Liv Strömquist, Comiczeichnerin.

Foto: Maja Flink
Im sehr unterhaltsamen Comic von Liv Strömquist wird die Frage, was das Mainstream- Interesse an Astrologie mit unserer Gesellschaft zu tun hat, von Theodor W. Adorno erläutert.
Foto: Avant-Verlag

Liv Strömquists Comics funktionieren wie Kabarett, "wenn ihr versteht, was ich meine". Die Dosierung von Witz und Sarkasmus beherrscht sie virtuos. Aber im Ernst, was hat die schwedische Zeichnerin, Soziologin und Feministin geritten, dass sie einen Band über Sternzeichen, prädestinierte Eigenschaften und Verhaltensweisen von Menschen gemäß den Regeln der Astrologie vorlegt?

Seit Jahren ist Strömquist international berühmt für ihre scharfsinnigen, feministischen Comics. Nach ihren aufsehenerregenden Bänden Der Ursprung der Welt, Der Ursprung der Liebe und einigen weiteren erscheint nun mit Liv Strömquists Astrologie ihr sechster Band auf Deutsch. Tatsächlich steigt ihr Comic unvermittelt in den Tierkreis ein, von Sternzeichen zu Sternzeichen serviert die Autorin den Leserinnen je einen Steckbrief, auf den sie dann angewandte Beispiele folgen lässt. Dass Astrologie und insbesondere Astrologie-Apps im digitalen Raum seit geraumer Zeit eine ungeahnte Blüte erleben, mag das Interesse der Zeichnerin erklären.

Foto: Avant-Verlag

Schnoddrig-apodiktische Festschreibungen

Widder: "dominant", "reizbar", "grillen"; Zwillinge: "labert einfach drauflos", "doppelzüngig", "schwatzt sich hoch, z. B. ins Weiße Haus"; Krebs: "ist immer noch sauer wegen einer Sache von 1996", "schließt sich im Badezimmer ein", "stichelnde Andeutungen"; Löwe: "schmeißen völlig übertriebene Geburtstagspartys", "Shopaholics", "Social-Media-süchtig" ... Entgegen den auf die eigene Person exakt zugeschnittenen Horoskopen, die aktuelle Apps versprechen, bedient sich Strömquist schnoddrig-apodiktischer Festschreibungen, zielt mit Vorliebe auf extreme, von Zwang getriebene Erscheinungen ab und parodiert auf diese Weise lustvoll das Genre der Zeitungshoroskope.

Das Spiel, das sie treibt, beherrscht die Autorin. Das Instrumentarium kennt man aus bisherigen Comics: Sie enthierarchisiert die Weltgeschichte, stellt etwa Marc Aurel neben Melania Trump, vergleicht Unvergleichliches und versteht sich auf die Kunst und Komik des Herunterbrechens. Was verbindet Wim Hof, den Weltrekordhalter "im stundenlangen Sitzen im Fass mit Eiswürfeln", mit Queen Elizabeth II., "die sich einen apricotfarbenen Hut mit Schleier nach dem anderen auf das immer weißer werdende Köpfchen setzte und 79 Jahre lang ununterbrochen ihrem Volk zuwinkte – ohne ein einziges Mal die Fassung zu verlieren oder zusammenzubrechen"? Beide sind bzw. waren "natürlich Stier" und folglich "Durchhalter". Diese Eigenschaft stellt sie in eine Reihe mit Marc Aurel, dessen Texte sich darum drehen, "wie man Sachen aushält", und Melanie Trump, "die absolut krasseste Stoikerin unserer Zeit".

Liv Strömquist, "Astrologie". Aus dem Schwedischen von Katharina Erben. € 22,– / 176 Seiten. Avant-Verlag, 2023
Foto: Avant-Verlag

Marc Aurel und Melania Trump

Dass die Figuren überwiegend der Promi-Riege entstammen, gibt der Autorin Gelegenheit für sarkastische Seitenhiebe und Sozialkritik, die Durchleuchtung toxischer Beziehungsstrukturen, die im Zeichen aller Sterne gedeihen, oder "scharlatanartiger" Marketingstrategien von Stars wie Kim Kardashian oder Gwyneth Paltrow, die unter dem Siegel "self-love" oder "female power" gezielt "unglückliche Frauen um ihr Erspartes bringen". Genauso grell wie die Beispiele sind Kolorierung und Kontraste im Comic. Sie sind ebenso Mittel, um die Textlastigkeit abzufedern. Dazu dient auch der laufende Wechsel an Schriftarten wie die Aufsplittung der Sprechblasen. Wie um sich der Verdaulichkeit ihrer Botschaften zu vergewissern, jagt Liv Strömquist ihre Texte mitunter durch einen Trakt aus Mägen und Gedärmen ihres Sprechblasensystems. Zwischendurch jedoch ermüden die kritischen Seitenblicke schon auch an der Grenze zum Tratsch.

Am Ende folgt, in einen eigenen Comic verpackt, dann doch eine Schleife: "Wie kommt es, dass Menschen, ca. 300 Jahre nach der Aufklärung, sich noch immer mit Astrologie beschäftigen?" Mit Rückgriff auf einen soziologischen Essay Theodor W. Adornos aus den 1950er-Jahren und eine Analyse des zeitgenössischen Soziologen Aris Komporozos-Athanasiou erörtert die Autorin die Frage, was das Mainstream-astrologische Interesse mit unserer Gesellschaft zu tun hat. Stellt es eine Reaktion auf die "radikale Unsicherheit" unserer Zeit dar, auf die das Individuum homöopathisch spekulativ reagiert, also den Kopf in den Sand steckt? Oder ist es ein Spiel, das die humorbefreiten Professoren der Soziologie nicht verstehen? (Martin Reiterer, 18.3.2023).