In Italien verliert die Mafia immer mehr an gesellschaftlichem Rückhalt, der zumeist ohnehin nur auf Angst aufgebaut ist. Egal ob Cosa Nostra (Sizilien), Camorra (Kampanien), 'Ndrangheta (Kalabrien) oder Sacra Corona Unita (Apulien): Die Menschen haben in immer stärkerem Maße genug von den Machenschaften des organisierten Verbrechens – und trauen sich das auch zu artikulieren.

Der 21. März ist in Italien ein Gedenktag für die Opfer der Mafia.
Foto: Marco BERTORELLO / AFP

Am Dienstag nahmen nach Angaben der italienischen Polizei hunderttausende Menschen an Anti-Mafia-Protestkundgebungen im ganzen Land teil. Deren Initiator ist der in Italien seit Jahrzehnten bekannte und von vielen Menschen als Held gefeierte Pfarrer Don Luigi Ciotti. Der 77-jährige Priester ist schon seit den 1960er-Jahren als Aktivist gegen die diversen Mafia-Organisationen eine bekannte Figur der Öffentlichkeit. Seit 2014 steht Ciotti, der in der norditalienischen Metropole Turin lebt, unter permanentem Polizeischutz, rund um die Uhr besser bewacht als so mancher Anti-Mafia-Ermittler und Richter im Land.

1.300 Vereine und Initiativen

Don Ciotti, der ein häufiger Gast im italienischen Fernsehen und wegen seiner bodenständigen Art sehr beliebt ist, gründete Mitte der 1990er-Jahre die Bewegung "Libera" – eine Dachorganisation von heute mehr als 1.300 Vereinen und Bürgerinitiativen, die sich in ganz Italien als Bollwerke gegen die Mafia engagieren.

Am Dienstag nahmen allein in der Wirtschaftsmetropole Mailand – wo die Mafia wegen der enormen Geldflüsse mittlerweile ein wichtiges Standbein hat – mehrere zehntausend Menschen an der Demo teil. An deren Spitze neben Bürgermeister Giuseppe Sala, Don Ciotti und der neuen Chefin des linken Partito Democratico, Elly Schlein, vor allem aber 500 Angehörige von Menschen, die im Lauf der Jahrzehnte von Mafiakillern getötet wurden.

Mailands Bürgermeister Sala sagte: "Die Schlacht ist noch nicht zu Ende." Der Wohlstand der lombardischen Hauptstadt sei einerseits ein Segen für die Menschen, meinte der seit 2016 regierende parteilose Stadtchef, "aber genau diese wirtschaftlichen Interessen ziehen auch jene Menschen mit schlechten Absichten an".

"Tag der Erinnerung"

Der 21. März wird in Italien als "Giorno della Memoria", als Tag der Erinnerung, begangen. Es soll jener Menschen gedacht werden, die zu Opfern des organisierten Verbrechens geworden sind.

Don Luigi Ciotti (Foto von 2021): "Die großen Mafiabosse haben ihre archaischen Methoden hinter sich gelassen und sind zu großen Managern geworden."
Foto: EPA/MASSIMO PERCOSSI

Eines der prominentesten Opfer der Cosa Nostra war der Bruder des heutigen italienischen Staatspräsidenten Sergio Mattarella: Der damalige Regionalpräsident Siziliens, Piersanti Mattarella, wurde 1980 in Palermo von Mafiakillern erschossen, er starb in den Armen seines Bruders, der aufgrund dieses tragischen Vorfalls beschloss, in die Politik zu gehen. Der heute 81-jährige Jurist ist seit 2015 italienischer Staatspräsident und hat es während seiner gesamten politischen Karriere – unter anderem war er mehrmals Abgeordneter und Minister in verschiedenen Regierungen – nie an deutlichen Worten gegen die Mafia vermissen lassen.

Am Dienstag besuchte Mattarella Casal di Principe in der rund um Neapel gelegenen süditalienischen Region Kampanien. Die Kleinstadt gilt als Hochburg der Camorra – in dieser Stadt wurde vor 29 Jahren auch der Priester Don Giuseppe "Beppe" Diana ermordet, der es gewagt hatte, die Mafia öffentlich zu verurteilen. Der Mord damals war besonders perfide: Diana wurde an seinem Namenstag – dem Hochfest des heiligen Josef – in der Sakristei seiner Kirche mit fünf Schüssen in klassischer Mafiamanier ermordet, als er sich soeben für die Frühmesse vorbereiten wollte.

Anti-Mafia-Demo in Mailand, 21.3.2023.
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Aus Bossen werden Manager

Beim Besuch einer Schule in Casal del Principe warnte Mattarella vor der Mafia, die längst versuche, in der Welt der legalen Wirtschaft und der öffentlichen Verwaltung Fuß zu fassen. Dies sei eine gefährliche Tendenz, da der Kampf gegen das organisierte Verbrechen in diesem Umfeld besonders schwierig sei. Ähnliches sagte in Mailand fast zur gleichen Zeit auch Don Ciotti, der den Wandel der "mordenden Mafia" hin zur "unternehmerischen Mafia" anprangerte. "Die großen Bosse haben ihre archaischen Methoden hinter sich gelassen und sind zu großen Managern geworden."

"Dieser Gedenktag ist wichtig, um diejenigen zu ehren, die mit ihrem Leben für die Würde des Menschseins bezahlt und sich der Unmenschlichkeit der Mafia, der Gewalt, der Unterwerfung ihrer Familien und der Gemeinschaften, in denen sie lebten, widersetzt haben", sagte Mattarella. (Gianluca Wallisch, 21.3.2023)