Christiane Druml, Direktorin des Josephinums, ist Vorsitzende der Bioethikkommission.

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Die im niederösterreichischen Arbeitsübereinkommen zwischen ÖVP und FPÖ vereinbarte Corona-Politik sorgt weiter für Kritik. Das Bundesland will für zwei Jahre einen 30 Millionen schweren Fonds einrichten und damit unter anderem verfassungswidrige Covid-Strafen zurückzahlen. Zudem will Niederösterreich keine weiteren Werbemaßnahmen für die Corona-Impfung durchführen.

Die Bioethikkommission hat dieses Vorgehen, ohne Niederösterreich namentlich zu erwähnen, in einer Stellungnahme nun scharf kritisiert. Die jüngsten politischen Verlautbarungen und Debatten seien "zunehmend von einer Negierung der wissenschaftlichen Erkenntnisse geprägt und haben damit eine höchst bedenkliche, teilweise geradezu unethische Richtung eingeschlagen", heißt es in einer am Montag veröffentlichten Ad-hoc-Reaktion zur derzeitigen Debatte zu einem "Corona-Wiedergutmachungsfonds".

Kommission sieht "Verletzung der Schutzpflicht des Staates"

Das Fachgremium verweist auf eine frühere Stellungnahme, wonach die Corona-Pandemie keine Privatsache sei. "Zu ihrer Bewältigung braucht es gesellschaftliche Kooperation und solidarisches Handeln der Einzelnen." Im aktuellen öffentlichen Diskurs werde aber gerade dieses solidarische Handeln "infrage gestellt", kritisiert die Bioethikkommission. Zwar sei es notwendig und berechtigt, die Verhältnismäßigkeit konkreter Corona-Maßnahmen zu untersuchen. Es sei aber "weder ethisch noch rechtlich begründbar, nun 'Gerechtigkeit und Wiedergutmachung' für diejenigen zu fordern, die nicht bereit, obwohl in der Lage, waren, die immanent notwendigen Einschränkungen individueller Freiheiten in einer Pandemie solidarisch mitzutragen".

Zudem sei der Begriff "Wiedergutmachung" abzulehnen, weil dieser "offensichtlich darauf abzielt, die Covid-19-Maßnahmen in manipulativer Weise in den Kontext völker- und menschenrechtlicher Verbrechen zu stellen".

Dass das Land Niederösterreich künftig nicht mehr für Corona-Impfungen werben will, stuft die Bioethikkommission als "Verletzung der Schutzpflicht des Staates" ein. "Die fehlende öffentliche Information könnte dazu führen, dass wirksame Instrumente zum Schutz vulnerabler Gruppen in Misskredit geraten und dadurch indirekt eine vermeidbare Gesundheitsgefährdung bewirken."

Mehr Beachtung für Gesundheitspersonal und Wissenschaft gefordert

Die Expertinnen und Experten weisen weiters darauf hin, dass das in der Pandemie dermaßen geforderte Gesundheitspersonal in der aktuellen Diskussion kaum beachtet werde. Diese Personen waren "immer wieder Drohungen und Anschuldigungen ausgesetzt". Dieser Punkt komme im aktuellen Diskurs um "Gerechtigkeit und Wiedergutmachung" jedoch zu kurz. Ähnliches gelte für Wissenschafterinnen und Wissenschafter, die die Politik "in tausenden ehrenamtlichen Arbeitsstunden" beraten haben. Die Bioethikkommission sieht die "Gefahr, dass durch die neue, offensichtlich nur taktisch motivierte Rhetorik die Drohungen und Vorwürfe gerade gegen diejenigen wieder aufflammen, die sich für die Überwindung der Pandemie eingesetzt haben".

Für das Gremium ist notwendig, die "zweifellos vorhandenen gesellschaftlichen Verwerfungen" aufzuarbeiten. Dieses Ziel könne jedoch nur "durch einen transparenten, auf wissenschaftlichen Erkenntnissen basierenden Diskurs" erreicht werden.

Beratungsgremium im Bundeskanzleramt

Die Bioethikkommission wurde im Jahr 2001 im Bundeskanzleramt installiert. Sie soll den Kanzler in allen gesellschaftlichen, naturwissenschaftlichen und rechtlichen Fragen auf dem Gebiet der Humanmedizin und Humanbiologie aus ethischer Sicht beraten. Vertreten sind 24 Mitglieder aus den Bereichen Medizin, Molekularbiologie und Genetik, Rechtswissenschaften, Sozialwissenschaften, Philosophie, Theologie und Psychologie. Aktuelle Vorsitzende ist Christiane Druml, Direktorin des Josephinums. (ag, 21.3.2023)