
Die Viertagewoche ist zum Synonym für eine neue Arbeitswelt geworden. Während sich Beschäftigte davon mehr Freizeit und Erholung versprechen, liebäugeln Unternehmen mit der Aussicht auf mehr Personal. Immer mehr Firmen testen deshalb die verkürzte Arbeitswoche – doch nicht immer mit verkürzter Arbeitszeit.
Der Einzelhändler Lidl startete im Vorjahr als erste Supermarktkette einen Pilotversuch zur Viertagewoche. Für ausgewählte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Österreich wurde die Normalarbeitszeit von 38,5 Stunden auf vier Tage umverteilt. Dies betraf jedoch nur die Büromitarbeiter und nicht diejenigen, die in den Filialen arbeiten. Lidl gab damit dem Wunsch der Mitarbeitenden nach flexibleren Arbeitszeiten nach.
Nach sechs Monaten Testphase ist dieses Jahr nun schon wieder Schluss. Auf Nachfrage des STANDARD über die Gründe und die Evaluierung kam nur eine schriftliche Antwort. "Das Angebot zur Viertagewoche (38,5 Stunden an vier Tagen) wurde bei uns nicht angenommen und wird daher nicht umgesetzt", heißt es darin. Die Bedürfnisse der Mitarbeitenden seien nach Einschätzung des Konzerns bereits "durch die Flexibilisierung vorhandener Arbeitsmodelle" wie Homeoffice und Gleitzeit abgedeckt.
Lange Arbeitstage
Ähnlich wie bei dem Lebensmittelhändler verlief auch ein Pilotprojekt bei dem Motorradhersteller KTM: Vier Monate lange wurde im oberösterreichischen Mattighofen einen Tag pro Woche weniger gearbeitet. Der Preis des verlängerten Wochenendes waren allerdings ebenfalls verlängerte Arbeitstage. Statt wie gewohnt von 6 bis 14 Uhr und 14 bis 22 Uhr an fünf Tagen die Woche wurde in einem Vier-Tage-Rad mit Schichten zwischen 4 und 24 Uhr gearbeitet. Auf Dauer habe das zu einer Mehrbelastung der Beschäftigten und schließlich zu einem Ende der Viertagewoche geführt.
Als erstes großes österreichisches Unternehmen erproben auch die Wiener Linien seit Dezember mit rund 300 Mitarbeitenden die Viertagewoche mit gleicher Arbeitszeit. Die Umsetzung erfolgte zwar in unterschiedlichen Bereichen, der Fahrdienst gehört jedoch – entgegen der ursprünglichen Kommunikation – nicht dazu, wie eine Sprecherin der Wiener Linien auf STANDARD-Anfrage mitteilte. Zu schwierig sei die Umsetzung im Schichtbetrieb, hinzu komme die akute Personalnot. Ein Fazit zu dem Testlauf steht derzeit noch aus. Um künftig neues Personal anzuziehen, setze man bei den Wiener Linien aber bereits vermehrt auf Teilzeitstellen, und auch eine allgemeine Arbeitszeitreduktion auf 35 Wochenstunden werde bis 2028 angestrebt.
Schwer vereinbar
Es gibt momentan zwei Trends in der Arbeitswelt, die nur schwer miteinander vereinbar scheinen. Einerseits suchen viele Unternehmen neue Mitarbeitende, denn die Pensionierungswelle verschärft den Personalmangel. Andererseits wollen viele Menschen nicht mehr Vollzeit arbeiten. Und so kommt es zur Viertagewoche bei gleicher Arbeitszeit: Firmen wollen mit flexiblen Arbeitsmodellen locken und gleichzeitig nicht von der Normalarbeitszeit abrücken.
Längere Arbeitszeiten an vier Tagen bedeuten aber in der Regel mehr Stress und eine andere Tagesplanung. Gerade für Menschen mit Betreuungs- oder Pflegepflichten sind diese Tage damit noch schwerer zu organisieren. In Berufen mit einem hohen Frauenanteil – wie beispielsweise im Einzelhandel – sind die vier längeren Tage eine zusätzliche Planungsherausforderung. In großangelegten Versuchen mit kürzeren Arbeitszeiten geht es aber eigentlich um weniger Arbeit, weniger Stress und mehr persönliche Freizeit für die Beschäftigten. Reduziert man die Stundenanzahl nicht, wird durch die Arbeitsverdichtung das Konzept der Viertagewoche ad absurdum geführt. (Anika Dang, Natascha Ickert, 21.3.2023)