Eine der komplexesten Verhaltensweisen des Tierreichs: die Bienensprache.
Foto: APA / dpa / Silas Stein

Vor genau hundert Jahren veröffentlichte der deutsch-österreichische Zoologe Karl von Frisch seine erste bahnbrechende Studie "Über die ,Sprache‘ der Bienen". Die Experimente dafür hat er übrigens mehrheitlich an der Bienenrasse Carnica durchgeführt, die zuletzt von Kärnten bis New York wieder in Diskussion geriet. Wichtige Verbesserungen seiner Erkenntnisse über den Bienentanz gelangen von Frisch im Sommer des Jahres 1944, als er gemeinsam mit seinen Mitarbeitern am Familiendomizil in Brunnwinkl am Wolfgangsee die genauen Bedeutungen des Rund- und vor allem des Schwänzeltanzes der Bienen entschlüsselte.

Nicht zuletzt dank der Forschungen von Frischs, der dafür vor genau 50 Jahren den Nobelpreis für Physiologie oder Medizin erhielt, gelten die Tänze der Bienen als eine der komplexesten Verhaltensweisen im Tierreich. Mittels Drehungen, punktgenauer Richtungsänderungen und vibrierender Hinterleiber zeigen sie ihren Artgenossinnen die exakte Distanz und Richtung zu einer umliegenden Nahrungsquelle.

Eine der Erkenntnisse Karl von Frischs: Der Winkel des Schwänzeltanzes gibt die Richtung im Vergleich zur Sonne an.
Grafik: Karl von Frisch, gemeinfrei

Angeboren UND erlernt

Vor allem der komplexe Schwänzeltanz, mit dem die Bienen im Gegensatz zum Rundtanz die Orte weiter entfernter Futterquellen anzeigen, beschäftigt die Wissenschaft nach wie vor. Eine der offenen Fragen: Ist der Schwänzeltanz angeboren, oder wird er gelernt? Die Antwort ist einmal mehr: sowohl als auch. Der Schwänzeltanz funktioniert nur dann perfekt, wenn die angeborenen Fähigkeiten durch soziales Lernen perfektioniert werden.

Zeigen konnte das ein Team aus China und den USA, das für seine Studie künstliche Bienenkolonien zusammenstellte, in denen – anders als in echten Kolonien – alle Bienen gleich jung waren. Diese Honigbienen konnten dadurch nicht von erfahreneren Kundschafterinnen das Tanzen lernen, sondern waren auf sich allein gestellt. Als sie begannen, ihre Umgebung zu erkunden und ihre Informationen in Form von Schwänzeltänzen weiterzugeben, beruhten diese logischerweise allein auf ihren angeborenem Instinkten.

Bleibende Tanzfehler

Wie Ken Tan und seine Kollegen im Fachblatt "Science" berichten, machten die unerfahrenen Bienen Fehler in ihren Tanzbewegungen. Sowohl die Richtung als auch die Distanz zur Futterquelle wurde ungenau angegeben. Im Lauf der Zeit lernten sie zwar dazu und verbesserten ihre Schwänzeltänze. Doch auch später im Leben waren sie nie dazu in der Lage, die exakte Distanz zur Nahrung anzugeben: Eine Versuchsfutterquelle, die 150 Meter von der Kolonie entfernt war, wurde von den Bienen mit ungefähr 200 bis 250 Meter "getanzt".

Wenn die Jungbienen nicht von älteren Kolleginnen lernen können, bleibt ihre Tanzsprache fehlerhaft.
Foto: APA / dpa / Silas Stein

In der Kontrollgruppe – einer normalen Bienenkolonie, die ebenfalls 150 Meter von der Futterquelle entfernt war – gelang es den Jungbienen durch das Lernen von den älteren Kundschafterinnen bald, die genaue Richtung und die exakte Entfernung zu tanzen. Soziales Lernen von Artgenossen ist, so folgern die Forscher, auch bei Insekten unabdingbar ist, um Beschränkungen der vererbten Verhaltensweisen auszumerzen. Zudem gehen die Wissenschafter davon aus, dass es, ähnlich wie auch bei anderen Tieren, ein bestimmtes Zeitfenster gibt, um bestimmte Fähigkeiten zu erlernen.

Orientierung wie die ersten Piloten

Der deutsche Neurobiologe Randolf Menzel (FU Berlin) wiederum veröffentlichte dieser Tage gleich zwei Studien, die neue Details des Bienentanzes und des Orientierungssinns der Bienen offenbaren. In einer Studie im Fachblatt "Frontiers in Behavioral Neuroscience" konnte ein Team um Menzel zeigen, dass Honigbienen ihren Heimweg auch dadurch besser finden, dass sie sich an den in der Landschaft anzutreffenden linearen Landschaftselementen orientieren.

Laut Menzel haben Honigbienen ein "Navigationsgedächtnis", eine Art mentale Karte des ihnen bekannten Gebiets, um ihre Suchflüge zu lenken, wenn sie in einem neuen, unerforschten Gebiet nach ihrem Bienenstock suchen. Das entspricht in etwa der Art und Weise, wie sich die ersten Pilotinnen und Piloten Anfang des 20. Jahrhunderts orientierten.

In einer anderen Serie von Experimenten in Mittelhessen untersuchte Menzel mit Kollegen, was passiert, wenn man Honigbienen, die Tanzinformationen erhalten haben, von einem anderen Ort als dem Bienenstock entlässt, um nach der Futterquelle zu suchen. Konkret fingen die Forschenden die Honigbienen beim Verlassen des Bienenstocks ein und ließen sie an weit entfernten Orten frei, während sie ihren Standort per Radar verfolgten.

Reichhaltigere Informationen

Obwohl diese Bienen zunächst in die durch den Tanz angezeigte Himmelsrichtung flogen, als ob sie den Bienenstock verlassen würden, war der Suchteil des Fluges der Bienen stark auf den tatsächlichen Standort der Futterquelle ausgerichtet. Die im Fachjournal "PNAS" publizierten Ergebnisse deuten darauf hin, dass die Rekruten den Standort der Futterquelle auf ihrer kognitiven Karte aus der durch den Tanz direkt mitgeteilten Richtung und Entfernung ableiten.

Das Experiment von Menzel et al.: Die Honigbienen wurden "entführt" und an einem anderen Ort ausgesetzt (B). Dennoch fanden sie das Ziel (C).
Foto: Menzel et al., PNAS 2023

Der Standort ermöglicht es den Bienen mithin, von jedem beliebigen Punkt ihrer kognitiven Karte aus einen Kurs zur Futterquelle zu setzen. Die Rechen- und Darstellungsleistungen eines Insektengehirns seien damit vielseitiger und ermöglichen den Honigbienen, "von beliebigen Orten innerhalb ihres vertrauten Territoriums Kurs in Richtung der Nahrungsquelle zu setzen".

Den Autoren zufolge sind die in den Schwänzeltänzen der Honigbienen enthaltenen Informationen reichhaltiger als bisher angenommen. In den Worten von Menzel und seinem Team: "Unsere Ergebnisse erfordern eine umfassendere Interpretation dessen, was der Tanz einer zurückkehrenden Futtersammlerin ihren Artgenossen mitteilt." (Klaus Taschwer, 26.3.2023)