Ob auf der großen Bühne oder als kreativer Ausgleich in der Freizeit: Die Gitarre ist ein vielfältig einsetzbares Instrument.

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In der Serie "Musik der Zukunft" beschäftigen wir uns in regelmäßigen Abständen mit dem Zusammenspiel von Technologie mit dem Erstellen und Vertreiben von Musik. Bisher haben wir uns vor allem mit dem Verbreiten der eigenen Werke über Spotify und andere Plattformen sowie dem Rechtemanagement über Non-Fungible Tokens (NFTs) beschäftigt, nun machen wir einen Schritt zurück und fragen uns: Wie erlerne ich überhaupt ein Instrument?

Der Fokus dieses Artikels liegt dabei auf jenem Werkzeug, das auch von künstlicher Intelligenz, MIDI-Dateien und Drum-Computern nach wie vor schwer zu ersetzen ist: der Gitarre. Um dieses Instrument zu erlernen, braucht man heutzutage keine Musikschule mehr, es reichen die passenden Handy-Apps, PC-Programme und Websites – und ein gutes Maß an Selbstdisziplin. Und wie immer im Rahmen dieser Serie gilt auch bei diesem Artikel: Ein Anspruch auf Vollständigkeit besteht seitens des Autors nicht, konstruktiver Input im Forum ist definitiv erwünscht.

"Rocksmith+": Mehr "Guitar Hero" als Gitarrenunterricht

Eines der besagten Programme kommt vom Publisher Ubisoft und hört auf den Namen "Rocksmith+". Ab einem Abopreis von 8,33 Euro pro Monat – bei Abschluss eines Jahresabos – erhält man hier verschiedene Lektionen und Zugriff auf einen Katalog aus über 6.000 Songs, die nachgespielt werden können.

"Rocksmith+" ist fertig und bunt – der Lerneffekt hält sich aber in Grenzen.
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DER STANDARD hat "Rocksmith+" bereits im Herbst vergangenen Jahres ausprobiert und kam zu einem zweigeteilten Ergebnis. Denn ist die Gitarre einmal an den Computer angeschlossen und gestimmt, so kann gleich losgelegt werden, Erfolgsgefühle stellen sich rasch ein, motivierende Sprüche der virtuellen Lehrerinnen und fetzige Animationen sorgen für Spaß und steigern das Selbstwertgefühl.

Allerdings werden viele essenzielle Themen des Musizierens nicht vermittelt, darunter etwas das Notenlesen. Und vielfach fühlt sich das Experimentieren mit "Rocksmith+" mehr wie eine Runde des Videospiels "Guitar Hero" als wie echter Gitarreunterricht an. Auch mit dem Ergebnis, dass man auch nach mehreren Stunden im Programm nicht fähig ist, eigenständig ohne Hilfe des Computers eine Melodie zu spielen. Diese Meinung wird auch von diversen Mitgliedern der STANDARD-Community geteilt.

"Fretello": Virtueller Gitarreunterricht aus Österreich

Einen anderen Ansatz verfolgt "Fretello", eine aus Österreich stammende iPhone- und Android-App zum Erlernen der Gitarre, die den Gründern Wolfgang Damm und Florian Lettner zufolge aktuell über 600.000 registrierte Userinnen und User hat. Der Download der App ist gratis, nach einer kostenlose Probewoche kostet ein Jahresabo 119,99 Euro (also knapp zehn Euro pro Monat), ein Monatsabo kommt auf 19,99 Euro.

In der "Fretello"-App werden die Inhalte zuerst per Video vermittelt ...
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Beim Öffnen der "Fretello"-App wird man – anders als bei "Rocksmith+" – nicht von Feuerwerken und fetzigen Animationen erschlagen. Stattdessen ist das Design nüchtern gehalten und erinnert mehr an klassische Musiklehrbücher.

Es gibt einen Lernpfad, der von den ersten Schritten bis zum fortgeschrittenen Status führt. Und zwar werden auch hier die Inhalte zuerst in Videos von Lehrern erklärt, bevor man selbst spielt – allerdings werden hier auch klassische Musiknoten, ergänzend zur Tabulatur, angezeigt.

Das Lernen lernen

Im Rahmen des "Fretello"-Lernpfads ist es zwar auch rasch möglich, einfache Riffs und Songs zu lernen und so die ersten Erfolge zu feiern – vor allem geht es aber darum, das nötige Wissen zu vermitteln und Gewohnheiten zu formen, wie die beiden Gründer im Gespräch mit dem STANDARD betonen.

... bevor man selbst zu spielen beginnt.
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So sei vor allem das regelmäßige Üben wichtig, Damm und Lettner empfehlen drei Lerneinheiten pro Woche zu je 20 Minuten. Festigt man diese Gewohnheit nicht, so stellt sich rasch Frust ein und man gibt wieder auf: 90 Prozent der Beginner hängen die Gitarre nach drei Monaten wieder an den Nagel, nachdem sie zuvor ein paar Hundert Euro in das Instrument investiert haben, sagen die Gründer – mit ihrer App wollen sie diese Zahl deutlich senken.

Ersatz für die Musikschule?

Gerade in Zeiten der Pandemie habe das Onlinelernen einen höheren Stellenwert bekommen, sagt Damm: Man ist nicht an einen Ort oder eine bestimmte Zeit gebunden, sondern kann sich die Lehreinheiten frei einteilen. Das ist zwar praktisch, birgt aber auch die Gefahr, dass der Schlendrian einkehrt.

Dementsprechend umreißen die "Fretello"-Gründer ihre Zielgruppe auch anders als erwartet: Nicht jugendliche Neuanfänger sollen damit erreicht werden, sondern unter anderem erwachsene Menschen, die früher in der Musikschule waren, ihr Hobby dann ruhen ließen und nun wieder einsteigen wollen. Sie sind teils älter als 40 Jahre, haben nun mehr Geld und Zeit zur Verfügung und wollen ihre Freizeit nutzen, um mit einer kreativen Tätigkeit vom Alltag abzuschalten.

In dem Sinne ist "Fretello" auch kein Ersatz für die Musikschule, wie die Gründer betonen. Man sei sogar mit Musiklehrern in Kontakt, die die App ergänzend zum Unterricht verwenden. Denn die eine Musikstunde pro Woche ist bloß eine Momentaufnahme, wie Lettner sagt: "Fretello" hingegen kann beim Üben zu Hause unterstützen.

Noten und Videos im Netz

Eines haben "Fretello" und "Rocksmith+" dann aber auch wieder gemeinsam: Egal wie groß der Fundus an nachspielbaren Musikstücken ist – es ist schlichtweg unmöglich, alle Geschmäcker zu bedienen. Hier führt der Weg zu Websites wird 911tabs, die zu etlichen Musikstücken die jeweiligen Noten im Tabulaturformat bereithalten.

Gerade diese zu verstehen ist aber nicht immer einfach – und so muss man vorher ein entsprechendes Wissen erwerben, um den Rhythmus richtig einschätzen zu können oder Fehler in den Tabs zu erkennen. Die Basis dafür zu schaffen, auch darin sehen die "Fretello"-Gründer ihre Mission: Die App soll innerhalb von rund einem Jahr die Grundkenntnisse vermitteln – ab dann soll man auch auf Seiten wie 911tabs und bei Lehrvideos auf Plattformen wie Youtube die Spreu vom Weizen trennen können. (Stefan Mey, 24.3.2023)