Am 1. Mai 2003 landete George W. Bush auf dem Flugzeugträger USS Abraham Lincoln und erklärte den Irakkrieg nach sechs Wochen für beendet – ein ziemlicher Irrtum, wie sich herausstellte.

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Die Trümmer im Pentagon rauchten noch, längst waren noch nicht alle Brände gelöscht, noch immer heulten die Sirenen von Rettungswagen. Da skizzierte Donald Rumsfeld bereits, wie er sich Vergeltung vorstellte. Am 11. September 2001, um 9.37 Uhr, hatten Entführer eine Maschine der American Airlines in den Westflügel des amerikanischen Verteidigungsministeriums krachen lassen. Wenige Stunden darauf, vom Ort der Verwüstung zurückgekehrt in sein Büro, dachte Rumsfeld laut über eine militärische Antwort nach. Sein engster Mitarbeiter, Stephen Cambone, damals Staatssekretär, gab es später in dürren Stichworten wieder: "Hit S. H. @same time; Not only UBL."

Der Militärschlag, der den Terrorattacken in den Augen des Ministers zwangsläufig folgen musste, sollte nicht nur Osama bin Laden, UBL, treffen, sondern auch Saddam Hussein. Man brauche in kurzer Zeit eine Liste mit Zielen, die es sich zu treffen lohne, "es muss massiv sein", "fegt alles zusammen", notiert Cambone, was sein Vorgesetzter verlangt.

Hardliner in Lauerstellung

Melvyn Leffler, Geschichtsprofessor an der University of Virginia und einer der renommiertesten Historiker der USA, ruft es in Erinnerung, weil es eine oft wiederholte These zu belegen scheint. Hardliner in Washington lauerten demnach nur auf die Gelegenheit, den Irak anzugreifen. Tatsächlich, dokumentiert Leffler in seinem Buch Confronting Saddam Hussein, drängten Rumsfeld und sein Stellvertreter Paul Wolfowitz schon am Tag nach dem Terrorinferno im Nationalen Sicherheitsrat des Weißen Hauses darauf, etwas gegen Saddam Hussein zu unternehmen.

Präsident George W. Bush, schreibt der Historiker, lehnte ab, um sich auf Afghanistan zu konzentrieren, wo die Taliban bin Laden beherbergten. Aber nur, um Rumsfeld zwei Monate darauf, nachdem die Taliban nach überraschend kurzem Feldzug besiegt worden waren, zu fragen, wie es denn um die Irak-Planungen stehe. Der Sieg in Kabul, schreibt Leffler, habe Bush in seinem Gefühl der Macht bestärkt, in dem Gefühl, dass Amerika erreichen könne, was immer es sich vornehme.

Bedrohung in der Zukunft

Was Leffler pünktlich zum 20. Jahrestag des Irakkrieges am Montag bietet, ist ein nachträglicher Blick hinter die Kulissen der Macht. Der Historiker hatte Zugang zu Schlüsselakteuren, die sich womöglich im Nachhinein eine positivere Bewertung erhofften. Da wäre Wolfowitz, der Wortführer der Neokonservativen. Eine Bedrohung durch irakische Massenvernichtungswaffen, blendet er zurück, habe er weniger im Jetzt als vielmehr mit Blick auf die Zukunft empfunden.

"Was mich beunruhigte, war nicht, was er (Saddam Hussein, Anm.) 2001 machen würde. Mich beunruhigte, was er 2010 machen würde, wenn das Containment zusammengebrochen wäre." Containment, den Irak durch Kontrollen "in der Kiste zu halten", ohne den Diktator zu stürzen, es war die Strategie der 1990er-Jahre gewesen.

Nach den Angriffen auf das New Yorker World Trade Center und das Pentagon am Rande Washingtons setzten sich die Falken, angeführt von den Neocons, in regierungsinternen Debatten durch. Nach und nach, wie Leffler schildert, begünstigt durch eine Art Gruppendynamik, bei der kritische Fragen irgendwann nicht nur nicht beantwortet, sondern gar nicht mehr gestellt wurden.

Powell ging unter

Moderatere Stimmen wie die von Außenminister Colin Powell gingen unter im Lärm der Gruppe. Er habe sich, so Powell, gefühlt wie der Außenseiter im Umkleideraum, "wo die Jungs mit Handtüchern knallten, während ich still in der Ecke saß". Dass es ausgerechnet Powell war, der am 5. Februar 2003 im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen vermeintlich stichhaltige Belege für letztlich nicht vorhandene Massenvernichtungswaffen präsentierte, hatte etwas von persönlicher Tragik. Zumal der unglückliche Propagandist den Auftritt später bitter bereute.

Das Wort von der Waffenlüge, der Lüge, um einen Krieg zu beenden, verwendet Leffler nicht. Der Einsatz von Giftgas während des irakisch-iranischen Krieges, jahrelange Täuschungsmanöver Saddams, Nervenspiele im Umgang mit den UN-Inspektoren, das alles, schildert er, habe beigetragen zu der Annahme, der Irak verfüge trotz gegenteiliger Beteuerungen nach wie vor über ein Arsenal biologischer und chemischer Waffen.
Niemand im Kabinett habe gegen den Strich gebürstet, echte Debatten habe es in dieser Frage nicht gegeben, bezeugt Richard Haass, ein enger Vertrauter Powells und seinerzeit Planungsdirektor im State Department. "Dass der Kaiser keine Kleider hatte, hat keiner für möglich gehalten, geschweige denn, es laut gesagt."

Bushs widersprüchliche Ziele

Bush wiederum stellte sich nach Lefflers Analyse zwei – eigentlich widersprüchliche – Ziele, die er ständig miteinander vermengte. Mal habe er den Sturz Saddams angestrebt, um, in seinem Verständnis präventiv, die Gefahr zu bannen. Um sicher zu sein, dass Massenvernichtungswaffen nicht eines Tages in die Hände von Terroristen fielen. Dann wieder habe er sich des Gefahrenszenarios bedient, um eine Invasion zum Zweck des Sturzes Saddams zu rechtfertigen.

Irgendwann war man an dem Punkt, an dem der militärische Aufmarsch in der Golfregion wie ein Selbstläufer wirkte, gegen den diplomatische Bemühungen nichts mehr ausrichten konnten. Der Schwede Hans Blix, eine Zeitlang oberster Waffeninspekteur im Irak, hat es so formuliert: "Als erst einmal 250.000 Soldaten in der heißen Wüstensonne saßen, hat es eine Dynamik entwickelt, die sich nicht mehr aufhalten ließ." (Frank Herrmann, 20.3.2023)