In den Abendstunden des 14. März herrscht in Wiens Sicherheitsbehörden eine ungute Stimmung. Unter Staatsschützern kursierte ein "unkonkreter, aber ernstzunehmender" Hinweis auf eine potenzielle Terrorgefahr. Die erhaltenen Informationen deuteten auf mehrere IS-Anhänger hin, die sich in Europa befänden – möglicherweise seien sie im Besitz von Waffen und Sprengstoff. Ob sich bereits Verbindungsleute in Wien aufhalten, ist unklar. Die Polizei in der Hauptstadt und die Antiterroreinheit der Cobra werden instruiert, sich tags darauf präventiv großflächig in Wien zu postieren, damit der Zugriff auf mögliche Gefährder rasch erfolgen könne.

Um 9.53 Uhr informiert die Wiener Polizei erstmals auf Twitter über den Einsatz. "Grund ist eine nicht näher konkretisierte Anschlagsgefahr gegenüber Kirchen", schrieb die Exekutive. Das geschah zum Ärger manch anderer im Sicherheitsbetrieb offenbar ohne Abstimmung. Kritiker sahen noch keine Notwendigkeit einer Medienarbeit und dafür, ein potenzielles Terrorrisiko zu kommunizieren. Von einem Alleingang will bei der Polizei allerdings niemand etwas wissen.

Die Gefährdungslage war in Wien zwischenzeitlich "erhöht abstrakt", Bewachungs- sowie Kontrollmaßnahmen blieben bis Donnerstagabend aufrecht. (Archivaufnahme)
Foto: APA/ Roland Schlager

Sieben Minuten später tritt im Parlament der Rechnungshofausschuss zusammen. Erster Tagesordnungspunkt: Cybercrime mit Innenminister Gerhard Karner (ÖVP). Anwesende Mandatare berichten von einem Ressortchef, der nicht den Eindruck mache, dass parallel gerade ein Anti-Terroreinsatz laufe. Karner sei seelenruhig dagesessen. Als er zwischendurch auf den Einsatz angesprochen worden sei, habe er lapidar entgegnet, dass er die erhöhte Gefährdungslage zuletzt immer wieder angesprochen habe. Darüber hinausgehende Details nannte Karner nicht. Von seinem Büro wird das nicht dementiert. Der Minister sei aber jedenfalls "zeitgerecht" über die drohende Gefahr informiert worden.

Derweil beginnt sich das Spekulationskarussell immer stärker zu drehen. Der Boulevard gelangt schnell an Informationen, die noch nicht offiziell verifiziert sind, wird im Hintergrund moniert. Manches davon habe auch nicht ganz den Tatsachen entsprochen. Für Außenstehende lässt sich nach dem Ausgangstweet der Polizei nicht ansatzweise eruieren, wie es um die Gefahrenlage in Wien wirklich steht und wie darauf reagiert werden soll. "Leute in Panik zu versetzen, ohne dass damit irgendeine Aufforderung verbunden ist, ergibt keinen Sinn", twitterte der deutsche Terrorismusexperte Peter R. Neumann. "Es macht die Arbeit der Polizei eher schwieriger."

"Wenn Polizeieinsätze diffus bleiben, überlässt man die Deutungshoheit anderen. Dann entstehen schnell Gerüchte."
Terrorexperte Nicolas Stockhammer

Der Experte Nicolas Stockhammer vom Department für Rechtswissenschaften und Internationale Beziehungen an der Universität für Weiterbildung Krems ist der Meinung, dass die Information der Polizei präziser hätte ausfallen können. Grundsätzlich sei es zu begrüßen, wenn die Polizei größere Einsätze mit Tweets begleite oder etwa damit verbundene Straßensperren kundmache. Diese Onlinemaßnahmen seien auch international längst üblich. "Aber wenn die Information über einen Polizeieinsatz unpräzise und diffus bleibt, überlässt man die Deutungshoheit anderen Stellen. Dann entstehen schnell Gerüchte, die die Bevölkerung verunsichern und für den Einsatz selbst wiederum kontraproduktiv sein können", betont Stockhammer im Gespräch mit dem STANDARD.

Die erratische Medienarbeit sorgte vor allem für Verwirrung und für Verunsicherung. Auch bei den Kirchen, die als potenzielles Anschlagsziel genannt wurden: Viele waren über die offenbare Gefahrenlage im Unklaren, wie ein STANDARD-Rundruf am Mittwoch zeigte. Erst einige Zeit später teilte Michael Prüller, Sprecher der Erzdiözese Wien, mit, dass keine Kirchen geschlossen werden müssten, "da die Attentatsgefahr nicht so evident ist". Zwar werde stärker kontrolliert, Messen würden aber ganz regulär stattfinden.

Wozu also die offensive Kommunikation? Hierfür hatte die Wiener Polizei via Twitter eine Erklärung parat: "Niemand liest so etwas gern. Nur: Großes Polizeiaufgebot mit Sonderausrüstung verunsichert die Menschen erfahrungsgemäß, sie fragen nach, was los ist. Wir versuchen hier transparent zu kommunizieren, was der Grund dafür ist, um auch Gerüchten entgegenzuwirken", schreibt die Polizei auf der Social-Media-Plattform. Ob dieses transparente Vorgehen im Einklang mit dem Ministerium oder im Alleingang geschah, ist noch die Frage. Laut Informationen des STANDARD dürfte eine Evaluierung bereits laufen. Unter Sicherheitsbeamten herrscht durchaus Unzufriedenheit darüber, dass nun einmal mehr nicht das rasche Handeln der Behörden im Fokus steht – vor allem nach den Fehlern rund um den jihadistischen Anschlag vom 2. November 2020 –, sondern die Kritik an der offensiven Kommunikation.

Syrischer Bürgerkrieg

Es war jedoch nicht nur die Art und Weise der Medienarbeit. Auch inhaltlich präzisierte die Polizei erst einen Tag später. War zunächst von Kirchen als potenziellen Anschlagszielen die Rede, hieß es am Donnerstag: Eine neuerliche Gefährdungseinschätzung habe ergeben, dass die Bedrohung "insbesondere aufgrund des Jahrestags des Bürgerkriegs in Syrien primär syrische Einrichtungen betrifft". Die Gefährdung selbst werde immer noch als "erhöht abstrakt" bewertet.

Am Donnerstagabend gab der Staatschutz dann Entwarnung: "Eine aktualisierte Gefährdungseinschätzung der DSN lässt nun eine Reduktion dieser Maßnahmen zu", sagte Polizeisprecher Daniel Fürst (David Krutzler, Jan Michael Marchart, Michael Simoner, Elisa Tomaselli, 17.3.2023)