Hee Ching Paw als Supermarktangestellte in Ann Huis Film "The Way We Are".

Foto: Ann Hui / Österreichisches Filmmuseum

Gegen die Propaganda: George Lam als japanischer Journalist in "Boat People" (1982).

Foto: Ann Hui / Österreichisches Filmmuseum

In den Filmen der aus Hongkong stammenden Regisseurin Ann Hui wird viel gegessen. Und nicht immer mit Genuss. Manchmal ist das gemeinsame Essen auch nur achtlose Bedürfnisbefriedigung. Etwa am Beginn von Ann Huis The Way We Are von 2008. Die triste Tischgesellschaft besteht aus Mutter und Sohn. Sie arbeitet im Supermarkt in einer Hongkonger Hochhaussiedlung, er steht kurz vor seinem Schulabschluss und hängt herum. Als die ebenfalls alleinstehende Nachbarin im Supermarkt zu arbeiten beginnt, freunden sich die beiden Frauen an, und das Essensritual füllt sich mit gebratenen Edelpilzen und Freude.

Das tägliche Brot treibt auch die vietnamesischen Kinder in einem der bekanntesten Filme Ann Huis an. In Boat People (1982) ist der japanische Fotojournalist Akutagawa (George Lam) Gast der Sozialistischen Republik Vietnam, um die schönen Seiten des siegreichen Regimes abzubilden. Bald schon lässt er seine Aufpasserin hinter sich, um allein durch die Stadt zu streifen. Dort lernt Akutagawa zwei hungrige Kinder kennen, die er fotografiert und zum Essen einlädt. Und auch er wird eingeladen: Von einem Regierungsoffiziellen zu einer chinesischen Konkubine, die die beste Cuisine française kocht. Doch da Akutagawa kurz zuvor Zeuge davon wurde, wie die Kinder exekutierte Regierungsgegner nach Wertgegenständen durchforsteten, kommt ihm sein blutiges Steak wieder hoch.

Scene on Film

Reportagen, Philosophie, King Hu

Dass Ann Hui einen japanischen Fotojournalisten zum zurückhaltenden Helden ihres dritten Films der Vietnam-Trilogie auserkoren hat, ist bemerkenswert. Einerseits, da es von ihrer dem Humanismus verpflichteten Abwehr nationalistischer Schuldzuweisungen zeugt, andererseits weil es auf Ann Huis eigene Herkunft verweist. Hui wurde 1947 als Tochter einer Japanerin und eines Chinesen in China geboren, später zog die Familie nach Hongkong. Film studierte Hui in England, zurück in Hongkong schrieb sie ihre Magisterarbeit in Philosophie zu Alain Robbe-Grillet. Anschließend arbeitete sie als Assistentin beim Hongkong-Kinoveteranen King Hu und als Reportagefilmerin beim Fernsehen.

Die Kreuzung aus Genrekino, sozialem Realismus und der Zeitphilosophie des Nouveau Roman prägt denn auch ihr umfangreiches, vor allem in Asien vielfach preisgekröntes Filmschaffen. Dass ihre Filme nicht wie die ihrer Landsmänner prominenter auf europäischen Filmfestivals gezeigt wurden, sagt einiges über die Zögerlichkeit aus, mit der im Westen Filmemacherinnen entdeckt wurden. Eine Entdeckung sind Ann Huis Filme aber unbedingt: Genreübergreifend ist ihnen ein überzeugter Humanismus eigen und ihr Interesse für Migration und nicht mehr junge Frauenfiguren ist zeitgemäß wie nie.

15 ihrer Filme sind derzeit bei der Filmschau "Ordinary Heros" in Wien zu sehen. (Valerie Dirk, 21.3.2023)