Im zweisprachigen Unterkärnten ist die gemeinsame Erinnerungskultur schwach ausgeprägt. Sinnbild ist ein Naturbadesee: früher hieß er Sablatnigsee, heute kennt man ihn als Turnersee.

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Die spätwinterliche Schneedecke lässt die Grenzen zwischen See, Moor und Wiesen verschwinden. Sonja Kert-Wakounig stapft in warmer Montur durch das knöchelhohe Weiß. Der Schnee macht ihr nichts aus. Unbehagen bereitet ihr dagegen ein Haus, konkret ein Ferienheim: das Karl-Hönck-Heim am sogenannten Turnersee, einem Badesee südöstlich von Klagenfurt.

"Näher muss nicht sein", sagt die Kärntnerin lächelnd und macht auf ihrem Spaziergang kehrt, bevor sie in Grundstücksnähe kommt. Es sind nicht die Schilder "Videoüberwachung" oder "Zutritt verboten", die sie stören, sondern die Geschichte des Heims: Denn es ist nach dem Nationalsozialisten Karl Hönck benannt – der, wie viele, zur Vertreibung des Slowenischen in diesem zweisprachigen Teil von Unterkärnten beigetragen hat.

Seine Wolfsberger Turnergruppe hatte den Sablatnigsee, auch Zablaško jezero, 1932 erworben und den slowenisch anmutenden Namen auf Turnersee geändert – und damit einen Ort begründet, an dem in Sommerlagern deutschnationale Erziehung über Jahrzehnte im Vordergrund stand. Das ist zum Teil noch heute der Fall.

Betreten verboten

"Der Name ist ein überholtes Nazi-Relikt", sagt Kert-Wakounig, die sich für eine geschichtliche Aufarbeitung und Umbenennung des Heims einsetzt – bisher erfolglos. Die 52-jährige Dolmetscherin ist für die zweisprachige Liste in der Gemeinde Sankt Kanzian aktiv und kämpft für die Rechte ihrer Volksgruppe: die tausenden Österreicher, deren Familien seit jeher im ländlichen Koroška, gemeinhin als Kärnten bekannt, leben – aber für die nicht die südbairische Kärntner Mundart, sondern slowenische Dialekte bzw. Slowenisch Muttersprache ist. Früher war die Region überwiegend von Kärntner Sloweninnen und Slowenen bewohnt, heute ist das in den meisten Gemeinden nicht mehr der Fall.

Auch rund um den Turnersee, wo heute immerhin einige Ortsbezeichnungen, wie per Verfassung vorgeschrieben, zweisprachig sind. Gründe gibt es dafür viele: Nazi-Terror, Assimilierungsdruck, erschwerte Bildungs- und Amtswege, Schikane, die in Form des Ortstafelsturms am Turnersee besonders wütete, und Abwanderung.

Die Kärntner Slowenin und Lokalpolitikerin Sonja Kert-Wakounig kritisiert, dass die NS-Vergangenheit hier nicht ausreichend thematisiert wurde und pocht auf Aufarbeitung und Umbenennung.
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Seit dem Ortstafelkompromiss 2011 ist es um die autochthone Minderheit ruhig geworden: "Es sind aber längst nicht alle Rechte erfüllt und Wunden geheilt", sagt Kert-Wakounig. Dabei helfen auch die Turnlager nicht, sagt sie und zeigt auf eine verschneite Wiese: "Genau dort sind Gäste im Sommer wieder Zeugen geworden, wie Turner in Lagermanier einschlägige Lieder deutschnationaler Art gesungen haben – etwa über einen Anschluss Südtirols."

Wind der Veränderung

Rückenwind bekommt Kert-Wakounig vom Kärntner Autor Wilhelm Kuehs, der die Um- bzw. Rückbenennung des Sees fordert. In einem Mitteilungsblatt des deutschnationalen Kärntner Heimatdienstes sprach sich auch der Slowenenvertreter Marjan Sturm für das sprachenübergreifende "Zablatniško jezero / Sablatniksee / Turnersee" aus – und für die kritische Betrachtung der gemeinsamen Vergangenheit.

STANDARD-Informationen zufolge dürften die Diskussionen nun erstmals Früchte tragen. Auf Nachfrage bei dem von Hönck gegründeten Verein Kärntner Grenzland (VKG), der immer noch See und Heim besitzt, erklärt Obmann Klaus Kinzer, dass der VKG erkannt habe, dass die fehlende Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit ein Problem sei. Zudem erschwerten die Debatten den Vereinszweck: friedliche Ferien- und Schullandwochen. Er habe daher einen "internen und nicht einfachen Prozess für ein neues Leitbild initiiert". Konkret heißt das: Auch Namensänderungen liegen auf dem Tisch.

Änderungsprozess schon im Gange

Ob es sich dabei bloß um die Umbenennung des Heims und seiner Räumlichkeiten handelt oder gar um den See, wollte Kinzer mit Verweis auf den noch offenen Prozess nicht beantworten. Die Anderluhhalle, benannt nach dem Kärntner NS-Reichsmusikkammerleiter Anton Anderluh, hat Kinzer, der den KGV seit 2019 leitet, bereits umbenannt – trotz Unmuts in den eigenen Reihen. Bis Herbst werde man die Ergebnisse der Zusammenarbeit mit dem Kärntner Landesarchiv, die eine objektive und zeitgemäße Betrachtung ermöglichen soll, präsentieren.

Die NS-Zeit hat auch am Turnersee ihre Spuren hinterlassen – davon zeugen der Name des Sees und das Karl-Hönck-Heim. Das dürfte sich bald ändern.
Foto: Flora Mory

Eine Absage von Turnerlagern werde aber nicht diskutiert; Beschwerden über Inhalte seien an den Österreichischen Turnerbund (ÖTB) zu richten. 2021 waren Fotos von Aktivisten aus dem Umfeld der rechtsextremen Identitären auf einem Turnerseelager des ÖTB, der nach eigenen Angaben für "die Pflege des deutschen Volkstums" eintritt und sich dabei zur "Republik und ihrer Verfassung bekennt", aufgetaucht. Der miete aber auch einen Lagerplatz in der Nähe, sagt Kinzer und distanziert sich seitens des VKG von dem Bericht.

Keine rechtlichen Schranken

Jedenfalls sind wohl zumindest die Weichen für einen ersten Durchbruch gestellt: Denn bisher hatten Gemeinde und Land bei Forderungen nach Umbenennung abgewunken, weil See und Heim im Privatbesitz seien und man keinen Einfluss darauf habe. Das bestätigt Verfassungsexperte Bernd-Christian Funk: Wer einen See besitze, dürfe ihn nennen, wie er will. Dafür gebe es keine rechtlichen Verfahren.

Viele historische Fakten sind jedenfalls schon lange bekannt: etwa, dass der Namensgeber Hönck ab 1931 Mitglied der NSDAP und ab 1933 der SS war. Und dass unter seiner Leitung Sommerlager und vormilitärische Schulungen stattfanden, um massenweise Jugendliche für den Nationalsozialismus zu gewinnen. Das hat unter anderem der Kärntner Historiker Christian Klösch herausgefunden.

NS-Propaganda am See

Wie aus Zeitdokumenten hervorgeht, auf die Klösch im STANDARD-Gespräch verweist, verstanden sich die Turner als Speerspitze im "Volkstumskampf" – sprich: bei dem Vorhaben slowenische mit deutscher Kultur zu ersetzen.

Das hatte in Kärnten Methode, obwohl die damals mehrheitlich slowenischsprechende Bevölkerung bei der Volksabstimmung 1920 – nach dem Zerfall Österreich-Ungarns und der Besetzung Südkärntens durch das Königreich Jugoslawien – dafür gesorgt hatte, dass die Region Österreich zugesprochen wurde. Dafür wurden ihnen der Gebrauch ihrer Sprache und ihre "nationale Eigenart" zugesichert.

Doch es kam bekanntlich anders: Kärnten wurde in der Zwischenkriegszeit zur Hochburg deutschnationaler Parteien und der Nationalsozialisten, die eine aggressive Germanisierungspolitik betrieben. Erst schleichend, sagt Klösch: "Etwa mit dem Aufkauf slowenischer Höfe. Wegen der Wirtschaftskrise waren etliche verschuldet und wurden an Deutsche vermittelt. Später kamen die Deportationen, Konzentrationslager und die Vernichtung."

Der Turnersee/Zablaško jezero liegt mitten in einem Naturschutzgebiet am Fuße der Karawanken.
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Aus seinen Recherchen geht hervor, dass der Turnlehrer Hönck mit Schülern aus Wolfsberg Ausflüge im 50 Kilometer-entfernten Südkärnten machte, wo sie Gefallen am Sablatnigsee fanden. Später wird ein NSDAP-Blatt von ihrem "Kampf um den See" erzählen: konkret davon, dass die Turner zurückkehrten und sich um das Vertrauen der "windischen Bauern" (veraltete und sehr umstrittene Bezeichnung für Slowenisch; Anm.) bemühten und den See so nach zähen Verhandlungen einer Adelsfamilie abkaufen konnten. Dabei bekam Hönck Hilfe vom späteren Gauleiter und Kriegsverbrecher Friedrich Rainer. Ihm selbst wurden nie Verbrechen nachgewiesen; er lebte bis zu seinem Tod 1986 am See, wo man ihn "Oberst" nannte und posthum dem Heim seinen Namen gab.

"Wir haben gelernt, Tür an Tür zu leben, einander zu helfen und zu grüßen", sagt seine einstige Nachbarin Maria Kap. "Man kann Nachbarn verzeihen, auch, dass sie Nazis waren", sagt die 77-jährige Kärntner Slowenin und Tochter von KZ-Überlebenden. Aber vergessen könne sie nicht, fügt sie hinzu und greift sich an den Brustkorb, als schmerze der Gedanke an das Leid der Eltern immer noch. Deshalb habe sie das Heim trotz Einladungen bisher noch nie betreten. (Flora Mory aus Sankt Kanzian/Škocjan, 19.3.2023)