Es ist eine Reise zurück in die Vergangenheit: Das Eingangsportal in der Steingasse knallrot, gleich im Foyer der legendäre Wuzler, im ersten Stock immer noch der "Festsaal" – alles so, als wäre gerade erst die geschichtsträchtige "Leber-Party" samt Konzert der Linzer Notwehr über die Bühne gegangen. Und selbst der Toast, der zu Mittelschulzeiten das 1er-Menü war, steht noch auf der Speisekarte der kleinen Bar.

Alle sozialen Schichten

Das Jugendzentrum Stuwe ist wohl die älteste Einrichtung ihrer Art in Linz. Bereits 1946 von Jesuiten gegründet, ist es am heutigen Standort in der Linzer Innenstadt Teil der Diözese Linz. Das "Wohnzimmer für Generationen" wird von einem dreiköpfigen Team geführt, zwischen 15 und 50 Jugendliche kommen täglich in das zweistöckige Gebäude und nutzen das breite Angebot.

Leiterin Veronika Wirth hält die Türen des katholischen Jugendzentrums Stuwe in der Linzer Innenstadt für alle Jugendlichen weit offen. Auch jene, die nach den Halloween-Ausschreitungen derzeit ihre Haftstrafen absitzen, sind jederzeit wieder willkommen: "Es gilt, die Probleme zu lösen, nicht den Menschen zu verteufeln."
Foto: Werner Dedl

Jugendliche "aus allen sozialen Schichten", erzählt Leiterin Veronika Wirth. Die Religionspädagogin hat mit einer Tasse Tee am großen Küchentisch Platz genommen. Schülerinnen und Schüler aus den nahegelegenen Gymnasien besuchen das Jugendzentrum ebenso wie Menschen mit Behinderung oder eben auch Jugendliche, die die Gesellschaft mitunter gerne auf ein Problem reduziert. Eine Verallgemeinerung, auf die Wirth allergisch reagiert: "Ja, zu uns kommen auch Jugendliche, die massive Probleme haben. Insbesondere nach Corona ist die Zahl der Jugendlichen mit Gewalterfahrung auch bei uns im Haus gestiegen. Doch ich verwehre mich dagegen, nur das Problem zu sehen." Es gelte, das Problem zu lösen – "und nicht den Menschen zu verteufeln". Im Stuwe stehen deshalb allen Jugendlichen die Türen prinzipiell offen. Doch ohne klare Regeln geht gar nichts, das erfährt der Gast gleich beim Eingang. Ein handgeschriebenes Plakat erklärt das simple Prinzip der "Aktion freundlich": Wer freundlich ist, darf bleiben. Wer nicht freundlich ist, muss draußen üben.

Auf Gewaltandrohungen und ordinäre Schimpfwörter folgt ein eintägiger Hausverweis, für "Schlagen mit Hilfsmitteln" eine Woche Hausverbot. "Wir wollen gute Stimmung", steht am unteren Ende der Benimmtafel.

Rufe nach Abschiebungen

Doch dann war Halloween. Und die Stimmung schlecht. Etwa 200 junge Menschen, nicht wenige davon mit Migrationshintergrund, lieferten sich im Vorjahr in der Linzer Innenstadt eine Auseinandersetzung mit der Polizei – Flaschen, Steine und illegale Böller fliegen. Ernster verletzt wird niemand, Sachbeschädigungen gibt es kaum. Und doch ist der Schaden für die städtische Jugendarbeit enorm. Angeheizt von politischer Seite, läuft die Debatte schnell aus dem Ruder. In die Rufe nach einer raschen Abschiebung mischt sich die Angst vor einer bislang ungeahnten Jugendbandenkriminalität in der Stahlstadt.

Veronika Wirth kann sich an den Moment, an dem sie am 1. November die Zeitung aufschlägt, noch gut erinnern: "Ich habe mir nur gedacht: Bitte niemand von uns!" Doch der Wunsch der Pädagogin blieb unerfüllt: Zumindest drei Jugendliche – alle mussten sich bereits vor Gericht verantworten – gehörten zur Stuwe-Stammklientel.

Die Polizei griff bei den Halloween-Ausschreitungen in Linz ein.
Foto: APA / Fotokerschi

Veronika Wirth will auch die Taten nicht kleinreden: "Da gibt es überhaupt nichts zu beschönigen. Die Taten sind klar abzulehnen, dafür müssen die Jugendlichen jetzt auch die Konsequenzen tragen." Dennoch gebe es eben die zweite, die "andere Seite". Wirth: "Wir merken in unserer täglichen Arbeit nichts von einer organisierten Bandenkriminalität in Linz. Ich erlebe hingegen täglich Jugendliche, die oft wenig Perspektiven, aber viel Druck haben. Sich manchmal nicht spüren wollen."

Nicht nur Täter

Seit etwa eineinhalb Jahren seien zumindest die drei Jugendlichen im Stuwe sehr präsent gewesen. "Mit allen Facetten – charmant, witzig, lästig, frech, wild, ungehobelt, lernbereit, hilfsbereit." Man wolle ihre Täterschaft nicht in Abrede stellen. Aber: "Wir wünschen uns, dass sie eine Chance haben, als Menschen, als Jugendliche in der Öffentlichkeit wahrgenommen und nicht auf ihre Taten reduziert zu werden", appelliert Wirth. Nachsatz: "Wenn sich der Pepi Huber aus dem Mühlviertel mit einem illegal gekauften Böller die Hand wegbläst, wird auch kein Grundsatzproblem daraus gemacht."

Problematisch sei aber dennoch, dass Jugendliche oft ihre Grenzen nicht kennen: "Geschriebene oder ungeschriebene Gesetze werden nicht mehr vermittelt, weil die Eltern migrantischer Jugendlicher sie selbst nicht kennen. Wenn wir nicht in Kontakt kommen zwischen den Milieus, brauchen wir uns nicht wundern, dass die ‚Neuen‘ nicht wissen, wie wir ‚hier bei uns‘ zusammenleben wollen." (Markus Rohrhofer, 21.3.2023)