Josephine (Safira Robens) kämpft im Stück "Katharsis" im Akademietheater um den Körper ihres 1796 verstorbenen Vaters Mmadi Make aka Angelo Soliman (Ernest Allan Hausmann).

Marcella Ruiz Cruz

Herz, Lunge, Gedärme... Sämtliche Eingeweide werden auf der Akademietheaterbühne unter die Lupe genommen.

Marcella Ruiz Cruz

Mindestens 2,5 Milliarden Mal schlägt das menschliche Herz im Verlauf seines Lebens. Das lernt man im Akademietheater, wo seit Samstag die Inszenierung des Stücks Katharsis eine gelungene Verbindung von Anatomie- und Sprechtheater herstellt. Es wird nicht arg blutig, Eingeweide kommen dennoch detailgenau unter die Lupe.

Das Regieduo Ben Kidd und Bush Moukarzel alias Dead Centre greift nach Sigmund Freud und Ludwig Wittgenstein ein weiteres österreichisches Thema auf und fragt nach dem Gelehrten und Ex-Sklaven Angelo Soliman, der nach seiner Verschleppung aus dem heutigen Nigeria im 18. Jahrhundert im Dienste österreichischer Fürsten stand. Genoss er zu Lebzeiten hohes Ansehen – davon zeugt etwa seine Zugehörigkeit zu einer Freimaurerloge –, so verfuhr man später mit seiner Leiche brachial, präparierte seine Haut für Ausstellungszwecke.

Obduktions-Schaubühne

Was trägt ein Körper mit sich, das über das Physiologische hinausgeht? Wem gehört er zu Lebzeiten und im Tod? Welchen Wert misst man ihm bei oder eben nicht? Fragen wie diese wirft dieser 90-minütige Abend auf, der medizinisch-anatomische Ausführungen mit der konkreten Geschichte Solimans verzahnt. Beziehungsweise mit der Geschichte von dessen Tochter Josephine (Safira Robens), die sowohl über Wolfgang Amadeus Mozart als auch beim Kaiser selbst die Herausgabe ihres Vaters Leichnam für ein christliches Begräbnis zu erwirken suchte. Vergeblich.

Herz, Lunge, Gedärme... Sämtliche Eingeweide werden auf der Akademietheaterbühne unter die Lupe genommen.
Marcella Ruiz Cruz

Kidd/Moukarzel zäumen die Uraufführung gekonnt auf, indem sie einerseits das Setting historischer Obduktions-Schaubühnen mit der Körperbeschau am Theater generell zusammenführen. Und indem sie zweitens für dieses Theater den mythologischen Antigone-Stoff wählen, nach welchem die Königstochter den ihr vorenthaltenen Leichnam ihres Bruders verlangt.

Es ist Anatomiestunde

Wir sehen also zu Beginn eine antike Theateraufführung mit Chor samt Masken auf einer Orchestra, gekennzeichnet durch entrückte Echostimmen. Aus diesem Chor tritt ein Darsteller (Ernest Allan Hausmann) beiseite und spricht zum Publikum davon, wie sehr ein Schauspieler seinen Körper auf der Bühne auch "opfere" (und wie gern er selber auch ins Parkett zurückäuge), und begibt sich dann demonstrativ auf den Seziertisch.

Mindestens drei Erzählschichten ragen also, markiert von Licht- (Marcus Loran), Sound- (Kevin Gleeson) und Projektionswechsel (Sophie Lux) auf der Bühne (Jeremy Herbert) ineinander: Soliman, Antigone und die Anatomiestunde. Hausmann vereint den gewitzten Antigone-Choristen, den Soliman und den philosophisch geschulten Pathologieprofessor auf sich.

Auch für die anderen Schauspieler gilt der smoothe Figurenwechsel: Philipp Hauß als Anatom und Mozart, Johannes Zirner als Anatom und k. u. k. Wunderkabinett-Direktor Abbé Simon Eberle, Katrin Grumeth als Anatomin, Soliman-Gattin und Ismene. Gut gemacht.

Kandelaber im Bauch

Inspiration für den Abend war Olga Tokarczuks aus vielen kleineren Texten gebauter Roman Unrast (2009), der Episoden zum Thema Körper und Reisen zusammenführt. Etwa die Briefe des flämischen Chirurgen Philipp Verheyen an sein amputiertes Bein. Oder Berichte zu Chopins Herz, das auf Wunsch seines Besitzers post mortem eine Kutschenfahrt von Paris nach Warschau antritt. Und eben auch die Briefe Josephine Solimans an den Kaiser. Entstanden ist dabei ein völlig neues, bemerkenswertes Stück.

Was trägt ein Körper wie der von Soliman also in sich? Mindestens Kandelaber und Stühle, aber auch eine goldene Wanduhr. Ein raffiniert gebauter Abend, der ein komplexes Thema leicht macht. (Margarete Affenzeller, 20.3.2023)