Erfolgsautor Daniel Glattauer spürt in seinem neuen Roman dem gut gemeinten, aber auch überheblichen Verhalten gegenüber Migrantinnen und Migranten nach.
Foto: APA / Eva Manhart

Nur wenige Autoren verkaufen in Österreich mehr Bücher als er: Seitdem Daniel Glattauer mit Gut gegen Nordwind 2006 einen Bestseller landete, genießen seine heiteren Beziehungsgeschichten Kultstatus. Glattauers neuer Roman zeigt jetzt eine neue, politischere Seite des früheren STANDARD-Journalisten: In Die spürst du nicht (Zsolnay) treffen zwei Bobo-Familien auf somalische Flüchtlinge. Mit viel Ironie beleuchtet Glattauer die Scheinheiligkeit eines Milieus, das gern mit dem Zeigefinger auf andere zeigt. Die Videoversion dieses StandART-Gesprächs finden Sie hier.

STANDARD: Ihr letzter Roman ist vor neun Jahren erschienen. Zuvor publizierten Sie beinahe im Jahrestakt. Was ist passiert, haben Sie die Lust am Schreiben verloren?

Glattauer: Nein, aber die Lust an der Routine des Schreibens. Ich habe mich wie in einem Hamsterrad gefühlt, ich schreibe zwar gern, aber die Qualität von Büchern wird nicht besser, wenn man ständig schreibt. In den neun Jahren habe ich allerdings drei Theaterstücke geschrieben, wovon aber nur zwei aufgeführt wurden, mit dem dritten war ich nicht zufrieden. Davon abgesehen, befinde ich mich mittlerweile in einem Alter, wo einem zehn Jahre wie fünf vorkommen.

STANDARD: Stücke schreiben sich so nebenbei?

Glattauer: Ich schreibe nichts "so nebenbei", jeder Satz ist mit viel Anstrengung verbunden. Aber klar, Theaterstücke gehen schneller von der Hand, weil der Bogen ein kleinerer ist. Ein Stück schreibe ich in ein paar Monaten, für einen Roman brauche ich ein Jahr.

STANDARD: Ihr neuer Roman ist politischer als Ihre bisherigen. Eine neue Seite an Ihnen?

Glattauer: Ich war immer ein politischer Mensch. In der Vergangenheit habe ich immer jene Ideen weiterverfolgt, die für mich auch umsetzbar waren. Diesmal war es die Flüchtlingsproblematik, die mich gepackt hat.

STANDARD: Angesiedelt ist Ihr Roman in einer linken Bobo-Blase, die Sie gut kennen, oder?

Glattauer: Stimmt, ich würde für mich nur in Anspruch nehmen, selbst kein Bobo zu sein, aber da werden mir sicher einige widersprechen. Es ist billig, auf rechte Ausländerfeinde hinzuhauen, auch wenn es in der Sache berechtigt ist. Mich hat interessiert, wie sich jene gegenüber Migranten verhalten, die stets mit dem Zeigefinger auf andere deuten.

STANDARD: Sie werfen keinen bösen Blick auf Ihre Figuren, Sie umarmen sie.

Glattauer: Ich kann keinen bösen Roman schreiben, das bin einfach nicht ich. Zwischen den Zeilen liegt aber einiges an Ironie verborgen. Man meint es zwar gut mit Migranten, behandelt sie aber von oben herab und macht am Ende nichts, das ihnen helfen könnte. Ich kenne das gut aus den Kreisen, in denen ich verkehre.

STANDARD: Eine der Romanfiguren ist eine bekannte grüne Politikerin, haben Sie eine Schlüssellochperspektive eingenommen?

Glattauer: Nein, ich habe mir die Personen herbeigeschrieben, auch wenn sie nicht so weit von uns entfernt sind. Vielleicht ist das der Grund, warum meine Romane nie wirklich böse sind. Ich möchte, dass man mit meinen Figuren mitfühlen kann, mit all ihren Stärken und Schwächen.

STANDARD: Im Zentrum des Romans steht eine Flüchtlingsfamilie aus Somalia. Sie kümmern sich seit 2015 gemeinsam mit Ihrer Frau um unbegleitete Flüchtlinge. Flossen diese Erfahrungen in den Roman ein?

Glattauer: Enorm viele. Mich beschäftigen seit Jahren Menschen, die man normalerweise nur vom Wegschauen kennt. Meine Frau und ich begleiten drei somalische Jungs, die mittlerweile erwachsen sind, und ein damals zwölfjähriges afghanisches Mädchen – jetzt ist sie 16 –, das zwei Jahre ohne Eltern in Österreich war, weil diese in einem Lager in Griechenland festgesessen sind. Viele glauben den Erzählungen von Flüchtlingen nicht, deswegen war es mir wichtig, ihre Geschichten zu erzählen. Jeder, der von "Asyltouristen" spricht, sollte sich erst mal mit dem Schicksal dieser Menschen beschäftigen. Mir kommt das Kotzen, wenn ich dieses Wort höre.

STANDARD: Wissen wir zu wenig über die konkreten Schicksale von Flüchtlingen?

Glattauer: Die Medien schreiben darüber, aber es ist noch einmal ganz etwas anderes, wenn man selbst Flüchtlinge kennenlernt und sie begleitet. Ich weiß, wie schwierig und polarisierend die Migrationsthematik ist, aber eines weiß ich ganz sicher: Jene, die da sind, um die müssen wir uns kümmern.

STANDARD: Der Roman besteht aus verschiedenen Textebenen, unter anderem kommen auch Medienberichte darin vor und Postingreaktionen darauf. Warum diese zusätzlichen Ebenen?

Glattauer: Die Meinung der Poster ist prägend. Ich lese die Postings im STANDARD, wenngleich mit gemischten Gefühlen. Man liest sehr kluge Meinungen, aber es gibt Themen, vor allem das Ausländerthema, da bin ich entsetzt, was Menschen von sich geben. In diesen Momenten finde ich es schade, dass Poster nicht zu Klarnamen gezwungen werden. Bei manchen Themen wird von Postern auch gezielt Politik gemacht. (INTERVIEW: Stephan Hilpold, 19.3.2023)