Derzeit befinden sich Flussgott Danubius, die ihm angetraute Vindobona, Gefährten und Atlanten, umgeben vom Holzpyjama, im Winterschlaf. Bis zu Frühlings Erwachen.
Foto: Gregor Auenhammer

Naturgemäß diente der Bau befestigter Brunnen zunächst rein utilitaristisch der Versorgung der Menschen mit dem Elixier des Lebens, dem elementarsten der Elemente, dem Chamäleon unter den Molekülen: Wasser. Im Lauf der Jahrhunderte entstanden preziöse Brunnenanlagen mit deliziösen Statuen, Skulpturen, über die Funktionalität hinaus repräsentative Bauwerke. Die ältesten Brunnen der Stadt gehen auf das antike Römerlager Vindobona zurück, der älteste, original erhaltene Brunnen stammt aus dem Jahr 1552, befindet sich heute im Schweizertrakt der Hofburg. Der erste, anno 1310 urkundlich erwähnte "Schöne Brunnen" am Tuchlauben musste 1753 einer Verkehrsberuhigung weichen. Ja, so etwas gab’s damals schon. Barock und Klassizismus führten zur Hochblüte hedonistischer Brunnenkunst, nebst sakraler und säkularer Kunst, gefolgt vom hehren Gedanken, das Alltagsleben zu verbessern, Genuss und Kultur für das Volk, nicht nur die Herrschaft zu schaffen. So kam es zum demokratischen Ansatz des Roten Wien, Kunst allen Menschen ans Herz und vor Augen zu legen. Brunnen sind sichtbare Zeichen achtsamen sozialen Zusammenlebens; im Dialog Bildhauerkunst, Architektur, Gesellschaft, Ökonomie und Ökologie.

Flaniert man heute offenen Geistes, wachen Auges durch Wien, ist man immer wieder fasziniert von der Pracht und Herrlichkeit der zahlreichen Skulpturen, der fantastisch-sinnlichen Statuen. Oft fragt man sich nach der Bedeutung der in kultivierte Fauna und Flora eingebetteten Figuren, der Najaden, Elfen, Nixen, Tritonen, Hippokampen, Hermaphroditen, der ätherischen, aber keineswegs anämischen Göttinnen und Götter. Sind es Heilige, Engel oder satanische Wesen? Von der Antike inspirierte, sphärisch-entrückte Fabelwesen? Personifikationen der "nackten Wahrheit"? Zu Kaskaden geschlichtete Gedankenwelten? Stein und Marmor gewordene Allegorien? Kunstobjekte oder simple Kitschpatente? Kaiser, Könige, Königinnen oder Mätressen? Bürger oder deren Meister? Bekannte Persönlichkeiten? Musen? Honoratioren? Ehrwürdige oder nach heutigen Maßstäben verachtenswerte Gestalten aus der Geschichte?

"’s Wossa kummt aus da Wossaleitung, und da Strom aus da Steckdos’n", lautet die landläufige Meinung von His Masters und Hausmasters Voice ... "Jo eh", könnte man sagen. Aber erstens war das nicht immer so, in Wien erst, aber immerhin seit 150 Jahren, und zweitens sorgen sich tagtäglich ganze Heerscharen darum, dass dies so ist. Exakt 55 denkmalgeschützte Brunnen verwaltet die MA 31, die Abteilung Wiener Wasser, unermüdlich, mit Empathie und Leidenschaft. Dutzende Ensembles werden zudem von Burghauptmannschaft und Bundesdenkmalamt betreut. Dass das Wiener Wasser in Qualität und Geschmack herausragend ist, sei an dieser Stelle bedankt.

Gregor Auenhammer & Gerhard Trumler, "Die Brunnen Wiens". € 48,– / 416 S., Verlag Bibliothek der Provinz 2023.
Foto: Verlag

Trinkwasser & Brandschutz

Jahrhundertelang war die Residenzhauptstadt heimgesucht von Hochwasser, Seuchen wie Pest, Cholera und Ruhr. Etliche Versuche, Wasserleitungen zu bauen, scheiterten. Bis Eduard Suess die Vision hatte, Hochquellwasser von Rax und Schneeberg nach Wien zu leiten. Das gigantische, innerhalb von zwei Jahren realisierte Vorhaben war von Erfolg gesegnet, zudem wurden Flüsse reguliert und eingefriedet, die Stadt mutierte zur prosperierenden Metropole mit über zwei Millionen Einwohnern. Waren Brunnen früher Treffpunkt sozialen Zusammenlebens, so verlagerte sich der Tratsch zum Hausbrunnen vulgo Bassena.

Heute gibt es zahllose Brunnen von zeitloser Schönheit – und solche von enden wollender Faszination. Brunnen, gesellschaftlich relevant, waren Synonym der Machtdemonstration und Insubordination, Wertschätzung und Fürsorge, Hommage an die Schöpfung. Etliche Ensembles zitieren Berninis genialen Brunnen auf der Piazza Navona, welcher die Weltmacht Roms symbolisiert. Wiener Analogien stellen der Austria-, der Providentia- und der Pallas-Athene-Brunnen mit je vier Allegorien der großen Flüsse des Landes dar. Evergreens wie Franz-Joseph, seiner Gemahlin Sisi begegnet man, x-mal Karl Lueger, Heiligen des Abendlands, Göttinnen der Antike, sowie glühenden Antifaschisten. Nicht immer fällt alles geglückt aus. Ob Bruno Kreisky mit dem bei Tag an seinen Lockenkopf, bei Nacht an ein Gehirn erinnernden Monolith zufrieden wäre? Helmut Zilk mit der Spirale im Einkaufszentrum an der Peripherie? Das Brunnenmonster, welches zu Ehren von Anna Freud 1963 gefertigt wurde, muss man als "Freud’sches Verbrechen" titulieren. Pardon.

Hedonismus, Pracht & Herrlichkeit

Legendär sind Orte wie das Kaiserbründl, die Brünnlbadgasse, der Brunnenmarkt, Otto Wagners gläserne Badewanne. Manch Quelle ist heute versiegt, manch Becken trocken, verwaist. In Wiens Wasserwelt begegnet man Baselisken, Froschkönigen, Kröten, Pinguinen, "Walfischen", Delfinen, Greifen, Schokobrunnen, Champagnerkaskaden, dem "Schurl mit da Blechhaubn", Kasperl und Pezi, der Wasser-Resi aus dem Vormärz, asiatischen Zen-Gärten, Renaissancekaskaden sowie Amphoren, die Milch spenden, Champagnerschalen, die den Brüsten von Marie-Antoinette nachempfunden sein sollen, und einer feministischen "Euter-Erhebung" am Himmel über Wien. (Gregor Auenhammer, 22.3.2023)