Man könnte meinen, es stehe im österreichischen Staatsvertrag, dass jede Familie irgendwann ein Einfamilienhaus bekomme, witzelte der in Amstetten geborene Ökonom Gernot Wagner auf einer Veranstaltung des niederösterreichischen Architekturnetzwerks Orte zum Thema Bodenverbrauch.

Der 42-Jährige forscht an der Columbia Business School und lebt mit seiner Frau und zwei Kindern in einer 70-Quadratmeter-Wohnung in Manhattan. Für ihn ist klar: "Dichte ist Teil der Lösung in Sachen Klimaschutz", und dabei berichtet er, wie es seiner Familie auf wenig Platz ergeht und dass ein Zusammenleben möglich ist, wenn auch nicht jedes Kind sein eigenes Zimmer hat. "Es geht um die Lebenseinstellung", sagt er.

Weit entfernt

In St. Pölten, wo Wagners Zuhörerinnen sitzen, ist das für viele noch unvorstellbar. Österreich ist zersiedelt, der Bodenverschleiß ein Problem – darin sind sich an diesem Tag alle einig. Laut Umweltbundesamt liegt der jährliche Bodenverbrauch bei 41 km², das Regierungsprogramm sieht eine Reduktion auf neun Quadratkilometer jährlich vor.

Doch das scheint weit entfernt. In Österreich sei schon die Grundeinstellung vieler ein Problem, sagt Martin Strele, Obmann des Vereins Bodenfreiheit aus Vorarlberg: "Oft heißt es, eine Fläche sei ‚noch‘ Freiland. Doch wir müssen mit diesem Denken brechen – nicht jede Freifläche wird irgendwann zum Bauland."

Nicht jeder Acker wird irgendwann zu Bauland, auch wenn viele davon ausgehen.
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Deshalb kauft der Verein mittels Spenden Grundstücke, um sie freizuhalten, dass niemand sonst sie versiegeln kann. Man wolle die Menschen aufrütteln und sie auch dazu bewegen, selbstkritisch über ihr eigenes Eigentum nachzudenken, sagt Strele. Auch die Landwirtschaftskammer Vorarlberg und einige politische Vertreter sind bereits Mitglieder des Vereins. Dieser hat sich zum Ziel gesetzt, der Politik Hoffnung zu machen, dass auch die schwierigen und unliebsamen Entscheidungen, die sie zum Wohle des Klimas treffen muss, von der Bevölkerung verdaut werden können, erklärt Strele: "Es gibt viele Menschen da draußen, denen der Schutz des Bodens wichtig ist."

So ist es dem Verein etwa gelungen, die Firma Ölz dazu zu bringen, ihre Pläne für eine einstöckige Biomilchzopf-Fabrik auf einer Grünfläche zurückzuziehen und auf einer bereits gewidmeten Fläche im schon bebauten Gebiet dreistöckig neu zu entwerfen: "Wir sehen nicht ein, warum Private ins Bauland hin eingezwungen werden und für die Wirtschaft andere Regeln gelten", sagt Strele. Er kritisiert, dass der Landesrat für Wirtschaft in Vorarlberg auch für Raumplanung zuständig ist, und ergänzt: "Aber wir schauen ihm auf die Finger."

Sanfte Verdichtung

Einfamilienhausgebiete könnten auch sanft nachverdichtet werden und so, dass alle damit glücklich sind, weiß Strele und berichtet von einem Projekt in Götzis, bei dem gemeinsam mit den Einwohnerinnen von sechs Einfamilienhäusern ein Nachverdichtungskonzept erstellt wurde, das 24 neue Wohneinheiten vorsieht – "ohne dass der geliebte Nussbaum oder ein einziger Ziegel versetzt werden musste". Wer bedächtig mit den Wünschen der Bewohner umgehe, könne erreichen, dass auch sie die Vorteile der Nachverdichtung erkennen: "Sie bringt Nähe, Nachbarschaft, Beziehung, Austausch und Gespräche."

Auch wenn es in Österreich schwer vermittelbar ist, müsse die öffentliche Hand ins Privateigentum eingreifen – das trauen sich einige Experten auf dem Podium zu sagen. "Es ist nicht gottgegeben, dass jeder auf der Welt Grund und Boden besitzt", sagt Strele und ruft zu mutigen Gedankenexperimenten auf: "Wie wäre es, wenn wir Besitz loslassen und stattdessen Nutzungsrechte für alle Grundstücke einführen?"

Der Verein Bodenfreiheit in Vorarlberg kauft Flächen, um sie vor einer Bebauung zu bewahren.
Foto: Verein Bodenfreiheit

Wo gebaut und wie viel Boden versiegelt wird, entscheiden in Österreich die Gemeinden und Bürgermeister. Häufig fehlt ihnen allerdings das nötige Fachwissen dafür, weiß Elias Molitschnig vom Land Kärnten und erzählt: "Es kommt vor, dass Gemeinderatsmitglieder gar nicht verstehen, worum es geht. Sie heben bei der Abstimmung dann einfach die Hand, wenn der Bürgermeister es auch tut." Molitschnig hat auch schon erlebt, dass für Verkehrsplanung zuständige Mitarbeiter nicht wussten, was sie mit dem Thema Baukultur zu tun haben.

Genau dort wollte man in Kärnten ansetzen und bietet nun Crashkurse für Verwaltungsangestellte und Bürgermeisterinnen an. Wenn diese Wissenslücken nicht gefüllt werden, so Molitschnig, "produzieren wir weiterhin Papier für die Schubladen" – und damit die Versiegelung wertvoller Böden. (Bernadette Redl, 19.3.2022)