Katharina Reich und Rudolf Striedinger sind die Vorsitzenden der Gecko.

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Ulrich Elling ist nicht Mitglied der Expertenkommission, die Corona-Maßnahmen verteidigt er: "Wir haben die Schulen zugesperrt, um die Alten und Vulnerablen zu schützen, um die Anzahl von Toten zu reduzieren."

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Waren es jüngste wissenschaftskritische Äußerungen von Karl Nehammer oder das schwarz-blaue Arbeitsübereinkommen in Niederösterreich, die das Fass zum Überlaufen brachten? Fest stand am Montag, dass im Expertengremium Gecko (Gesamtstaatliche Covid-Krisenkoordination) Mitglieder aus Protest zurücktreten wollten. Laut der Tageszeitung "Kurier" sollten unter ihnen der Simulationsforscher Niki Popper und der Virologe Andreas Bergthaler sein. Erwartet wurde, dass aber deutlich mehr Wissenschafterinnen und Wissenschafter und in der Folge auch Thomas Starlinger, enger Berater von Bundespräsident Alexander Van der Bellen und ebenfalls Mitglied der Gecko, austreten würden. Vor der Sitzung im Bundeskanzleramt, die von 17 bis 19.20 Uhr dauerte, war aber keiner der Fachleute für ein Statement zu erreichen.

DER STANDARD

Schritt für Schritt

Die Kommunikation übernahm nach der Sitzung das Bundeskanzleramt: "Die Mitglieder der Gecko haben heute auf Vorschlag des Vorsitzenden darüber beraten, die gesamtstaatliche Covid-Krisenkoordination aufzulösen und in den Regelbetrieb der Ressorts zu überführen. Derzeit werden auch die gesetzlichen Strukturen im Pandemiemanagement zurückgefahren", hieß es in einer Aussendung des Kanzleramts.

"Nach der heute stattgefundenen Sitzung hat Gecko-Vorsitzender Rudolf Striedinger den Bundeskanzler über die heutigen Beratungen informiert. Das Gremium hat dem Kanzler mehrheitlich empfohlen, Gecko mit 31. März formell aufzulösen. Das im Bundeskanzleramt angesiedelte Beratungsgremium der Bundesregierung wird daher nach einer gemeinsamen Entscheidung geordnet mit Ende März aufgelöst und Schritt für Schritt ihre Arbeit beenden", heiß es weiter. Keine Rede mehr von verärgerten Gecko-Mitgliedern.

Striedinger: "Der Bundeskanzler hat immer auf uns gehört"

Gesundheitsminister Johannes Rauch (Grüne) hatte zuvor noch in einer schriftlichen Stellungnahme "die Rücktritte aus der Gecko-Kommission" bedauert, berichtet die "ZiB2" am Montagabend. Er lobte die Zusammenarbeit mit dem Fachgremium als "wertschätzend".

Der "ZiB2"-Beitrag zur angekündigten Gecko-Auflösung.
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Striedinger sagte in der "ZiB2" angesprochen auf mögliche Rücktritte: Diesen Punkt müsse man nicht weiter diskutieren, "weil es nicht dazu gekommen ist." Er fühlte sich von der Politik nicht missachtet: "Der Bundeskanzler hat immer auf uns gehört", sagte Striedinger – aber jetzt sei der Zeitpunkt gekommen, wo man zum Urteil gekommen sei, dass die Beratungs-Arbeit nicht mehr nötig sei.

Das beurteilte auch der Impf-Experte Herwig Kollaritsch so: Seit Dezember habe er keine wesentliche Arbeit mehr leisten können für Gecko, die Niederschlag in einer politischen Entscheidung gefunden habe. Falsch ist aus Sicht Kollaritschs allerdings, dass das Land Niederösterreich – nach dem ÖVP-FPÖ-Pakt – nicht mehr für die Corona-Impfung werben will. Damit riskiere man, dass viele Personen ihren optimalen Impftermin versäumen und dann schwer erkranken könnten. Die Virologin Dorothee von Laer befürchtet jedoch keine großen Auswirkungen – denn zuständig sei dafür das Gesundheitsministerium und nicht das Land.

Aufarbeitung

Bundeskanzler Nehammer bedankte sich jedenfalls "ausdrücklich für den ehrenamtlichen Einsatz der Expertinnen und Experten, die die Bundesregierung in dieser schweren Zeit begleitet, mit ihrer Expertise unterstützt und beraten haben. Das war keine einfache Aufgabe, im Gegenteil, es war eine für uns alle sehr fordernde und außergewöhnliche Zeit, die allen Beteiligten viel abverlangt hat. Umso erfreulicher ist es, dass wir diese Zeit des Pandemiemanagements nun überwunden haben und nun besser gerüstet sind für zukünftige Herausforderungen."

Laut Bundeskanzleramt wird "intensiv an der Gestaltung des Dialogprozesses gearbeitet. Der Start ist nach Ostern geplant. Allen voran arbeitet die Akademie der Wissenschaften derzeit gemeinsam mit den zuständigen Stellen an den Details zum Prozess, in dem der Gesellschaft die Möglichkeit gegeben wird, diese besondere Belastung der Pandemie aufzuarbeiten."

Das Expertengremium Gecko wurde im Dezember 2021 von der Regierung beauftragt und gegründet. Es setzte sich aus 23 Expertinnen und Experten zusammen, die die Regierung informieren und beraten sollten. Geleitet wird das Gremium von Katharina Reich, Generaldirektorin für die Öffentliche Gesundheit, und Generalstabschef Striedinger. Ende Jänner plädierte das Gremium dafür, auch nach einem Ende der Corona-Maßnahmen das Virus-Monitoring weiter aufrechtzuerhalten.

"Auftrag"

Der gesetzliche Auftrag der Gecko war es, mit Fachexpertise die Regierung zu informieren und zu beraten. Wenn alle Wissenschafterinnen und Wissenschafter zurücktreten, kann dieser Auftrag in Ermangelung von Fachleuten nicht mehr erfüllt werden.

Nicht Mitglied des Gremiums, aber immer wieder wegen seiner Expertise gefragt, ist Molekularbiologe Ulrich Elling. Er machte am Montag im Gespräch mit dem STANDARD seinem Ärger Luft: "Wir leben im Moment in einer kollektiven Verdrängung der Pandemie. Einige sind im Moment mit ihrer Immunisierung fertig, aber für manche bleibt es gefährlich, die gehören weiter geschützt."

"Populistische Dämlichkeit"

Impfkampagnen einzustellen, wie das Niederösterreich plant, sei "eine populistische Dämlichkeit, die Tote kosten wird", so Elling.

Was die Aufarbeitung der Pandemie und Fehler, die während ihr zweifelsohne auch passiert seien, angehe, sollte dies kein "Hinterhertreten" sein, sondern zukunftsorientiert.

Dass die Politik nicht immer tue, was ihr die Wissenschaft ratet, sei "frustrierend, aber okay", so Elling, "aber es muss dokumentiert sein, wann jemand evidenzbasiert entscheidet und wann evidenzinformiert". Oder noch klarer formuliert: "Wenn es nur Wahlkampfkalkül ist, ist das nicht in Ordnung, wenn es wirtschaftliche Interessen sind, ist das etwas anderes." Elling wünsche sich für die Zukunft, dass "Entscheidungsprozesse so aufgestellt werden, dass sie transparent sind und Fehler verhindern können".

"Gelitten haben alle"

Zu Niederösterreichs geplanten Corona-Fonds stellt Elling klar: "Gelitten haben in der Pandemie alle, man wird wohl kein Gesetz beschließen können, dass nur die einen Wiedergutmachung erhalten, denen die Maßnahmen zu viel waren. Manchmal kamen die Maßnahmen auch zu spät, etwa in der Deltawelle, als in Oberösterreich Wahlkampf war."

Manche Maßnahmen seien "vielleicht zu viel gewesen, manche zu wenig oder zu spät", so der Molekularbiologe, "aber die Frage ist, ob man solche Entscheidungen wissentlich falsch getroffen hat. Wir haben die Schulen zugesperrt, um die Alten und Vulnerablen zu schützen, um die Anzahl von Toten zu reduzieren", betont Elling.

Doch auch die Kanzlerrede ist für Naturwissenschafter, die die Gefahr des Klimawandels ernst nehmen, Grund für Ärgernis: "Österreich wird auch nicht das Land der Verbrennungsmotoren werden, wie der Kanzler meint, das ist purer Populismus, da sticht EU-Recht unser Recht", resümiert Elling. (Colette M. Schmidt, ag, APA, 20.3.2023)