Die Betrüger investieren viel Zeit in die Beziehungspflege mit ihren Opfern, ehe sie zum ersten Mal um Geld bitten.

(Symbolbild generiert mit der Bilder-KI Midjourney)

Foto: DER STANDARD/Pichler/Midjourney

Die US-Handelskommission FTC spricht von einer "explosiven Mischung", die sich in den vergangenen Jahren zusammengebraut hat. Es ist so leicht wie nie zuvor, Geld in Kryptowährungen umzutauschen und an andere zu schicken. Gleichzeitig ist Online-Dating zu einem normalen Teil menschlicher Kontaktsuche geworden. Und das Bedürfnis nach mehr zwischenmenschlichen Beziehungen ist nach mehr als zwei Jahren Corona-Pandemie und "Social Distancing" bei vielen stark gestiegen.

Diese Bedingungen haben das Feld aufbereitet für eine neue Welle des Romantikscams. Als eines von vielen Fallbeispielen berichtet "Business Insider" etwa von Kate Kleinert. Die sonst vorsichtige, verwitwete 69-jährige US-Amerikanerin ließ sich im Sommer 2020 auf die Freundschaftsanfrage von "Tony" ein, der sich als norwegischer, im Irak stationierter Arzt vorstellte.

Langsame Romanze

Kleinert war eigentlich nicht auf Beziehungssuche. Ihr Herz sei zu dem Zeitpunkt immer noch mit ihrem verstorbenen Mann verheiratet gewesen, sagt sie. Doch etwas bei Tony sei anders gewesen. Man schrieb sich praktisch auf täglicher Basis. Er sendete Fotos von sich und erzählte von seinen zwei Kindern und über seine an Leukämie verstorbene Frau.

Es dauerte, aber schließlich erklärte er seine Liebe für Kate. Man kam sich, so schien es ihr, näher. Auf seine Bitte sah sie sich nach einem Haus für einen gemeinsamen Einzug und nach Schulen für die Kinder um. Sie, die selbst nie Kinder bekommen hatte, habe sich auf ihre Mutterrolle gefreut und auf jemanden, der sie fragt, wie ihr Tag war, reflektiert sie im Nachhinein.

Der Traum platzt

Erst nach einiger Zeit hatte Tony begonnen, sie um Geld zu bitten – zunächst für die Unterstützung seiner Töchter. Bis Dezember 2020 hatten sich die Überweisungen auf 39.000 Dollar summiert. Als Tony schließlich in den USA ankommen sollte, wartete Kleinert vergeblich stundenlang am Flughafen. Schließlich rief sie jemand an, der sich als sein Anwalt vorstellte und erklärte, er wäre bei der Einreise in rechtliche Schwierigkeiten gekommen und inhaftiert worden.

Er und Tony beknieten sie um eine große Geldsumme für die Kaution. Sie schöpfte letztlich Verdacht, der Traum platzte. Sie hatte ihr Erspartes für Tony ausgegeben, aber die Schmerzen waren nicht nur finanzieller Natur. Ein gebrochenes Herz lässt sich nicht in Geld messen.

Massiver Anstieg

1,3 Milliarden Dollar verloren US-Amerikanerinnen und US-Amerikaner 2022 durch Liebesbetrugsmaschen. Seit 2019, dem Jahr vor der Pandemie, ist diese Summe damit um 164 Prozent gestiegen.

Foto: FTC

Auf technischer Ebene half den Betrügerinnen und Betrügern vor allem der Krypto-Hype in den vergangenen beiden Jahren. Der Großteil der Transaktionen bei Romantikbetrug wurde in Bitcoin und Co abgewickelt, die hier als Werkzeug für kriminelle Machenschaften genutzt werden. Gleichzeitig belegten Liebesscams gemäß den Daten der FTC im Zeitraum zwischen Jänner 2021 und März 2022 Platz zwei unter allen Betrugsmaschen, bei denen Kryptowährungen zum Einsatz kamen.

Für die Täter erleichtern sie es, anonym zu bleiben, für die Opfer wird es schwieriger, ihr Geld wiederzubekommen. In einigen Fällen gehen Fake-Romanze und der populärste kryptobasierte Betrug, Investmentscams, auch Hand in Hand.

Täter mit Geduld und Methodik

Die Scammerinnen und Scammer haben ihre Methoden den Corona-Jahren angepasst, erklärt Stacey Wood, eine Expertin für forensische Neuropsychologie. Sie suchen nicht mehr nach dem schnellen Geld, sondern investieren viel Zeit und Recherche darin, ihre Opfer zu finden und eine Beziehung mit ihnen aufzubauen. Mitunter dauert es ein halbes Jahr, bis sie um Geld bitten.

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Unter den Betroffenen finden sich besonders viele einsame Menschen, sagt Wood. Der einfache Grund dafür ist, dass psychologische Bestätigung ein menschliches Grundbedürfnis ist. Und dementsprechend großzügig gehen die Betrüger mit Lob, Zuspruch und verständnisvollen Botschaften um. Depressionen und Angststörungen sind zusätzliche Risikofaktoren.

Social Distancing sorgte auch für weniger persönlichen Kontakt der Opfer mit anderen Personen, die vielleicht sonst helfend eingegriffen hätten. Die Pandemie habe dem Comeback des Romantikscams weiteren Aufschwung gegeben, ist aber nicht der einzige Faktor. Auch nach dem Ende vieler Maßnahmen sei Kontakt nun häufiger virtuell.

Pandemie der Einsamkeit

Umfragen aus den USA und Großbritannien weisen auf ein weiter hohes Maß an Einsamkeit hin, auch unter jüngeren Menschen. Ähnliche Daten gibt es auch für andere Länder, darunter Österreich. Zwar könne man praktische Ratschläge geben, etwa dass man niemandem Geld geben sollte, ehe man die Person nicht zumindest einmal persönlich getroffen hat. Die Psychologin hält aber "strukturelle Interventionen" für notwendig.

Sie hofft, dass Onlineplattformen verdächtige Vorgänge und Transaktionen melden und Sozialarbeiter oder andere Experten intervenieren lassen könnten. Kate Kleinert wiederum sieht an ältere, weniger internetaffine Menschen gerichtete Informationskampagnen als wichtiges Mittel, um über Existenz und Ablauf solcher Betrügereien aufzuklären. Sie selbst habe aus dem Erlebten viel gelernt und ist überzeugt, nicht noch einmal auf so etwas hereinzufallen. (gpi, 21.3.2023)