Ärztinnen und Ärzte nehmen Schmerzen von schwarzen Menschen oft weniger ernst, zeigen Studien.

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Nicht immer ist Rassismus in der Medizin so offensichtlich, wie das im Fall der Frankfurter Kommunalpolitikerin und Antidiskriminierungsaktivistin Mirrianne Mahn war. Manche erinnern sich vielleicht an das virale Video von vor gut einem Jahr, in dem Mahn sich weinend über das Verhalten eines behandelnden Arztes beschwerte: "Wären Sie in Afrika, dann wäre es viel schlimmer", habe der Mediziner unter anderem zu ihr gesagt.

Video-Reportage: Schwarzsein in Österreich
DER STANDARD

Meist kommt Rassismus allerdings viel subtiler daher. Das kann ein genervter Blick, ein unbedachter Tonfall des Arztes während der Behandlung sein, weil der Patient aufgrund der Sprachbarriere nochmals nachfragt. Oder ein Hautausschlag, der bei einer Schwarzen Patientin falsch, bei einem weißen Patienten richtig diagnostiziert wird. Passiert so etwas, können sich Betroffene an die Beratungsstelle Zara (Zivilcourage & Anti-Rassismus-Arbeit) wenden. Wie oft das der Fall ist, lässt sich allerdings nicht so genau sagen. Viele Betroffene suchen zum einen keine Beratungsstelle auf, um die Diskriminierung zu melden, zum anderen fehlt eine übergreifende Stelle für die koordinierte Dokumentation.

Schmerzen von People of Color oft nicht ernst genommen

Generell ist die Datenlage zu Rassismus im Gesundheitswesen im deutschsprachigen Raum dünn, das meiste beruht auf Erfahrungsberichten. Eine erste repräsentative quantitative Erhebung zu den gesundheitlichen Folgen von Rassismus in Deutschland ist derzeit in Arbeit. Die Ergebnisse des nationalen Diskriminierungs- und Rassismusmonitor sollen im September präsentiert werden. Bis dahin kann man sich nur an den wenigen deutschsprachigen Studien orientieren oder in andere Länder blicken.

Eine 2016 in der Fachzeitschrift "Proceedings of the National Academy of Sciences" veröffentlichte Studie zeigte etwa, dass ein Großteil der Ärztinnen und Ärtze schwarze Patientinnen und Patienten im Gegensatz zu weißen deutlich weniger Schmerzmedikationen verschreiben. Während 74 Prozent aller weißen Patientinnen und Patienten Schmerzmedikation erhielten, waren es bei schwarzen nur 57 Prozent.

Im Rahmen der Arbeit wurde außerdem erhoben, wie Ärztinnen und Ärzte Schmerzen bei schwarzen und weißen Patientinnen und Patienten wahrnehmen. Das Ergebnis: Medizinerinnen und Mediziner unterschätzen bei schwarzen Menschen den Schmerz im Schnitt um 47 Prozent, bei weißen um 33,5 Prozent. Ein Phänomen, von dem auch die Politikerin Mahn in ihrem viralen Video berichtete. Ihre Schmerzen seien nicht ernst genommen worden, sagte sie damals. Das hat Konsequenzen: Schwarze Patientinnen und Patienten warten im Durchschnitt länger in der Notaufnahme und werden in ihrem Anliegen eher angezweifelt.

US-Studien nicht uneingeschränkt auf Österreich übertragbar

Eine andere Meta-Studie aus den USA zeigt, dass bei Angehörigen von Minderheiten bei derselben Grunderkrankung mit geringerer Wahrscheinlichkeit aufwendige Behandlungsmethoden zum Einsatz kommen als bei Patientinnen und Patienten der Mehrheitsgesellschaft. Das hat reale gesundheitliche Konsequenzen: People of Color haben ein deutlich höheres Risiko, an Herzerkrankungen, Krebs, Diabetes oder einer HIV-Infektion zu sterben.

Man kann sich an solchen Studien aus anderen Ländern natürlich orientieren, muss sie aber einordnen, findet Ruth Kutalek, Medizinanthropologin an der Abteilung für Sozial- und Präventivmedizin der Med-Uni Wien. "Das Gesundheitssystem ist in den USA ein völlig anderes und die Ungleichheit in der Primärversorgung noch deutlich größer als hierzulande." Nichtsdestotrotz gebe es sie, aber die Strukturen dahinter sind andere.

Vereinzelt lässt sich das auch beziffern. So ist etwa nur ein Drittel der Menschen mit Migrationsbiografie mit ihrer Gesundheit zufrieden, zeigt eine Studie der Universität Wien. Bei Menschen, die in Österreich geboren wurden, sind es zwei Drittel. Patienten und Patientinnen mit Migrationshintergrund leiden überdurchschnittlich häufig an Kopf- und Magenschmerzen, Schlaflosigkeit und Einsamkeit.

Gesamtgesellschaftlicher Prozess

Die Ungleichbehandlung von Patienten und Patientinnen ist aber nur eine Ebene des Rassismus in der Medizin. Das Problem beginnt schon viel früher. "In Ausbildung und Studium wird das Thema meist nur am Rande behandelt. Die Curricula orientieren sich am weißen Mittelschichtpatienten", kritisiert Theda Borde, Gesundheitswissenschaftlerin und Professorin an der Berliner Alice-Salomon-Hochschule, im deutschen Fernsehsender ZDF.

Das will man ändern, berichtet Karoline Rumpfhuber von der Stabstelle "Gender Mainstreaming und Diversity" der Med-Uni Wien. Es ziehen sich zwar bereits sozial- und kultursensible Lehreinheiten durch das gesamte Medizinstudium, aber insgesamt behandle man das Thema noch zu unkritisch, sagt sie. Das gilt auch für die Studierenden selbst: "Viele gehen davon aus, dass sie selbst nicht rassistisch sind, aber wir dürfen nicht vergessen, dass wir in einer rassistisch strukturierten Welt leben und wir dadurch oft unbewusst rassistisch handeln", sagt Rumpfhuber. Das gelte auch für die Medizin – und zwar auf unterschiedlichsten Ebenen: In der Behandlung, in der Forschung und im Kollegium. Auch medizinisches Personal mache immer wieder Diskriminierungserfahrungen, von Seiten der Patientinnen oder Kollegen.

Antirassistische Ansätze

Rassistische Strukturen sind immer von gesamtgesellschaftlichen Entwicklungen abhängig, man könne Medizin nicht losgelöst davon betrachten, sagt Kutalek. Aber die Medizin habe schon aufgrund ihrer Geschichte im Nationalsozialismus und auch schon davor eine besonders starke Verantwortung zur Reflexion, findet Rumpfhuber.

Ansätze, wie man Ungleichheiten in der Medizin beseitigen könnte, gäbe es viele. Etwa den flächendeckenden Einsatz von Dolmetsch-Services, sowohl in Krankenhäusern als auch im niedergelassenen Bereich. "In manchen Bereichen des täglichen Lebens ist das bereits verpflichtend, aber im Gesundheitsbereich noch nicht", kritisiert Kutalek. Aufklärungsmaterial ist selten mehrsprachig und wenn Familienangehörige von Betroffenen übersetzen, kann es bei komplexen Fällen und medizinischen Fachbegriffen zu Fehlern kommen. Menschen mit Migrationshintergrund erhalten dadurch manchmal unvollständige Informationen oder keine angemessene Aufklärung.

Das Gesundheitswesen an sich müsste außerdem diverser werden, fordern zahlreiche Organisationen. Im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung gibt es unter Ärztinnen und Ärzten unterdurchschnittlich wenige Menschen mit Migrationsbiografie. Zudem bräuchte es mehr Präventionsmaßnahmen wie interkulturelle Trainings. Medizinisches Personal muss gezielt für den Umgang mit diversen Patientinnen und Patienten geschult werden. Weiterbildungen können Ärztinnen und Pflegern dabei helfen, Stereotype zu erkennen und besser zu reagieren. (Magdalena Pötsch, 21.3.2023)