Man würde nicht vermuten, dass sich Menschen mit strengen Mienen in einem Gerichtssaal mit hohen Stuhllehnen und grünen Tischlampen ausgerechnet wegen Schneekrabben versammeln. Doch genau das ist passiert, als am 20. März der Oberste Gerichtshof von Norwegen seine Entscheidung dahingehend verkündete, wer die Tiere in einem Gebiet um Spitzbergen fangen darf.

Urteilsverkündung zum Krabbenfall am 20. März.
Foto: Ida Dahl Nilssen, Høyesterett

Uneinig waren sich im konkreten Fall der Staat Norwegen und das lettische Unternehmen SIA North Star. Dieses hatte 2019 eine Fanglizenz für die Krabben am Festlandsockel beantragt, wurde aber mit der Begründung abgewiesen, dass dies nur norwegische Schiffe dürften. Das Unternehmen argumentierte, das Recht stehe ihm aufgrund des Spitzbergenvertrags von 1920 zu.

Der Spitzbergenvertrag

Longyearbyen, das Verwaltungszentrum Spitzbergens, liegt mehr als 800 Kilometer vom Nordkap entfernt. Die Bewohner und Bewohnerinnen der Inselgruppe teilen sich diese mit Eisbären und Rentieren. Spitzbergen steht unter norwegischer Souveränität, allerdings unter bestimmten Bedingungen: Dazu gehört etwa die gleiche Behandlung aller Bürger und Bürgerinnen der Unterzeichnerstaaten in bestimmten Bereichen.

Wenn ein Staat unterzeichnet hat, können seine Bürgerinnen und Bürger zum Beispiel hier eine Firma eröffnen. Sie haben auch gleiche Rechte im Hinblick auf die Ressourcen in den Hoheitsgewässern ("territorial waters") von Spitzbergen, einschließlich Fisch, Öl und Gas. Vor dem Obersten Gerichtshof ging es nun um die Frage, ob der Vertrag verletzt wurde beziehungsweise ob dieser auch für den Festlandsockel, also ein größeres Gebiet, gilt.

"Schneekrabben und Öl sind im Grunde das Gleiche"

Bei dem Rechtsstreit zwischen Norwegen und dem lettischen Unternehmen geht es zwar strenggenommen um Krabben, doch absurderweise auch um weitere Ressourcen. Denn was für die Schneekrabbe gilt, gilt auch für Öl, Mineralien und andere Ressourcen, wie der Oberste Gerichtshof in einem Fall von 2019 entschied. Das hat damit zu tun, dass es sich bei den Krabben um eine sesshafte, auf dem Meeresboden lebende Art handelt. "Sie gehört zum Festlandsockel und nicht zum Wasser. Fisch ist eine andere Geschichte, aber Schneekrabben und Öl sind im Grunde das Gleiche", erklärt Øystein Jensen, Professor am norwegischen Fridtjof Nansen Institute, im Gespräch mit dem STANDARD. Laut dem Experten ist diese Ansicht auch nicht umstritten.

Ausgewachsene männliche Schneekrabben auf dem Deck eines Forschungsschiffs in Alaska.
Foto: APA / AFP / NOAA Fisheries

Geht es nun vorrangig um Krabben oder um die anderen Ressourcen? "Ich denke es geht um beides", sagt Jensen. Er sieht in der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs einen Präzedenzfall für die Zukunft. "Norwegen will sich die Rechte vorbehalten, nur Norwegern den Zugang zu gewähren. Und das hat mit potenziellen Ressourcen, nicht nur Schneekrabben, sondern auch Mineralien, Öl und Gas, zu tun." Laut Jensen gibt es Schätzungen zufolge viele Ressourcen in dem Gebiet. Die Lage würde Offshore-Aktivitäten allerdings sehr teuer machen.

Streit geklärt

"Es ist so kompliziert, weil im Vertrag nichts über den Festlandsockel steht", sagt Jensen in Bezug auf den Streitfall. "Norwegen legt Wert auf den Wortlaut des Vertrages. Die Letten betonen den Zweck des Vertrages und dass dieser auch darin bestand, allen Staaten Rechte zu geben."

Der Streit wurde nun am Obersten Gerichtshof geklärt. "Das Unternehmen hat nicht das Recht, Schneekrabben auf dem Festlandsockel außerhalb Spitzbergens zu fangen", heißt es in dem Urteil, das einstimmig ausfiel. Hätte SIA North Star das Recht erhalten, hieße das, dass andere Staaten als Norwegen Recht auf Zugang zu den natürlichen Ressourcen auf dem Festlandsockel um Spitzbergen hätten. Nun aber muss Norwegen den Zugang nicht mit den Unterzeichnerstaaten teilen und könnte Lizenzen für Schneekrabben – und damit auch für Öl – ausschließlich an Norweger vergeben.

Vorbereitungen für das Entladen eines Schneekrabbenfangschiffs in Kirkenes, Norwegen.
Foto: REUTERS / MAXIM SHEMETOV

Und jetzt?

Viel ändert das Urteil laut dem Experten erst einmal nicht. "Durch diese Entscheidung wird es weitergehen wie bisher." Der Streit zwischen dem lettischen Unternehmen und Norwegen ist beendet. In Zukunft könnten aber beispielsweise Staaten einander klagen, so Jensen. Einer Entscheidung eines internationalen Gerichts würde der Experte zudem größere Wichtigkeit beimessen als der aktuellen. Staaten müssten allerdings abwägen, ob ihnen das Thema einen Konflikt mit Norwegen wert sei. "Nur die Zeit wird zeigen, ob es zu einem internationalen Streit kommt."

Das Fleisch der Krabben gilt in Japan und Südkorea als Delikatesse. Experte Jensen hat es selbst noch nicht gekostet, aber "es muss gut sein, wenn es so viel Aufregung darum gibt".(Christina Rebhahn-Roither, 23.3.2023)