Die Ukraine kann aufgrund des Krieges den Song Contest, den das Kalush Orchestra aus Kiew 2022 eingefahren hatte, nicht im eigenen Land austragen.

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Der Brite Sam Ryder wurde beim Song-Contest 2022 Zweitplatzierter. Wegen des Krieges in der Ukraine springt nun das Vereinigte Königreich als Austragungsort für 2023 ein.

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Die Kathedrale von Liverpool soll Schauplatz des Song Contests 2023 werden – gestaltet von der ukrainischen Künstlerin Katya Buchatska.

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Es klingt spektakulär, was die ukrainische Künstlerin Katya Buchatska mit der berühmten Liverpool Cathedral vorhat. Sie will die Kirche in einen Zugwaggon verwandeln und eine Reise von der ostukrainischen Stadt Isjum quer durchs Land bis zur polnischen Grenze in Echtzeit zeigen – und so die ukrainische Landschaft in der Song-Contest-Stadt präsent machen. Die Kathedrale als Fenster in ihre Heimat.

Gewinnerlied 2022: "Stefania" des Kalush Orchestras aus der Ukraine.
Eurovision Song Contest

Die britische Stadt Liverpool richtet im Mai den Eurovision Song Contest aus und hat um die größte TV-Musikshow der Welt ein Rahmenprogramm entwickelt, das sowohl britische als auch ukrainische Kunst, Kultur und – trotz oder gerade wegen des Kriegs – Freude und Party kollaborativ schaffen will. So soll ein blau-gelbes U-Boot durch den Hafen fahren. Assoziationen mit Yellow Submarine der berühmtesten Liverpooler, den Beatles, erwünscht. Ein Rave soll in Liverpool und Kiew zeitgleich stattfinden und in die gesamte Welt gestreamt werden. Als ob man Richtung Kreml deutlich zeigen will: Was ihr am wenigsten wollt, ist ein gemeinsam feierndes vielfältiges Europa – inklusive Queers.

Eurofest heißt das Kulturfestival, an dem auch renommierte Institutionen wie die Tate Liverpool oder die English National Opera teilnehmen wollen. Das detailliertere Programm wurde für Ende März angekündigt. "Ich bin stolz darauf, dass wir ukrainischen Künstlern und Musikerinnen eine Plattform bieten können", sagt dazu die Liverpooler Bürgermeisterin Joanne Anderson (Labour).

Ukraine als Gastgeber in Liverpool

Wenn in den Semifinalen am 9. und 11. Mai das österreichische Duo Teya & Salena mit Who the Hell Is Edgar? oder die wiederkehrende schwedische Ex-Siegerin Loreen mit Tattoo um das Finalticket für den 13. Mai singen werden, stehen die Sängerinnen zwar auf der Bühne der Liverpool-Arena, aber zugleich auf einer ukrainischen. Denn der austragende Sender BBC legt großen Wert auf ukrainische Präsenz. Schon das Motto will programmatisch sein: "United by Music".

Die Kathedrale von Liverpool soll ebenfalls Schauplatz des Song Contests 2023 werden – gestaltet von der ukrainischen Künstlerin Katya Buchatska.
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Wir blenden kurz zurück nach Turin im Mai 2022: Das Kalush Orchestra konnte mit Stefania einen Erdrutschsieg beim Eurovision Song Contest erringen. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj verlautbarte unmittelbar danach das Ziel, den Wettbewerb ins Land zu holen. Die EBU, der zuständige europäische Dachverband der öffentlich-rechtlichen Sender, entschied aber schon früh, dass dies in einem Kriegsland nicht infrage kommen kann, da die Sicherheit der Delegationen und Fans nicht garantiert werden könne. Der Überfall Russlands auf die Ukraine verunmögliche dies leider. Auch weiter vom Kriegsgeschehen entferntere Städte wie Lwiw wurden nicht in Erwägung gezogen.

Zweitplatziert

Man kontaktierte also das zweitplatzierte Vereinigte Königreich (Space Man von Sam Ryder). Die BBC zögerte noch, als die britische Regierung sehr schnell klarmachte, sehr wohl Gastgeber sein zu wollen. Von Anfang an betonte die BBC, den Bewerb im Namen der Ukraine und in Kooperation mit dem ukrainischen öffentlich-rechtlichen Sender UA:Suspilne ausrichten zu wollen. Die BBC bat Städte, sich zu bewerben, und nach mehreren Runden gewann Liverpool schlussendlich das Schlussduell gegenüber dem favorisierten Glasgow.

Die Entscheidung der BBC, den Gesangswettbewerb in Liverpool stattfinden zu lassen, hat sehr viel mit der Ukraine zu tun. Denn die Hafenstadt an der Mersey setzte von Anfang an auf kulturelle Brücken zwischen den beiden befreundeten Ländern.

Tickets für Vertriebene

Tausende Tickets werden den Vertriebenen aus der Ukraine zur Verfügung gestellt, um in der Arena eine Art Heimspiel der Ukraine auch emotional erlebbar zu machen. Das Logo des Eurovision Song Contest 2023 macht deutlich, was dieses Jahr anders ist. Das Herz in der Mitte beinhaltet ukrainische und nicht die britische Fahne. Die Ticketpreise für den Rest Europas bewegen sich dafür in mittlerweile schwindelerregenden Höhen.

Die Moderation an den Abenden vom 9. bis 13. Mai ist ukrainisch-britisch gemischt. Die BBC setzt, zumindest im Finale, auf ihren größten Star: Graham Norton. Der gebürtige Ire ist nicht nur wegen seiner Talkshow berühmt, sondern er kommentiert den Eurovision Song Contest bereits seit 2007 für die BBC. Ihm zur Seite stehen Hannah Waddingham, bekannt aus der Serie Ted Lasso, und die Popsängerin Alesha Dixon. Ukrainische Kollegen flankieren das britische Team.

Ukrainisch-britische Moderation

Julija Sanina ist Sängerin der ukrainischen Rockband The Hardkiss und wird alle drei Abende mit moderieren. Ihre Band The Hardkiss trat 2016 bei der ukrainischen Vorausscheidung Vidbir an, um das Land beim Eurovision Song Contest zu vertreten, musste sich aber knapp der späteren Siegerin Jamala (1944) geschlagen geben. Als Korrespondent, wie die BBC diese Rolle nennt, wird Timur Miroschnytschenko aus den verschiedenen Ecken Liverpools und dem Green Room berichten. Er war Moderator des Song Contest 2017 in Kiew.

Und so ist Liverpool im Mai eine Stadt, die auch in der Ukraine liegt. "Ich bin begeistert, wie so viele ukrainische und britische Künstler zusammenarbeiten, um einzigartige und inspirierende Projekte zu schaffen, die unsere gemeinsame Liebe zu Musik und Kultur feiern", sagt dazu der ukrainische Botschafter in Großbritannien, Vadym Prystaiko. Der 67. Eurovision Song Contest 2023 wird jedenfalls anders als alle 66 Ausgaben davor. (Marco Schreuder, 22.3.2023)