Wer vor einem Blockgletscher steht, wird ihn vielleicht nicht gleich als solchen erkennen – viele glauben vermutlich, eine gewöhnliche Schutthalde vor sich zu haben. In Wahrheit zählen Blockgletscher zu den Permafrostphänomenen. Sie bestehen aus einem schmutzigen Gemisch aus Steinblöcken, Schutt und Eis, das sich langsam talwärts schiebt. Bewegen sich einzelne Abschnitte deutlich schneller als andere, entstehen Risse, und der Zusammenhalt beginnt zu bröckeln – Fachleute sprechen von Destabilisierung.

Unter solchen Zerfallserscheinungen leidet derzeit auch der Blockgletscher im Tiroler Äußeren Hochebenkar: Ein Team um Lea Hartl von der Akademie der Wissenschaften (ÖAW) und der Uni Innsbruck konnte im unteren Bereich des Gletschers eine Beschleunigung der Fließgeschwindigkeit beobachten. Die Folge sei unter anderem häufigerer Steinschlag, die Ursache vermutlich steigende Temperaturen.

Blockgletscher sind verbreitet, aber weniger prominent als die hellen Verwandten. In der Mitte der untersuchte Blockgletscher im Äußeren Hochebenkar, rechts davon im verkehrten "U" des Inneren Hochebenkars ein "inaktiver" Blockgletscher. Im Hintergrund sind die Gletscher des Gurgler Kamms zu sehen.
Foto: ÖAW/3DGEO Heidelberg

Früher gemächlich unterwegs

Am Blockgletscher im Äußeren Hochebenkar südwestlich von Obergurgl werden seit 1938 Bewegungsmessungen durchgeführt. Der rund 42 Hektar große Hochebenkar-Blockgletscher erstreckt sich von etwa 2.800 Metern Seehöhe bis 2.360 Meter. In ruhigen Phasen lag die mittlere Fließgeschwindigkeit des Blockgletschers überall bei weniger als einem Meter pro Jahr.

"Seit Ende der 1990er-Jahre stellen wir eine Beschleunigung fest, die 2003/04 einen ersten kleinen Höhepunkt erreicht hat und dann nach kurzer Pause weitergegangen ist", erklärte Hartl. Im unteren, rund ein Drittel der Gesamtfläche umfassenden Bereich des Blockgletschers bewegt sich das Stein-Eis-Gemisch mittlerweile mit bis zu 30 Meter pro Jahr, wie sie gemeinsam mit Kollegen aus Heidelberg und Zürich im Fachjournal "Journal Earth Surface Dynamics" berichtet.

Gletscher gerät in steileres Gelände

Dieses ungleichmäßige Fließen in Kombination mit der Bildung von Rissen und Spalten "destabilisiert" den Blockgletscher. "Das Material verhält sich dann ähnlich wie bei einer Hangrutschung", meinte Hartl. Der Klimawandel spiele hier sicher eine Rolle, dazu kommt die Geländeform, weil sich der Blockgletscher im unteren Bereich über eine Geländekante in steileres Terrain vorschiebt.

"Wir vermuten, dass flüssiges Wasser für die Destabilisierung eine wichtige Rolle spielt. Es dient als Gleitmittel, und der Blockgletscher rutscht bergab", so die Glaziologin. Je weiter das Stein-Eis-Gemisch nach unten gelangt, desto wärmer wird die Umgebung, und der Prozess beschleunigt sich.

Der Blockgletscher am Äußeren Hochebenkar aus einer etwas anderen Perspektive. Direkt unterhalb der Gletscherzunge verläuft die Zufahrtsstraße zur Langtalereckhütte.
Foto: ÖAW/3DGEO Heidelberg

Die Forscherinnen und Forscher haben bei der Analyse der historischen Daten entdeckt, dass es von Anfang der 1950er- bis Mitte der 1970er-Jahre schon einmal eine Destabilisierung gegeben haben muss. "Auch damals war der Blockgletscher am unteren Ende jener Höhenzone, in der Permafrost zu erwarten ist", und das Gelände habe die Destabilisierung begünstigt, sagte Hartl.

70 Jahre Gletschergeschichte

Allerdings sei aufgrund höherer Bodentemperaturen der Permafrost in der Umgebung des Blockgletschers in den vergangenen Jahrzehnten degradiert, es gibt also weniger dauerhaft gefrorene Bereiche, wodurch sich die Bedingungen seit der ersten Destabilisierung verschlechtert haben.

Durch die Analyse der historischen Aufzeichnungen zur Bewegung des Blockgletschers in Kombination mit Luftaufnahmen und von Drohnen durchgeführten Laserscans konnten die Wissenschafter die Geschichte des Blockgletschers jedenfalls von 1950 bis heute fast lückenlos analysieren und detaillierte Modelle erstellen. "Wir sehen, dass solche Destabilisierungen für Blockgletscher zyklische Ereignisse sein können und sich Bereiche wieder stabilisieren können. Aber wenn es zu warm wird und der Permafrost im Blockgletscher taut, bleiben am Ende nur fossile Blockgletscher, also Geröllhaufen", sagte Hartl.

Der Blockgletscher wurde mittels Laserscanning fortlaufend vermessen.
Foto: ÖAW/3DGEO Heidelberg

Steinschlaggefahr für nahe Straße

Im Äußeren Hochebenkar ist eine Erholung derzeit nicht in Sicht. Der untere Bereich des Blockgletschers bewegt sich auf eine nahe gelegene Straße zu, die zur Versorgung einer Schutzhütte dient. Durch die schnelle Bewegung des Blockgletschers kommt es häufiger zu Steinschlag, der die Straße gefährdet.

Ähnlich die Situation in anderen Bereichen der Alpen: Hartl verweist auf eine Studie aus Frankreich, wonach rund zehn Prozent der aktiven Blockgletscher in den französischen Alpen destabilisiert sind. Auch aus dem übrigen Alpenraum sind einzelne destabilisierte Blockgletscher bekannt, allerdings gebe es keine alpenweite Erfassung.

Blick ins Innere

Auch die Fließdynamik der Blockgletscher sei noch kaum erforscht. "Wenn wir die bestehenden Beobachtungen weiterführen und mit neuen Methoden ergänzen, haben wir gute Chancen, die Bewegung der Blockgletscher und die potenziellen Gefahren besser zu verstehen", so Hartl. Die Forscherin würde speziell ein Blick ins Innere von Blockgletscher interessieren, etwa durch geophysikalische Methoden wie Bodenradar, Geoelektrik oder seismische Messungen oder durch eine Bohrung.

So könnte man die Schichtung im Inneren abbilden und den Eisgehalt ermitteln. "Wir hoffen, in diese Richtung weiter forschen zu können, das wäre ein wichtiger nächster Schritt, um den Blockgletscher besser zu verstehen und Gefahren, die durch auftauenden Permafrost entstehen, besser abschätzen zu können." (red, APA, 21.3.2023)