Anton Mattle setzt das Klimathema ganz oben auf seine politische Agenda. Die Verbrenner-Liebe von ÖVP-Chef Karl Nehammer teilt der Tiroler Landeshauptmann nicht. Er sei ein "totaler Fan von Elektromobilität". Außerdem ist er froh, dass er in Tirol keine Proporzregierung bilden musste.

STANDARD: Sie sind jetzt fast fünf Monate im Amt. Wie fällt Ihre erste Zwischenbilanz aus?

Mattle: Es geht mir sehr gut. Natürlich bin ich in meiner Arbeit mit Sorgen und Baustellen konfrontiert, aber ich habe ein Talent, auch das Positive im Alltag zu erkennen. Vieles ist bereits auf Schiene.

STANDARD: Keine Wahl-Nachwehen? Sie haben bei der Landtagswahl im September mit einem satten Minus von 9,55 Prozentpunkten das bisher schlechteste ÖVP-Ergebnis eingefahren.

Mattle: Wir haben Vertrauen verloren. Aber nicht jeder Verlust ist eine Niederlage. Bei uns ist die Botschaft angekommen. Wir gehen auf die Menschen zu. Parteiintern hat die Ursachenforschung begonnen, und ich kann mit meiner Persönlichkeit dazu beitragen, Vertrauen zurückzugewinnen.

Anton Mattle will Akzente vor allem im Bereich der Energiewende setzen.
Foto: Michael Kristen

STANDARD: Wie läuft die Zusammenarbeit mit der SPÖ in der Landesregierung?

Mattle: Wir können gut miteinander, die Zusammenarbeit ist vertrauensvoll und produktiv. Von acht Regierungsmitgliedern sind sechs neu. Es braucht seine Zeit, bis man den nötigen thematischen Tiefgang hat. Nichtsdestotrotz haben wir schon viel erreicht.

STANDARD: Ihre Parteikollegin Johanna Mikl-Leitner hat am Freitag eine Koalition mit der FPÖ präsentiert. Sie hingegen haben sich schon früh im Wahlkampf klar gegen eine Zusammenarbeit mit den Freiheitlichen ausgesprochen. Was sagen Sie zu Schwarz-Blau in Niederösterreich?

Mattle: Ich habe in Tirol meine Position zu Schwarz-Blau sehr klar gemacht, und ich stehe nach wie vor dazu. Von Tirol aus will ich meinen Parteikollegen in Niederösterreich aber nichts ausrichten, weil eine Regierungsbildung immer eine Herausforderung ist.

STANDARD: Bei Amtsantritt haben Sie einen neuen Stil in der Zusammenarbeit mit der Opposition versprochen. Geht dieses Versprechen auf?

Mattle: Mit Blick nach Niederösterreich bin ich froh, dass wir in Tirol ein klares Mehrheits- und kein Proporzsystem haben. Die Strukturen sind klar: Es gibt die Regierenden und die Opposition – dass aus deren Reihen Kritik kommt, liegt in der Natur der Sache.

STANDARD: Ihr Parteichef, Bundeskanzler Karl Nehammer, hat unlängst eine Zukunftsrede an die Nation gerichtet. Wie fanden Sie die?

Mattle: Ich habe da und dort unterschiedliche Zugänge. In Bezug auf das von Karl Nehammer angesprochene Verbrenner-Aus halte ich fest: Ich bin ein totaler Fan von Elektromobilität. Aber ich verlange Technologieoffenheit. Ist es die Brennstoffzelle oder die Batterie, die künftig den Elektromotor antreibt? Wie geht es mit E-Fuels weiter? Vieles wissen wir heute noch nicht. Wenn wir vom Verbrennungsmotor sprechen, gehe ich davon aus, dass der zur Gänze dekarbonisiert sein muss. Weniger CO2-Ausstoß bedeutet mehr Klimaschutz. Und das muss das große gesellschaftliche Ziel sein.

STANDARD: In seiner Rede bezeichnete Nehammer die Warnungen von Wissenschafterinnen und Aktivisten in Bezug auf die Klimakrise als "Untergangsapokalypse". Hat Sie das überrascht?

Mattle: Es gibt in unserer Partei unterschiedliche Zugänge, das ist mir bekannt. Der Klimawandel ist ein wahnsinnig wichtiges Thema. Es muss uns gelingen, große Teile der Bevölkerung dafür zu sensibilisieren und mitzunehmen. Damit verbundene Ängste dürfen nicht geschürt werden. Das führt zu Konfrontation, dann kommen wir nicht mehr weiter. Deshalb ist für mich das richtige Maß, auch in der Wortwahl, essenziell. Dass auf den Klimawandel aufmerksam gemacht wird, ist in Ordnung. Straßenkleben habe ich als Mitglied einer Einsatzorganisation immer abgelehnt.

STANDARD: Hat der Kanzler Ängste geschürt?

Mattle: Die Wortwahl ist ganz entscheidend. Und es kommt auch auf den Betrachtungswinkel an, da habe ich aber weniger den Kanzler gemeint. Auch Begriffe wie die "letzte Generation" lösen Ängste aus.

STANDARD: Was wären Ihre Eckpunkte einer Zukunftsrede für Tirol?

Mattle: Meine Zukunftsvision lautet: Wir schaffen die Energiewende und damit einen großen Beitrag zum Klimaschutz. Davon bin ich felsenfest überzeugt. Ich will Botschafter sein – für den Ausbau der erneuerbaren Energien. Wir haben großes Potenzial, und zwar nicht nur im Bereich der Wasser-, sondern auch der Sonnenkraft. Und auch das ein oder andere Windrad kann ich mir in Tirol vorstellen. Aber nur weil es gerade schick ist, über Windkraft zu reden, heißt das noch lange nicht, dass es überall funktioniert. Innsbruck mit starkem Föhn ist anders als das Burgenland, wo eine permanente Brise weht.

STANDARD: In der ersten Regierungsklausur Mitte Jänner haben Sie ein umfangreiches Paket zum Ausbau erneuerbarer Energien präsentiert. In welchen Bereichen hinkt man noch hinterher?

Mattle: Vieles dauert einfach seine Zeit. Der Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung beispielsweise. Die Kick-off-Sitzung hat stattgefunden. Doch es gibt noch offene Fragen: Wie können wir die nötigen Strukturen aufbauen? Wie gelingt es uns, das notwendige Personal zu finden? Das ist ein Prozess, der nicht in einem Monat abgeschlossen ist. Manche Herausforderungen haben wir geerbt.

STANDARD: Etwa Transit, ein Dauerbrenner.

Mattle: Ja, der Gegenwind ist massiver als in den Jahren zuvor. Matteo Salvini (der italienische Verkehrsminister, Anm.) poltert fast jede Woche gegen Tirol und stellt alles infrage, was bis dato auf den Weg gebracht wurde. Hier gilt es, klare Kante zu zeigen. Die Zunahme des Lkw-Verkehrs von und nach Italien ist nicht mehr vertretbar. Wir müssen gemeinsame Wege finden. Tirol schafft das nicht allein.

STANDARD: Wie lauten Ihre Vorschläge für die grenzüberschreitende Zusammenarbeit?

Mattle: Die Brennerroute muss unattraktiver gemacht werden, außerdem muss der Verkehr entzerrt werden. Notwehrmaßnahmen wie die Lkw-Blockabfertigung, die ja in Wahrheit ein intelligentes Dosiersystem ist, stehen nicht zur Debatte.

STANDARD: Ebenso brandaktuell: die anstehende Generalsanierung der Luegbrücke. Die Anrainergemeinden pochen weiterhin auf eine Tunnellösung, die Asfinag und die grüne Verkehrsministerin Leonore Gewessler sind für eine Brückensanierung. Wie laufen die Verhandlungen?

Mattle: Mittlerweile ist die Zeit leider so weit fortgeschritten, dass man nur mehr von technischen Lösungen sprechen kann. Laut Sachverständigen ist 2025 das Ende der Nutzungsdauer erreicht. Wenn Einspurigkeit unvermeidbar ist, dann hoffentlich möglichst kurz.

STANDARD: Abschließend noch ein weiterer Blick in die Zukunft, diesmal Ihre persönliche. Wollen Sie 2027 noch einmal kandidieren?

Mattle: Eines habe ich in der Politik gelernt, nämlich: Es braucht vernünftige Zeitfenster, um Dinge auf den Weg zu bringen. Wenn ich gesund bleibe und die Akzeptanz in den eigenen Reihen weiter vorhanden ist, dann ja. Es würde mir große Freude bereiten. (Maria Retter, 19.3.2023)