Die Crew vor dem Start, von links nach rechts: Jamie Douglas-Hamilton, Brian Krauskopf, Lisa Farthofer, Mike Matson, Stefan Ivanov, Kapitän Fiann Paul.

Foto: Roger Hyde - Dulabab

Als wir aus der Antarktis losgerudert sind, war ein Sturm. Wir mussten Meter machen, weil aus dieser Bucht Eis abgebrochen und weggetrieben ist, das waren teilweise Eisblöcke wie ein Raumschiff. Du weißt ja nicht, wie weit der unter Wasser geht, also musst du drumherum navigieren. Wir hatten Rückenwind und gute Strömung, es war geil, weil wir die ersten Tage richtig viele Meter gemacht haben.

Wie ich zu dem Ganzen gekommen bin? Olena Burjak, eine bekannte Ruderin, hat mir gesagt: "Es wird sich demnächst wer melden. Das ist kein Schmäh, hör‘ ihm zu." Unser Kapitän Fiann hat mir dann auf Instagram geschrieben. Dass ich Segelerfahrung habe, war ein Plus. Sie haben davor natürlich auch mit anderen Frauen geredet, es gibt stärkere Ruderinnen als mich. Aber die hatten alle Angst vor dem offenen Meer. Mit fünf Männern alleine zu sein, war auch ein Thema. Eine Amerikanerin wollte nicht, weil sie nicht neben den Männern aufs Klo gehen wollte. Für mich war das wurscht, ich habe immer mit Männern trainiert.

Früher Schock

Wir sind zu sechst gestartet, waren aber bald nur mehr zu fünft. Schon als wir zu unserem Startpunkt gesegelt sind, ist es Mike nicht so prächtig gegangen. Danach kam der Stress in der Arctowski-Station in der Antarktis, wo wir das Ruderboot fertig gemacht haben. Ohne Mike wäre die Schüssel nicht geschwommen, er war da der Hauptverantwortliche und hat durchgehackelt. Beim Rudern war er schnell extrem seekrank, dadurch erlitt er einen Riss der Speiseröhre und Verätzungen.

Ich habe mir dann starke Sorgen gemacht, als er sich vor mir übergeben hat und ich gesehen habe, dass Blut dabei war. Da habe ich mir gedacht: "Puh, ich will ihn nicht auf dem Gewissen haben." Wenn du siehst, wie ein 100-Kilo-Prügel verfällt und nicht mehr weiß, wo links und rechts ist, dann sind dir alle Rekorde der Welt egal. Hauptsache, der Mensch kommt wieder in Schwung. Irgendwann war klar: Der erfängt sich nicht mehr, der braucht Infusionen. Wir haben ihn dann auf unser Begleitboot Selma evakuiert. Später hat Mike acht Infusionen bekommen.

Zwei oder drei am Ruder, der Rest in den winzigen Kajüten: So verbringt man eine Woche auf See in der Antarktis.
Foto: studio@ewanharvey.com

Wir hatten zwischen minus fünf und plus zwei Grad. Mit dem Wind hat es sich etwa wie minus zehn angefühlt, auch die extrem hohe Luftfeuchtigkeit ist ein Hund. Im Gegenzug merkst du aber, wie stark die Sonne ist. Wir hatten zweieinhalb Tage Sonne, wettertechnisch sind wir also gut ausgestiegen.

Man schläft in der Expeditionsmontur, ich war die Einzige, die sich einmal umgezogen hat. Wir waren alle unterkühlt, jeder hat Schüttelfrost gehabt. Du sagst dir selbst: "Es ist warm, mir geht’s gut, es ist ja gar nicht kalt." Wenn du dir das selbst immer wieder vorsagst, glaubst du es irgendwann. Da gibt’s Unmengen an Spielchen, die du mit dem Hirn machen kannst.

Das Schlimmste, das passiert ist? Am zweiten Tag hat es den Kübel weggespült, und wir hatten kein Klo mehr. Dann haben wir nur noch einen Ersatzkübel gehabt. Das war amüsant, aber zugleich traurig. Die Burschen hatten vorn einen Zipp, aber ich musste mich jedes Mal vollständig ausziehen, um aufs Klo zu gehen. Das war heftig mit der Kälte.

Essensfehler

Beim Essen habe ich einen schlimmen Fehler begangen. Man gießt dieses Fertigessen mit heißem Wasser auf, auf der Packung steht explizit, dass man es zehn Minuten ziehen lassen muss. Ich hatte so einen Hunger, dass ich es früher gegessen habe. Ich habe mich in meinem ganzen Leben noch nie so abrupt und extrem übergeben müssen. Tür aufgerissen, alles raus. Es hat mir die ganze Speiseröhre aufgeätzt, ich hatte eineinhalb Tage Sodbrennen. Da habe ich nichts gegessen, nur warm getrunken und ab und zu ein Gel genommen. Man verbrennt etwa 5000 Kalorien am Tag, ich habe in sechs Tagen sechs Kilo abgenommen.

Sechs Menschen, eine Mission.
Foto: Privat

Am vierten und fünften Tag haben wir durchgehend Wellen von bis zu 9,2 Metern gehabt. Da war es für mich schlimmer, in der Kajüte zu liegen, weil du nicht weißt, was passiert. Aber du musst die Kajüte zumachen, weil sie nicht volllaufen darf, falls du kenterst. Wenn du am Ruder bist und so eine Welle auf dich zukommt, ist das so ein cooles Gefühl – weil du weißt, dass du sie nutzen kannst. Beim Ruderboot kann die Welle so groß sein, wie sie will, du musst einfach nur mitsurfen. Etwa jede dritte Welle bricht über dir, das ist das Gefährlichste.

Man denkt beim Rudern an nichts. Einfach in Bewegung bleiben, machen, machen, machen. Ich habe mich halt geärgert, wenn das Wasser über uns drübergeschwappt ist. Beim Rudern ist es laut. Der Wind ist laut, die Welle ist laut, sonst ist es relativ still. Du hast immer die Möwen und andere Vögel, die zwitschern. Es waren auch immer Pinguine bei uns und Richtung Laurie Island acht oder neun Finnwale. Ich habe da gerade Pause gehabt, plötzlich schreit Stefan "Wale, Wale!" – und dann habe ich schon ihre Laute gehört.

Ich glaube, jeder Mensch hat viele Knackse. Einer meiner ist, dass ich sehr hart zu mir selbst sein kann. Meine Position in der Schicht war der Soldat: Ich bin aufgestanden, habe die Sachen erledigt, bin wieder schlafen gegangen. Ich kann mich sehr gut selber quälen. Es wundert mich immer wieder, dass die, die jammern, weitermachen.

Die Crew bei der Ankunft auf den Laurie Islands.
Foto: studio@ewanharvey.com

Die Scotiasee ist eine eigene Welt. Es ist schön, ich habe mich die ganze Zeit wohlgefühlt, aber es herrscht Untergangsstimmung. Obwohl schöne Tage dabei waren – du weißt, wenn du einen Fehler machst, bist du weg. Es hat Konsequenzen, was du machst. Das ist fordernd, aber ich würde mir das öfters im Alltag wünschen. Es würde vielen nicht schaden, so etwas zu erleben.

Man kommt dem Kentern sehr nahe, aber wir haben das gut hingekriegt. Außer mir sind alle schon davor am Pazifik oder Atlantik gerudert. Grundsätzlich sollte sich das Boot wieder aufstellen. Das Gefährlichste ist, wenn das Boot kentert, du nicht am Boot verankert bist und dann einen Abgang machst. Grundsätzlich bist du immer verankert, außer beim Schichtwechsel oder wenn du aufs Klo gehst. Da darfst du nicht reinfallen.

Ich hatte nie einen Grund zu glauben, dass ich nicht nach Hause kommen würde. Für mich war von Anfang bis Ende klar: Ich komme wieder nach Hause, ich werde alle sehen und ich werde leben. Da hat’s nichts anderes gegeben.

Angst habe ich keine gehabt, aber Respekt für die Naturgewalten. Ich habe auch Faszination gefunden. Es geht die Sonne auf, es pfeift der Wind, und du kannst auf dem offenen Wasser dahinglühen. Da gab es einen Moment, Fiann und ich waren allein draußen … Wir haben beide gesagt: "Wow, es gibt nichts Schöneres im Leben." Das ist ein Moment, der wird für ewig bleiben. Es ist heftig, wie der in meinem Kopf gefestigt ist, ich habe noch genau das Gefühl, wie die Sonne aufgegangen ist und es warm geworden ist, der Wind wieder angezogen hat, wie man wieder das Kräuseln auf den Wellen gesehen hat.

Die Atterseerin Lisa Farthofer geht an die Grenzen.
Foto: studio@ewanharvey.com

Ich erzähle das natürlich auch meinen Eltern, aber manchmal kann ich mit meiner Mama nicht darüber reden. Die hat sich unheimlich Sorgen gemacht, hat geweint.

Schmerzen

Am fünften Tag hat eine Welle das Ruder gefangen, und der Griff ist auf mein Knie geknallt. Kurz danach habe ich noch gerudert, dann ist der Schmerz immer schlimmer geworden. Eigentlich wollten wir etwa zwei Wochen bis zur Insel Südgeorgien rudern. Dann waren wir nur mehr zu fünft, und ich hatte mich auch noch verletzt. Wir haben gewusst, dass aus dem Nordwesten ein heftiges Tiefdruckgebiet kommt, dann haben wir entschieden, dass wir die Laurie Islands ansteuern. Innerhalb des Teams gab es Gegenstimmen, aber es war definitiv die richtige Entscheidung.

Am letzten Tag bin ich dann ausgefallen, etwa sieben Stunden. Mir haben eigentlich nur die Füße wehgetan, zweieinhalb Zehen waren gebrochen, dazu hatte ich Erfrierungen zweiten Grades. In den letzten zwei Stunden des Ruderns haben wir Gegenwind gehabt, der mit 180 km/h angesagt war. Als das angefangen hat, sind wir gerade in die Bucht zu der Orcadas Station rein. Danach ist es losgegangen, das war fliegendes Wasser. Ich hätte gerne gewusst, wie wir das weiter geschafft hätten, aber andererseits bin ich froh, dass wir es so beendet haben. Wegen der Eisschollen wüsste ich nicht, wie das ausgegangen wäre.

Aufpäppeln

Wir sind dann bei der Orcadas Base angekommen, das ist eine argentinische Forschungsstation. Dort sind 32 Personen immer ein Jahr lang. Die haben uns ohne Wenn und Aber aufgenommen. Sie haben nicht viel gehabt, aber sie haben uns alles gegeben. Da waren sehr berührende Momente dabei. In der ersten Nacht war ich so fertig, dass ich irgendwie auf das Stockbett bin und es nicht mehr geschafft habe, das Licht abzudrehen oder mich zuzudecken. Zu Mittag bin ich dann vom Sturm draußen aufgewacht und Vanessa, die einzige Frau auf der Basis, hat erzählt, dass sie reingeschaut hat und sichergestellt hat, dass ich eh noch atme.

Ich habe dann ein megageiles Frühstück gekriegt, alles was sie gehabt haben: Dulce de Leche, Studentenfutter, Schokolade, Zitronenkuchen, Plundergebäck, Kaffee. Für die Verabschiedung haben sie eine argentinische Grillerei gemacht. Da war die ganze Mannschaft da. Natürlich hat es sprachliche Barrieren gegeben, aber man hat sich mit Händen und Füßen verständigt. Dann hat uns ein Militärpatrouillenschiff mit nach Ushuaia genommen.

Solche Projekte sind für viele nicht denkbar. Ich finde das schade. Man schenkt Momente seines Lebens her, in denen man Dinge erleben könnte, wenn man einfach neugierig ist und sich etwas zutraut. Im Leistungssport habe ich gelernt, dass man über seinen Schatten springen muss, um dann so etwas zu erleben und sagen zu können: "Das ist etwas, das mir bleiben wird." So egoistisch es auch klingt – ich habe nur das eine Leben, was soll ich denn machen? (Protokoll: Martin Schauhuber, 19.3.2023)