Corona-Pressekonferenz am 31. Oktober 2020: "In Österreich hingegen wurde Gesundheit politisiert. Unter Kanzler Kurz wurde top down vorgegangen", sagt Ruth Wodak.

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Um das Revival von Schwarz-Blau in Niederösterreich einzuschätzen, hat Ruth Wodak den Vorteil des Überblicks. Die Diskursforscherin, die schwerpunktmäßig zu Rassismus, Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit arbeitet, hat schon die früheren rechtsrechten Koalitionen in Österreich analysiert. Die FPÖ treibe ÖVP und SPÖ seit Jahrzehnten vor sich her, sagt sie – diesmal jedoch, neben der notorischen Ausländerfrage, mit den Corona-Folgen.

STANDARD: Die FPÖ ist in Umfragen Nummer eins, und die ÖVP ist wieder einmal bereit, ihr Verantwortung zu übertragen. Im schwarz-blauen Niederösterreich wird jetzt die Werbung für die Corona-Impfung auf Landesebene untersagt. Wie konnte es so weit kommen?

Wodak: Da ist sicherlich über die Jahre in der politischen Bildung in Schulen vieles versäumt worden. Der Politik der Ausgrenzung wurde von den anderen Parteien zu wenig entgegengesetzt. Vieles wurde sozusagen normalisiert. Auch die Medien tragen ihren Anteil, weil sie immer wieder auf die Mittel der FPÖ und ÖVP hereinfallen: Provokation, Skandalisierung und Message-Control ergeben eine toxische Mischung. Es ist nicht gelungen, begreiflich zu machen, wofür die politische Rechte steht, die an den Corona-Protesten führend beteiligt war.

STANDARD: Wie kam es dazu, dass die Corona-Proteste derart stark von rechts vereinnahmt wurden?

Wodak: Weil bei den Demonstrationen gegen die Maßnahmen jede Abgrenzung von den extrem Rechten und sogar Neonazis fehlte. Viele Menschen, die mitgingen, waren zu diesem Zeitpunkt noch keine FPÖ-Wähler, sondern ehemalige Esoterikerinnen, Wissenschaftsskeptiker, Impfgegnerinnen, unzufriedene, verängstigte und verunsicherte Menschen. Es war ihnen scheinbar unwichtig, dass sie neben Neonazis marschierten, die für undemokratische und faschistische Inhalte stehen. Sogar Familien mit Kinderwagen nahmen teil, obwohl der Neonazi Gottfried Küssel sichtbar mitmarschierte.

Wodak: "Der Hauptangriffspunkt der FPÖ sind nach wie vor die Migranten, Flüchtlinge und Andersgläubige, vor allem Muslime."
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STANDARD: Waren diese Menschen politisch blind?

Wodak: Viele konnten einfach nicht verstehen, warum, wann, wie und was genau gegen die Verbreitung des Coronavirus unternommen wurde, das immer wieder rasch mutiert, was die ständige Anpassung von Maßnahmen nötig macht. Es wurde uns ja allen nicht verständlich vermittelt, welche Kriterien zur Entscheidungsfindung dienten, denn es fehlte an der notwendigen Transparenz. Vielmehr saßen wir vorm Fernsehen, von einer Pressekonferenz zur anderen, wo immer neue Maßnahmen verkündet wurden. Vieles war widersprüchlich, vieles wurde auch nicht umgesetzt. Die Einführung und spätere Rücknahme der Impfpflicht hat der FPÖ direkt in die Hände gespielt.

STANDARD: War die Impfpflicht der springende Punkt?

Wodak: Die misslungene Krisenkommunikation der Bundesregierung insgesamt hat es der FPÖ leicht gemacht, sich mit ihrem traditionellen Politikmuster an die Spitze dieser Proteste zu stellen, nach dem altbekannten Motto: Wir, das Volk, gegen die Eliten. Kickl gelang es dabei, die Konzepte von Freiheit und Demokratie umzudefinieren und damit gegen die Maßnahmen zu mobilisieren; außerdem hat die Glaubwürdigkeit der Politik auch durch die ÖVP-Korruptionsskandale massiv gelitten. Die Wut mischte sich mit legitimen Ängsten um die eigene Existenz und den dadurch entstehenden psychischen Problemen. Andere Ventile, um Unzufriedenheit auszudrücken, gab es nicht. In Ländern wie Deutschland, Schweden oder Neuseeland waren die Verantwortlichen dialogfähiger, das Gesicht der Krise waren meist Fachleute, nicht Politiker. In Österreich hingegen wurde Gesundheit politisiert. Unter Kanzler Kurz wurde top-down vorgegangen, dann wurden wir plötzlich in die Eigenverantwortung entlassen, Entscheidungen widersprachen einander häufig.

STANDARD: Jetzt sucht die ÖVP nach Schuldigen. Sie kritisiert die Wissenschafterinnen und Wissenschafter, die sie in den Pandemiejahren beraten haben. Wie finden Sie das?

Wodak: Diese plötzliche Wissenschaftsfeindlichkeit der ÖVP kommt überraschend, auch wenn die Schuldabschiebung leicht durchschaubar ist. Auch die sogenannte Corona-Versöhnungsstrategie bleibt unverständlich. Wer soll sich mit wem versöhnen? Versöhnung kommt nach Streit – aber wer hat mit wem gestritten? Kickl hat daraus nicht zufällig sofort eine "Verhöhnungsstrategie" formuliert.

STANDARD: Kickl greift "das System", wie er sagt, auch abseits des Corona-Themas massiv an, etwa indem er Bundespräsident Alexander Van der Bellen als "senil" und als "Mumie" bezeichnet. Wie kommt es, dass er auch damit so erfolgreich ist?

Wodak: Die FPÖ treibt die anderen Parteien seit eh und je mit Skandalisierung und Provokationen vor sich her. Das war unter den Ex-Parteichefs Haider und Strache nicht anders. Auch die Attacken auf Van der Bellen sind nicht neu. Im Präsidentschaftswahlkampf Norbert Hofers gegen ihn fielen ähnliche Begriffe. Zudem zog Kickl über den Bundespräsidenten in der alljährlich wiederkehrenden Rede zum Aschermittwoch her. Hier mit konventioneller Kritik zu kontern ist schwer, weil diese Art Provokation der Textsorte der "Aschermittwochsrede" inhärent ist.

STANDARD: Ist die Diktion der FPÖ unter Kickl härter geworden?

Wodak: Nicht unbedingt. Es stimmt, dass der Begriff "System", wie ihn Kickl verwendet, alles Abzulehnende in der Pandemie zusammenfasst. Es sind damit sowohl die Fachleute, die Regierung, die Wissenschaft, das Gesundheitswesen und die Medien gemeint. Andererseits hat Kickl seine rhetorische Taktik nicht geändert. Nach wie vor agiert er mit griffigen Slogans, so wie er es als FPÖ-Redenschreiber schon seit Haider tut.

STANDARD: Nun haben sich die Angriffspunkte der FPÖ in den vergangenen Jahren vervielfältigt. Zu den Ausländern kamen neben Corona auch der Ukrainekrieg und die Inflation. Was hat das an den freiheitlichen Frames, den propagandistischen Behauptungen geändert?

Wodak: Der Hauptangriffspunkt der FPÖ sind nach wie vor die Migranten, Flüchtlinge und Andersgläubige, vor allem Muslime. Das sieht man an der Vielzahl der verwendeten Slogans. Beispielsweise an dem Konzept "Festung Österreich", angelehnt an die "Festung Europa". Weiters an der "Asylbremse", dem "Asylstopp", der "Asyllüge", dem "Asylmissbrauch", den "Ausreisezentren", der "neuen Völkerwanderung", der "Null-Toleranz-Kultur". Die Liste ist lang, sie bildet ein semantisches Feld, das negativ besetzt ist und diskursiv ein massives Bedrohungsszenario konstruiert. Auch beim Begriff der "illegalen Migration" schwingt die Bedeutung "kriminell" mit, weil "illegal" mit "kriminell" assoziiert wird. Diesen Begriff verwendet die ÖVP inzwischen ganz selbstverständlich, ein weiteres Beispiel für die Normalisierung einer Politik der Ausgrenzung.

STANDARD: Welcher Ausdruck wäre denn besser?

Wodak: Wissenschaftlich richtig ist "irreguläre Migration".

STANDARD: Besonderer derb äußert sich der niederösterreichische Ex-Asyllandesrat Gottfried Waldhäusl, der nun zum Zweiten Landtagspräsidenten avanciert. Er wünscht sich alle Migrantinnen und Migranten aus Wien weg. Wen in der FPÖ-Wählerschaft sprechen solche extremen Positionen an?

Wodak: Sie gefallen Menschen mit völkischen, nativistischen Ideologien. Die FPÖ war immer schon recht geschickt, mehrere auch einander widersprechende Messages gleichzeitig zu verbreiten. Der Kärntner FPÖ-Obmann Erwin Angerer und die Salzburger FPÖ-Parteichefin Marlene Svazek haben sich von Waldhäusls schamloser Aussage distanziert. Das zeigt, wie groß das innerparteiliche Kontinuum zwischen rechtspopulistischen Positionen innerhalb des Verfassungsrahmens hin zu offen rechtsextremistischen Inhalten ist. In der Diskursforschung nennen wir das kalkulierte Ambivalenz. Es eröffnet Zugang zu einer großen Wählerschaft.

STANDARD: Ist die FPÖ heute gefährlicher als unter Haider oder Strache?

Wodak: Ja, weil sich bislang kaum Gegendiskurse melden. Zu Haiders Zeiten fand das Lichtermeer am Heldenplatz mit 300.000 Teilnehmenden statt. Das war ein wichtiges symbolisches Zeichen für eine andere Politik mit anderen Inhalten. Jetzt zeigt zwar die Zivilgesellschaft vernehmlich auf, aber es stellt sich bislang keine größere Partei der FPÖ mit alternativen Programmen lautstark entgegen. Stattdessen werden die Freiheitlichen von der nach rechts gerückten ÖVP gestützt, so wie das international mit anderen rechtsradikalen Parteien, etwa in den USA, Schweden, Italien, Großbritannien, geschieht. Wie das enden kann, wissen wir aus der Geschichte. (Irene Brickner, 22.3.2023)