Tiere, die wir als essbar einstufen, halten wir für wenig leidensfähig oder intelligent – auch wenn das durch die aktuelle Forschung nicht gedeckt ist.

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In China werden Hunde gegessen, in Österreich gilt das weitgehend als undenkbar. Was jeweils als essbar gilt, sei eine kulturelle Frage, sagt Benz-Schwarzburg.

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Zur Person: Judith Benz-Schwarzburg forscht in der Abteilung Ethik der Mensch-Tier-Beziehung am Messerli-Forschungsinstitut der Veterinärmedizinischen Universität, der Universität Wien und der Medizinischen Universität in Wien. Die gebürtige Deutsche hat an der Universität Tübingen zu sozio-kognitiven Fähigkeiten bei Tieren promoviert. . F.: Körber Stiftung / D. Ausserhofer

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Eben fand die Haustiermesse in Wien statt, der Andrang war enorm. Immer mehr Tiere leben in österreichischen Haushalten. Für sie wird viel Geld ausgegeben, in den sozialen Medien bringen sie Likes und Follower. Zugleich wird immer mehr Fleisch gegessen. Wie geht das zusammen? Ein Gespräch mit der Bioethikerin und Philosophin Judith Benz-Schwarzburg.

STANDARD: Wo stehen wir gerade im Mensch-Tier-Verhältnis?

Benz-Schwarzburg: Gerade im Haustierbereich folgt man stark Modetrends: Plötzlich wollen alle ein Mini-Pocket-Pig, ein kleines Schwein, das man gerne in großen Teetassen fotografiert, oder einen afrikanischen Weißbauchigel. In bestimmten Phasen werden bestimmte Tiere zu Social-Media-Stars erhoben. Sie werden bei allen möglichen Aktivitäten fotografiert, die nicht im Interesse des Tieres sind. Igel werden schamponiert und gebadet, was aus veterinärmedizinischer Sicht Blödsinn ist. Auch Haustiere benützt der Mensch oft für seine Zwecke: als Sozialpartner, als Prestigeobjekt, als Zeitvertreib. In der Pandemie hat man gesehen, dass sich viele Menschen, die reduzierten Kontakt zu anderen Menschen hatten, Haustiere zugelegt haben. Viele davon sind in Tierheimen gelandet, als Lockerungen kamen.

STANDARD: Schon in der Steinzeit wurden Tiere als Teil der Gemeinschaft aufgenommen. Wie weit geht die Tier-Mensch-Beziehung zurück?

Benz-Schwarzburg: Aus historischer Sicht gibt es unterschiedliche Theorien. Ethisch interessant ist der Moment, in dem der Mensch erstmals dem Wolf ein Halsband, dem ersten Wildpferd Sattel und Zaumzeug angelegt hat. Das war der Moment, in dem wir das Tier unter unsere Kontrolle gebracht haben – und wo die Frage, was das Tier eigentlich selber möchte, eine untergeordnete Rolle zu spielen begann. Das hat die Haustier-Beziehung mit der Nutztier-Beziehung gemeinsam.

STANDARD: Tiere werden im Kinderwagen herumgeführt und in Pyjamas gesteckt. Wie übergriffig ist der Mensch dem Haustier gegenüber – auch in all seiner Liebe?

Benz-Schwarzburg: Die Antropomorphisierung, also dass wir ein Tier zu einem kleinen Menschen oder zu einem Kind-Ersatz machen, ist problematisch, wenn das Tier nicht mehr als das gesehen wird, was es ist, wenn unsere Ansprüche völlig über den Bedürfnissen der Tiere stehen. Wenn ein Hund zum Beispiel ein Dirndl anziehen muss, obwohl es keinen Grund dafür gibt, oder man ihm die Krallen lackiert. Solche Dinge dienen allein ästhetischen Vorlieben des Menschen.

STANDARD: Cat-Content ist nach Pornos der meistgeklickte Inhalt im Internet. Nimmt die Bedeutung der Heimtierhaltung in dem Maße zu, in dem sich der Mensch von der Natur entfremdet? Erklärt das auch Trends?

Benz-Schwarzburg: Ich glaube, es ist eine Möglichkeit, mit Tieren in Kontakt zu sein, ohne über andere Nutzungsformen von Tieren nachzudenken. Einerseits wird der Heimtierbereich immer stärker ausgebaut, und andererseits haben andere Formen der Nutzung von Tieren extrem zugenommen. Wir erhöhen den Status mancher Tiere zu Sozialpartnern und stufen andere herab zum Unterhaltungsobjekt, Versuchsmodell oder Fleischlieferant.

STANDARD: Wir geben unserem Hund einen Instagram-Account, scheren uns aber wenig darum, wie das zu Schnitzel verarbeitete Schwein auf unserem Teller lebte und wie es starb?

Benz-Schwarzburg: Die meisten Menschen sagen, sie mögen Tiere – gleichzeitig lieben wir den Geschmack von Fleisch. Das ist eine kognitive Dissonanz. Wie also bringen wir diesen Widerspruch in Einklang? Es gibt Studien, die zeigen, dass wir Tiere, die wir als essbar einstufen, für wenig leidensfähig oder intelligent halten. Wir reden uns also die Tiere, die wir essen wollen, dumm. Das ist aber eigentlich von der Forschung her überhaupt nicht gedeckt.

STANDARD: Dass in China Hunde gegessen werden, empört uns allerdings schon sehr.

Benz-Schwarzburg: Daran sieht man sehr schön, dass die Frage, wen wir essen und wen nicht, eine kulturelle ist. Bei uns ist es undenkbar, den Chihuahua zum Dinner anzubieten. Jede Kultur hat so ungefähr acht bis zehn Tierarten, die sie als essbar einstuft. Das ist nicht kognitiv erklärbar, sondern das sind Gewohnheiten, die man schwer loslassen kann, selbst wenn man weiß, dass man es eigentlich lassen sollte. Das ist auch der Grund, warum man die Verantwortung, seinen Fleischkonsum zu ändern, nicht den Konsumenten allein überlassen sollte, sondern es bräuchte hier dringend mehr Anreize der Politik und Selbstverpflichtung der Produzenten.

STANDARD: Dabei setzen wir Tiere für alles Mögliche ein, weil wir zusehends mehr über ihre Intelligenz und emotionalen Fähigkeiten wissen: Lamas im Altersheim etwa oder Delfine zur Überwachung des von Russland besetzten Hafens auf der Krim.

Benz-Schwarzburg: Seit den 1970er-Jahren hat die Forschung zur emotionalen, kognitiven und sozialen Intelligenz von Tieren stark zugenommen. Wir wissen aus Labor- und Freilandstudien inzwischen viel mehr darüber, was Tiere alles können und was sie brauchen. Leider hat dieses zunehmende Wissen nicht direkt zu einer größeren Umsichtigkeit geführt. Es gibt immer noch Bereiche, über die wir kaum kritisch nachdenken.

STANDARD: Welchen zum Beispiel?

Benz-Schwarzburg: Der Zoo ist beispielsweise eine Institution, die kulturell fest verankert ist in unserer Gesellschaft. Dabei hat er etwas stark Koloniales. Die Idee, sich einfach Tiere gefangen zu halten, um sie anzuschauen, ist sehr problembehaftet. Oft wird argumentiert, der Zoo betreibe Artenschutz und Bildung. Bei genauerem Hinsehen ist das aber fragwürdig. Man erfährt nichts über das natürliche Verhalten von Seelöwen, wenn sie dem Publikum bei der Fütterung zuwinken oder dem Trainer ein Küsschen geben. Hier wird das Tier eingesetzt, um positive Emotionen beim Besucher wachzurufen. Zoos gehen zunehmend in Richtung Entertainment, während Organisationen im Freiland das Gros der Artenschutzarbeit leisten. Die Forschung zeigt, dass die durchschnittliche Dauer des Tiere-Beobachtens zwischen 15 und 40 Sekunden liegt. Mit dem Zoobesuch verbinden viele ein schnelles Vorbei-Flanieren an exotischen Tieren, Spaß, Pommes- und Eis-Essen. Es gibt also gute ethische Argumente, Zoos ganz abzuschaffen. Alternativ müsste man sie zumindest stark verändern, etwa nur bedrohte heimische Arten zeigen, die ja tatsächlich auch sehr beliebt sind.

STANDARD: Die meisten Menschen, sagen Sie, mögen Tiere. Das gilt im besonderen Maße für Kinder.

Benz-Schwarzburg: Es ist schön, dass es ein natürliches Interesse an Tieren gibt. Die Frage ist, ob wir deswegen Institutionen schaffen müssen, die uns alle Tiere auf dem Silbertablett servieren – auf Kosten der Tiere. Fehlgeleitete Tierliebe wird gesellschaftlich stark gefördert. Schauen Sie sich das Spielzeug und die Kleidung an, überall sind Tiere und oft in sehr klischeehafter Art, für Mädchen etwa Kätzchen oder Häschen mit Schleife im Haar.

STANDARD: Warum gilt auf der anderen Seite das Jagen seltener Tiere oder das Grillen von Fleisch als besonders potenter, männlicher Akt?

Benz-Schwarzburg: Die Philosophin Carol Adams hat sich in den 1980ern mit der Verbindung zwischen Geschlechterrollen und Tieren beziehungsweise Fleisch beschäftigt. Bis heute arbeitet die Werbung damit: Metzgereien werben mit Schweinen in Röckchen und High Heels; Burgerketten damit, dass Frauen Salat und echte Männer Fleisch essen. Durchs Internet geistern gegrillte Hühner mit Bikini-Abdruck. Viele meinen immer noch, dass das Fleisch das gute Essen ausmacht, was eine Idee der Nachkriegszeit ist.

STANDARD: Momentan kochen hierzulande die Emotionen hoch bei der Frage zum Umgang mit dem Wolf. Wofür steht dieser Kampf um den Wolf?

Benz-Schwarzburg: In der Debatte wird überdeckt, dass es stark um wirtschaftliche Interessen geht. In anderen Ländern wurde viel früher über Lösungen nachgedacht, das wurde hier verabsäumt. Wenn wir Biodiversität wollen und der Wolf wichtig ist für die Balance in der Natur und wenn wir gleichzeitig die Almwirtschaft der Bauern erhalten wollen, dann müssen wir eben investieren in Lösungen, die das Wohl der Schafe und das Wohl der Wölfe berücksichtigen. Stattdessen werden Ängste medial geschürt. Es wird völlig verkannt, wie sehr der Mensch den Lebensraum des Wolfes eingeschränkt hat. Wir tun so, als ob ein Tier zurückkommt und unseren Lebensraum bedroht. Wir wollen den Wolf in die Wildnis zurückdrängen, aber die Wildnis, die gibt es so gar nicht mehr. (Anna Giulia Fink, 18.3.2023)