf Nachfrage. (Gudrun Springer, 16.3.2023)