Auch in San Francisco protestierten Anhänger von Singh gegen die indische Regierung. Zuvor hatten manche von ihnen das Konsulat in der Stadt beschädigt.

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Begonnen hat alles in Ajnala im Februar, als ein Mob wütender Männer eine Polizeistation in dem kleinen Vorort von Amritsar stürmten. Angeführt vom radikalen Prediger Amritpal Singh Sandhu, forderten sie – mit Schwertern und Pistolen bewaffnet – die Freilassung eines gewissen Lovesingh Toofa. Toofa ist einer der engsten Weggefährten des radikalen Predigers Singh und werde seinen Anhängern zufolge unrechtmäßig festgehalten. Die lokale Polizei war dem Mob unterlegen und ging auf die Forderungen ein. Gegen Singh könnte sie außerdem nicht vorgehen, weil der das heilige Buch der Sikh mit sich getragen habe, berichtet der "Guardian".

Amritsar im nordindischen Bundesstaates Pandschab gilt als Hauptstadt der Sikh, einer Gruppe, die im mehrheitlich hinduistischen Indien eine Minderheit darstellt. Im Pandschab machen sie aber mit knapp 58 Prozent die Mehrheit aus.

Unter ihnen gibt es auch radikale Kräfte, die eine Abspaltung von Indien fordern: "Khalistan" soll ein unabhängiger Sikh-Staat heißen. Und Singh ist einer der lautesten Unterstützer dieser Forderung. Mit radikalen Parolen hat er sich binnen kurzer Zeit eine große Anhängerschaft aufgebaut, die den indischen Behörden schon länger ein Dorn im Auge ist.

Der Vorfall in der Polizeistation löste nun eine der größten Suchaktionen in der jüngeren Geschichte Indiens aus: Vergangenen Samstag, also rund drei Wochen nach dem gewalttätigen Überfall, verkündete die Polizei eine Aktion scharf. Das Internet wurde zeitweise großflächig gesperrt, tausende Paramilitärs wurden in den Bundestaat geschickt, um nach Singh zu suchen – bisher ohne Erfolg, denn auch Tage nach dem Start der Aktion fehlt jede Spur des jungen Anführers.

Zunehmende Gewalt zwischen Hindus und Minderheiten

Mit seinen nationalistischen Forderungen trifft der erst 29-jährige Singh bei einigen im Bundesstaat einen Nerv. Gerade im Kontext der hindunationalistischen BJP-Regierung fühlen sich andere Minderheiten im Land oft ausgeschlossen. Die meisten fühlen sich aber von so radikalen Gruppierungen wiederum nicht repräsentiert.

Das zeigte sich bereits vor rund zwei Jahren während der großen Bauernproteste um Delhi: Damals lagerten über Wochen Bauern vor den Toren Delhis, um gegen eine umstrittene Agrarreform zu protestieren. Die Proteste wurden vor allem von Sikh-Landwirten aus dem Pandschab angeführt. Ende Jänner 2021 stürmten schließlich hunderte Menschen das Rote Fort, ein wichtiges Wahrzeichen in Delhi. Dabei gab es mehrere Todesopfer. Schon damals war auch Singh unter den Anführern der Proteste, bei denen auch die "Khalistan"-Fahne gesichtet wurde. Viele Bauernverbände distanzierten sich damals dezidiert davon.

Doch die Bewegung bekam in den vergangenen Jahren immer mehr Zulauf. Heute brechen wieder alte Gräben auf, die lange Zeit als überwunden galten. In den 1980er-Jahren führten die Konflikte zur Ermordung der damaligen Präsidentin Indira Gandhi. Mitte der 1990er-Jahre hatte sich der Konflikt jedoch weitgehend beruhigt.

Harte Maßnahmen gegen Radikale

Nun probiert die Regierung, mit harten Maßnahmen gegen die neuerlich aufwallenden Konflikte vorzugehen. Man wolle die Verbreitung von Fake News per Internet und SMS unterbinden, daher gebe es einen digitalen Shutdown in Teilen des Landes, heißt es vonseiten der Behörden. Millionen Menschen sind damit allerdings in ihrem Alltag weitgehend gestört, was auch Auswirkungen auf die lokale Wirtschaft hat.

Mehr als hundert Singh-Anhänger wurden seit dem Wochenende festgenommen, doch der Prediger selbst ist weiterhin auf der Flucht. Die Regierung machte indirekt außerdem Pakistan für die Unruhen verantwortlich, die die Gruppierung aus dem Ausland fördern würde. Singh hatte laut dem "Guardian" bereits früher gedroht, Innenminister Amit Shah töten zu wollen. Shah selbst gilt innerhalb der BJP als Vertreter eines radikaleren Parteiflügels. Er hat die Grenzposten in Alarmbereitschaft versetzt, um eine mögliche Flucht ins Ausland zu verhindern. (saw, 22.3.2023)