Die Regierung von Benjamin Netanjahu steht so rechts wie nie.

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Zum ersten Mal in Israels Geschichte macht der Staat einen Rückzug vom territorialen Rückzug. Es geht um den Norden des Westjordanlandes, den Landstrich zwischen Nablus und Dschenin – und damit um jenes Gebiet, in dem die höchste Frequenz an Gewaltausbrüchen zu verzeichnen ist.

Im Jahr 2005 beschloss die Regierung unter dem konservativen Premier Ariel Sharon, vier jüdische Siedlungen in dem Gebiet zu evakuieren. Und zwar aus Sicherheitsgründen: Wegen der dichten palästinensischen Besiedlung und des hohen militärischen Aufwands, den der Schutz der Siedler beanspruchte, wurde das Gebiet zur Sperrzone erklärt. Das Parlament stimmte mit hoher Mehrheit für den Abzug, der auch sämtliche Siedlungen im Gazastreifen umfasste.

Israels heutige Regierung, die am weitesten rechts stehende Koalition in der Geschichte des Landes, hob das Gesetz für das Westjordanland wieder auf. Damit haben Siedler, die sich in dem spannungsgeladenen Gebiet niederlassen möchten, nun grünes Licht der Regierung.

Ausschreitungen

Die Sicherheitsbedenken, die Sharons Regierung vor knapp zwanzig Jahren geäußert hat, gelten heute mehr denn je. Erst am Sonntag wurde in Huwwara im Norden des Westjordanlandes ein Israeli von einem palästinensischen Schützen schwer verletzt. Ende Februar wütete ein Mob radikaler Siedler in Huwwara, setzte Häuser und Autos in Brand. Ein Sanitäter starb, laut palästinensischen Angaben wurden mehr als 300 Menschen verletzt.

Es ist nicht unwahrscheinlich, dass sich an den Ausschreitungen auch Siedler aus Homesh beteiligten. Homesh ist eine jener vier Siedlungen, die 2005 geräumt wurden. Offiziell machen sich Israelis, die das Gebiet der damaligen Siedlung betreten, strafbar – das Gesetz sieht bis zu zwei Jahre Freiheitsentzug vor. In der Praxis haben die illegalen Siedler aber wenig zu befürchten. Sie haben auf dem Gebiet eine Wohnwagensiedlung inklusive Bibelschule errichtet. Ihr Gesetzesbruch wird von der Regierung nun belohnt.

Das alles geht auf Kosten der palästinensischen Bewohner. Die Siedlungen wurden überwiegend auf palästinensischem Privatgrund errichtet. Je mehr Siedler sich hier niederlassen, desto mehr von diesen Agrarflächen werden in der Folge von der Armee konfisziert – als Bannmeile zum Schutz der Siedler.

Schutz nur für Juden

Die Palästinenser, die immer wieder Opfer gewaltsamer Übergriffe radikaler Siedler werden, haben keine Schutzmacht. Offiziell sind israelische Soldaten zwar auch dann zum Einschreiten verpflichtet, wenn die Opfer eines Angriffs Palästinenser sind. Solche Einsätze werden den Aussagen von Militärangehörigen zufolge aber nicht trainiert – und oft auch nicht kommandiert.

Die Aufhebung des Abzugsgesetzes ist für die Siedlerbewegung ein gigantischer Erfolg. Für sie geht es längst nicht nur um die vier geräumten Siedlungen, sondern um die Erschließung eines neuen Gebiets. Es ist zu erwarten, dass nun im Norden der Westbank zahlreiche neue Outposts entstehen werden – die wiederum später von der ultrarechten Regierung legalisiert werden.

Dass die Aufhebung ausgerechnet jetzt kommt, wenige Tage nach dem von Ägypten vermittelten Treffen mit palästinensischen Vertretern in Sharm el-Sheikh, kann als Provokation verstanden werden: Israels Vertreter hatten dort zugesagt, in den kommenden Wochen von einer weiteren Siedlungsexpansion im Westjordanland abzusehen, um eine Eskalation im Fastenmonat Ramadan zu vermeiden.

Es ist nicht die einzige Provokation dieser Tage, die Israels Nachbarländer aufschrecken lässt. Finanzminister Bezalel Smotritsch, der bei einer Veranstaltung in Paris erklärte, so etwas wie "ein palästinensisches Volk gibt es nicht", tat dies vor dem Hintergrund einer abgewandelten Israel-Landkarte. Abgeändert wurde die Karte insofern, als der Staat Israel dabei auch Jordanien umfasste. Die Empörung in Amman war groß. Smotritsch, der auch als Gouverneur des Westjordanlandes fungiert, hat sich bis heute nicht entschuldigt. (Maria Sterkl aus Jerusalem, 21.3.2023)