Tausende von schwangeren russischen Frauen reisen ins Ausland, um dort zu gebären. Argentinien ist eines der beliebtesten Ziele für diese Art von "Geburtstourismus".

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Eine Einreise nach Argentinien ohne Visum ist für viele Menschen möglich. Bis zu 90 Tage können Urlauber und Urlauberinnen als Touristen in das lateinamerikanische Land einreisen. Mit dem Ausbruch des Ukrainekriegs machen nun auch reihenweise russische Familien davon Gebrauch. Das Sonderbare: Die Behörden zählen erstaunlich viele schwangere Frauen.

Die Migrationspolitik in dem südamerikanischen Land gilt schon lange als locker, denn Einwanderung hat in Argentinien eine lange Tradition. Zunächst wurden Einwanderer und Einwanderinnen aus Europa als Treibkraft der gesellschaftlichen Modernisierung betrachtet. Mittlerweile erhoffen sich viele Menschen aus umliegenden Ländern ein besseres Leben in Argentinien – immerhin ist das Land laut Wirtschaftskammer Österreich die drittgrößte Volkswirtschaft in Lateinamerika. Neuerdings geht die Einreisewelle von Russland aus.

Der Grund für diesen Trend liegt in der Tatsache, dass Argentinien eines der wenigen Länder ist, die das Geburtsrecht anwenden. Nach dem Geburtsortprinzip ist es egal, welche Staatsangehörigkeit die Eltern eines Kindes haben. Auf dem Staatsgebiet geborene Kinder bekommen automatisch die Staatsbürgerschaft des jeweiligen Landes.

Politische Flüchtlinge oder Geburtstourismus

Laut einem "Spiegel"-Bericht dürften seit dem Ausbruch des Ukrainekriegs mehr als 10.500 schwangere Russinnen zur Geburt ihres Kindes nach Buenos Aires geflogen sein. Viele seien dabei kurz vor ihrer Entbindung gewesen. In einem von Bloomberg Quicktake veröffentlichten Video auf Twitter spricht ein russisches Paar über ihre Auswanderung nach Argentinien: "Ich hatte Angst, dass mein Mann im Krieg stirbt und ich unser Kind alleine großziehen muss." Ein anderes Paar ist geflüchtet, weil die Qualifikationen des Mannes als Mathematiker und Programmierer für das russische Militär hätten eingesetzt werden können. "Ich wollte nicht Teil dieses Kriegs sein", sagt Maxim Levoshin.

In den vergangenen Jahren hat sich in Argentinien bereits ein Trend des sogenannten Geburtstourismus entwickelt, bei dem schwangere Frauen in das südamerikanische Land reisen, um ihre Kinder dort zur Welt zu bringen. Für viele schwangere Russinnen dürfte dies eine attraktive Option sein, da Argentinien ein vergleichsweise stabiles politisches Klima und eine gute medizinische Versorgung bietet. Mit der argentinischen Staatsbürgerschaft von Kindern wird die Aufenthaltsgenehmigung für die Eltern um einiges vereinfacht und die Antragszeit für die Staatsbürgerschaft verkürzt. Dennoch dürfte der Grund für die ansteigende Zahl an russischen Auswanderern die Teilmobilisierung Russlands sowie der Krieg allgemein sein.

Argentinischer Reisepass ist stärker als der russische

Der argentinische Reisepass ermöglicht die visafreie Einreise in 171 Länder. Zum Vergleich: Mit dem russischen Pass ist die Einreise ohne Visum in 118 Ländern möglich. Durch den russischen Angriff auf die Ukraine wurde das Reisen für Staatsbürger und Staatsbürgerinnen aus Russland zusätzlich erschwert.

Aus diesem Grund war Argentinien schon vor dem Ukrainekrieg Ziel des "Geburtstourismus". Befürchtungen, dass das Staatsbürgerschaftsrecht ausgenutzt wird, wurden daher von der argentinischen Regierung mit schärferen Regeln für die Einwanderung beantwortet. Mittlerweile müssen die Eltern, die in Argentinien geborene Kinder haben, nachweisen, dass sie mindestens zwei Jahre im Land leben und arbeiten wollen, um einen argentinischen Reisepass zu bekommen.

Eine Geschäftsstrategie

Nach dem zunehmenden Andrang von schwangeren Russinnen wurden die argentinischen Behörden aufmerksam. Im Februar wurden einige Frauen am Flughafen festgehalten, weil sie unter dem Verdacht standen, nicht wegen eines Urlaubs in das Land zu reisen. Unter den 83 Frauen aus Russland waren 16 schwangere Passagierinnen. Agenturen wie etwa Baby.RuArtgentina bieten Familien Unterstützung bei ihrer Ausreise an. Das Unternehmen sei laut Website zu "hundert Prozent argentinisch" und verkauft verschiedene Pakete, die Hilfe bei Reisedokumenten, Unterkunft und Aufenthalt in den besten Krankenhäusern leisten. Die Preise für eine Abwicklung mit dem Unternehmen können bis zu 15.000 US-Dollar erreichen.

Dem "Spiegel"-Bericht zufolge würden zahlreiche russische Familien das Land nach der Geburt auch wieder verlassen. Seit Februar werden nun Aufenthaltsgenehmigungen von Russen ausgesetzt, die ins Land kamen, um zu gebären, aber nicht blieben.

Der Einwanderungsboom aus Russland ist mittlerweile so groß, dass Werbungen und Speisekarten in etlichen argentinischen Städten auf Russisch übersetzt sind. Zusätzlich sind die orthodoxen Kirchen in Buenos Aires hochfrequentiert. (Tabea Hahn, 21.3.2023)