Popstars oder Charaktere aus Serien können zu regelrechten Freunden werden – obwohl die andere Person nicht einmal von der eigenen Existenz weiß. Dabei handelt es sich um parasoziale Beziehungen.

Foto: Getty Images/StefaNikolic

Wenn zwei Menschen eine Beziehung zueinander haben, beruht diese auf Gegenseitigkeit, das ist für die meisten klar. Doch es gibt auch einseitige Beziehungen, und wir pflegen sie tagtäglich – sogenannte parasoziale Beziehungen. Der Ausdruck beschreibt eine einseitige Beziehung bis hin zur Freundschaft, ohne dass die zweite Partei überhaupt von der Existenz der anderen Personen weiß. In der Regel sind das Beziehungen zu berühmten Persönlichkeiten oder sogar fiktiven Charakteren, etwa aus Fernsehserien. Man hat den Eindruck, die Person zu kennen, und baut Vertrauen zu ihr auf. Dieses Phänomen gibt es immer schon, soziale Medien machen es aber häufiger. Denn durch diese wird die Trennung zwischen Zuschauer und Medienperson immer schwammiger.

Parasoziale Beziehungen für alle

Teenagermädchen, die leidenschaftlich die Stars und Sternchen verfolgen, werden gerne belächelt. Doch parasoziale Beziehungen gibt es bei jedem Geschlecht und in jeder Altersgruppe. Ein typisches Beispiel dafür ist die Beziehung zwischen Fußballfan und Lieblingsteam. Man schreit den Fernseher an, wenn etwas schiefgeht und jubelt, wenn ein Tor fällt. Fußballsuperstar Cristiano Ronaldo hat die meisten Follower überhaupt auf Instagram, dicht gefolgt von Lionel Messi.

Eine parasoziale Beziehung zeigt sich auch in der Tatsache, dass viele nach dem Aufwachen als Erstes die Instagramseite gewisser Influencer und Influencerinnen checken. Ein anderes Phänomen ist, dass man immer wieder die Lieblingsserie schaut, auch wenn man sie schon fast auswendig kennt, weil einen das beruhigt. Das Gleiche gilt, wenn man die Nachrichtensendung nur dann schaut, wenn altbekannte Moderatoren und Moderatorinnen sie präsentieren.

Tatsächlich gibt es "Lieblingscharaktere", das fängt schon beim Geschlecht an. Vier von fünf Männern etwa bauen eine parasoziale Beziehung zu einem anderen Mann auf, wie eine Studie zeigt – siehe Fußballfans. Dazu passt auch, dass sie eher zu realen Menschen Beziehungen aufbauen. Bei Frauen ist das Verhältnis halbe-halbe, sie finden außerdem mehr Gefallen an fiktiven Charakteren.

Lieblingscharaktere

Entscheidend für den Aufbau einer parasozialen Beziehung ist auch die Identifikation, man entdeckt eine gewisse Ähnlichkeit zu sich selbst. Dadurch werden einem etwa Medienpersonen sofort sympathischer. Viele projizieren auch ihre eigenen Eigenschaften auf fiktionale Charaktere und nehmen sie in Folge vermehrt an diesen wahr. Man verspürt regelrecht eine Ähnlichkeit, die gar nicht da ist. Das zeigt etwa eine im Journal "PsycNet" publizierte Studie, die das anhand der Charaktere in der Serie "Games of Thrones" untersuchte. Sieht man die eigenen Eigenschaften in Medienpersonen repräsentiert, macht das diese für einen selbst vertretbarer, man fühlt sich sozial besser akzeptiert.

Der Effekt dieser empfundenen Ähnlichkeit ist besonders stark, wenn man die andere Person nie getroffen hat, da man nicht viele andere Faktoren zu Auswahl hat, um sich ein Bild zu machen. Auch belegte eine Studie, dass die wahrgenommene Ähnlichkeit oft wichtiger ist als die tatsächliche Übereinstimmung von Merkmalen.

Auch Attraktivität ist ein bedeutender Faktor für eine parasoziale Beziehung, wie eine andere Studie untersucht hat. Man baut zu einem Influencer oder einer Influencerin eher eine parasoziale Beziehung auf, wenn diese als attraktiv empfunden werden. Die Relevanz von Attraktivität ist nicht überraschend. Im Schnitt fühlen sich Personen sozial zu attraktiven Menschen eher hingezogen, dies kann man unter anderem auf den sogenannten Halo-Effekt zurückführen.

Beim Halo-Effekt wird von einer Eigenschaft auf die restlichen Eigenschaften einer Person geschlossen. Begegnen wir also einem attraktiven Menschen, vermerkt man dies als positive Eigenschaft. Basierend darauf schließt man, dass wahrscheinlich die anderen Eigenschaften auch positiv sind. Grund dafür könnte sogar unsere eigene Biologie sein – so konnte wissenschaftlich nachgewiesen werden, dass Urteile über Attraktivität und moralische Tugendhaftigkeit in der gleichen Gehirnregion stattfinden.

Diebe, Geheimagenten, Superhelden

Alles in allem mag eine parasoziale Beziehung sehr einsam klingen, wieso also tun wir uns so etwas überhaupt an? Ein Grund dafür ist die Vielfalt an Charakteren, die uns die Medienlandschaft bietet. In unserem Alltag haben wir es meist nicht mit Dieben, Geheimagenten oder sogar Superhelden zu tun. Auch vergleichen wir uns gern. Charaktere, die bewundernswerte Eigenschaften haben, können zur Selbstbesserung motivieren. Medien können also soziale Lehren vermitteln und uns auch helfen. Geht es Charakteren schlecht, können wir trotzdem etwas daraus gewinnen, da sie uns darin bestärken, dass wir es eigentlich gar nicht so schlecht haben.

Weiters hat man über eine parasoziale Beziehung mehr Kontrolle als bei einer interpersonellen Beziehung. Die fehlende Interaktion mit der anderen Hälfte der Beziehung kann Fluch und Segen zugleich sein. In einer parasozialen Beziehung wird das Gegenüber einen eher nicht herausfordern, man weiß im Vorhinein genau, worauf man sich einlässt. Man kann sich einfach von einer Person unterhalten lassen, ohne selbst etwas geben zu müssen.

Das Gute an parasozialen Beziehungen: Trennungsgefühle sind weniger intensiv als bei einer echten Freundschaft, auch das wurde untersucht. Die positiven Empfindungen dagegen sind mit echten Beziehungen vergleichbar. Parasoziale Beziehungen bieten Menschen also Freude und Unterhaltung ohne das Risiko, schwer verletzt zu werden, weil dabei weniger Abhängigkeit entsteht als bei einer interpersonellen Beziehung. Hat man genug von der Medienperson, hört man einfach auf, sie zu konsumieren.

Nichts als Skandale

Dann wäre da noch das Thema Skandale. Denn realen Personen wie Schauspielern, Medienmenschen oder Influencerinnen wird irgendwann ein Fehltritt passieren. Wie gehen die Fans damit um? Anders als bei Freunden und Freundinnen geht man dann eher nicht mit den Stars durch dick und dünn. Viel wahrscheinlicher ist, dass die Intensität der parasozialen Beziehung abnimmt.

Manche Fans lassen sich aber auch durch die Bewerbung eines schlechten Produkts, problematische Äußerungen oder gar Betrug nicht von ihren Stars abbringen. Dann kommt es besonders auf die Motive hinter dem Fehlverhalten an, wie eine Studie untersucht hat. So waren etwa Fans von Sportlern weniger streng als die Allgemeinheit, wenn sie deren Vergehen als schützend angesehen haben. Gleichzeitig waren sie viel strenger, wenn das Vergehen selbstsüchtig war.

Doch parasoziale Beziehungen können auch einen gewissen Realitätsverlust mit sich bringen. Gerade auf Social Media kann es verwirrend werden, Fiktion und Realität können miteinander verschwimmen. In Ausnahmefällen kann es sogar zu Extremhandlungen wie Stalking kommen. Gleichzeitig kann eine parasoziale Beziehung auch für Anerkennung sorgen, etwa für Randgruppen oder soziale Minderheiten. Insgesamt sollte man parasoziale Beziehungen nicht verdammen. Dass man beim Konsum von Medien etwas fühlt und mit einer anderen Personen mitfiebert, spricht nämlich auch für Empathie. (Laura Schnetzer, 26.3.2023)