Geh bitte! Es ist doch nur Radfahren!" Wie oft Roland Königshofer diesen Satz schon gehört hat, kann der Olympia-Radrennfahrer nicht sagen. Aber das herablassende Lächeln, wenn dann "Radfahren lernt man als Kind. Fertig", kommt, ärgert den dreimaligen Weltmeister der Steher (auf der Bahn im Motorradwindschatten) jedes Mal. "Wenn jemand am Verkehrsübungsplatz ein Motorrad- oder Autofahrsicherheitstraining macht, klopfen ihm alle auf die Schulter." Erst recht, wenn der Trainer Rennfahrer ist – egal wie unbekannt im internationalen Vergleich.

Anbieter für Radsicherheitskurse gibt es mit unterschiedlichen Schwerpunkten. Radrennfahrer Roland Königshofer kümmert sich eher um den Feinschliff.
Foto: Tom Rottenberg

Doch am Rad kommen dann "solche Sprüche". Freilich nur so lange, bis man neben dem "Specht" (Königshofers Radspitzname) bergab rollt und exakt gleichzeitig voll "ins Eisen" geht: Königshofers Anhalteweg ist meist halb so lang wie der eigene. Ah, der Weltmeister hat ein anderes Rad! Man tauscht – das Ergebnis bleibt gleich. "Dann habe ich die Aufmerksamkeit der Leute. Egal ob Renn- oder Alltagsradler." Der Trick? Technik. Auf Asphalt die Kombi aus Körperversteifung, Schwerpunktverlagerung und dem richtigen Ziehen der Vorderbremse.

Normalos sind schwer zu erreichen

Königshofers Dilemma ist aber offensichtlich. Es wird nach "unten" größer: Während Rennradenthusiasten die Radtechnik- und Sicherheitskurse, die der "Specht" seit Jänner 2022 unter dem Label "Cycle Safety & Race Performance" abhält, gut annehmen, ist das Sensibilisieren von "Normalos" schwieriger. Bremstechnik? Kurvenfahren? Autos richtig "lesen"?

Königshofer weiß: Je weniger Erfahrung, je mehr Unsicherheit – umso schwieriger die Mission. Und was, wenn noch Angst vor dem übrigen Verkehr dazukommt? "Nur Können reduziert die Angst. Man muss unter allen Bedingungen fahren können. Es ist wie beim Skifahren: Auch die beste, leerste Piste bringt nix, wenn ich das Gerät nicht beherrsche."

Königshofer hier links, im Frühjahr 2022, in Cesenatico, war als Steher Olympiateilnehmer.
Foto: Tom Rottenberg

Freilich: Der Weltmeister hat weder das Rad noch das Techniktraining erfunden. Radfahrschulen wie Schulterblick oder die Radvokaten sind in Wien seit 20 Jahren aktiv. Königshofers Mitbewerber bieten zwar auch Kurse für Menschen an, die das Grundhandling beherrschen (oder das glauben), ihr Fokus liegt aber meist auf Kindern, Anfängerinnen und Anfängern, Älteren – oder dem E-Bike. Und Königshofer macht keine Anfängerkurse: "Ich bin kein Pädagoge."

Hilfe ist peinlich

Das Dilemma, dass Skills, die das Radfahren sicherer machen, gerne unterschätzt werden, kennen aber alle. Bei der Klientel von Schulterblick-Lehrerin Ines Ingerle kommt oft noch ein Faktor hinzu: Scham. Jugendliche leiden da besonders: "Sie würden gerne mit dem Rad zur Schule fahren, bitten uns aber, beim Üben nicht dort zu fahren: Sich fürs Radfahren Unterstützung zu holen ist ihnen peinlich."

Werden die Kurse über die Schulen gebucht, fällt dieses Problem weg. Die Praxis offenbart dann aber oft Welten zwischen Können und Kenntnissen der Teilnehmerinnen und Teilnehmer: Vom grundsätzlichen Beibringen-Müssen des Balancehaltens und motorischer Kompetenzen (Handzeichen geben, Kopfdrehen ohne Verreißen) bis zu Kids, die Pumptracks oder Downhilltrails beherrschen, gebe es in allen Altersgruppen fast alles, so die Trainerin. Doch bei Slalom- und anderen Parcours, beim punktgenauen, effizienten Anhalten könne jede und jeder lernen – oder noch besser werden. "Im sicheren ‚Schonraum‘ zu üben ist wichtig. Aber wir fahren dann bewusst auch mit Schulklassen den regulären Verkehrsraum." Ängsten kann man nämlich nur dort entgegentreten.

Mobilitätsklubs

Aufs Rad setzen mittlerweile auch Organisationen, deren Image der Sammelbegriff "Autofahrerklubs" am besten beschreibt: Der ARBÖ betont auf seiner Homepage zwar, dass sein "R" seit jeher für "Radfahren" steht. Viel mehr kommt aber nicht: Radfahren ist laut Webauftritt ein "boomender Freizeitsport", und in Städten werde es als "Fortbewegungsmittel immer mehr geschätzt": ein niedliches Hobby also. Das Rad als gleichrangiges Verkehrsmittel zu framen und Alltags-Bikeskills proaktiv zu fördern bringt der ARBÖ nicht übers Herz: Ja, Kinderkurse gibt es. Am Übungs-, somit Spielplatz. Fürs E-Bike wird zu Fahrtrainings geraten – ohne zu Angeboten zu verlinken.

Die E-Bike-Kurse des ÖAMTC sind gut nachgefragt.
Foto: Christian Fischer

Die gibt es beim Mitbewerber seit Jahren. Neben E-Bike-Kursen gehen beim ÖAMTC Workshops auf "normalen" Rädern seit 2016 durch die Decke, erklärt Ellen Dehnert, die Leiterin der Mobilitätsprogramme für den Raum Wien, Niederösterreich und Burgenland: 2016 lernten bei zwei "Klub"-Kursen 14 Personen richtiges E-Biken, 2022 waren es in der Ostregion in elf Kursen schon über 750. Österreichweit (133 Kurse) gar 1200 Personen.

Geschlechterunterschiede

Männer, schmunzelt Dehnert, kämen da oft "nur mit" – als Begleiter. "Wir finden meist noch ein Rad: Sie sind dann mit der gleichen Begeisterung, den gleichen Bedürfnissen dabei." Dehnert weiß: "Männern fällt es schwerer, zuzugeben, dass sie etwas nicht gut können. Erst recht, wenn es ‚nur Radfahren‘ ist." Was offiziell "Fahrradkurse für Frauen aus der ganzen Welt" heiße, laufe deshalb ÖAMTC-intern längst als "für Menschen …". Diese Kurse gibt es seit 2015 – im Vorjahr waren in Wien alle 16 ausgebucht.

Allein ums Radfahren und die Sicherheit im Verkehr und beim Handling geht es da – ebenso wie bei derzeit an ein paar Brennpunktschulen umgesetzten Tretroller-Workshops – längst nicht: Radfahren ist Selbstermächtigung. Das erkannten schon im 19. Jahrhundert die Suffragetten: Das Fahrrad verlieh Frauen (Mobilitäts-)Autonomie. (Männlicher) Spott und Häme waren die Antwort eines Systems, das die Zeichen der Zeit nicht wahrhaben wollte. Das unter dem Deckmantel der Gefahrenabwendung von unbotmäßigen "Schutzbefohlenen" auch Verbote aussprach: zwischen Kutschen, auf holprigen, unbefestigten Straßen? Viel zu gefährlich! Erst recht für Frauen!

Männer lassen sich schwerer als Frauen für einen Fahrtechnikkurs begeistern.
Foto: Christian Fischer

Trotz Radförderung-Sonntagsreden, betont Klaus Robatsch, sei das politische wie mediale Mindset in Bezug auf Radfahren diesem Zugang heute oft immer noch ähnlich. Aber das, so der Leiter des Bereiches Verkehrssicherheit im gleichnamigen Kuratorium (KfV), löse weder Mobilitäts- noch Klimaprobleme: "Radverkehr steht und fällt mit der angebotenen Infrastruktur." Und die, ergänzt Roland Romano, Sprecher der WienerRadlobby, sei das Gegenteil von zeitgemäß: "Es ist so, als würde man die Software eines Smartphones auf einem Computer aus den 1960er-Jahren installieren wollen: Das funktioniert nicht."

Robatsch hat Beispiele und prangert "auf Gehsteige gepinselte Linien" als "Nichtlösungen" an, fordert "tatsächlich kontrollierte Tempobeschränkungen auf 30 km/h und darunter" und macht die politisch goutierte "Rasermentalität" für Österreichs hohe Radler-Mortalitätsrate verantwortlich: Sie ist doppelt so hoch wie in Deutschland, Schweden und Dänemark, um 50 Prozent höher als in Frankreich, der Schweiz oder den Niederlanden, dreimal so hoch wie in Norwegen. Bei signifikant niedrigeren Radverkehrsanteilen, betont Romano: In Wien sind es sieben, im etwa gleich großen München und dem doppelt so großen Berlin 18 Prozent. "Bei zwei Dritteln aller Radunfälle in Österreich", sagt Robatsch, "ist der Radfahrer nicht Hauptverursacher."

Sicher ist sicher

Die Conclusio, dass bei dieser Gemengelage Radfahrsicherheitstraining also irrelevant sei, weist Robatsch "aufs Schärfste zurück". Ex-Profi Königshofer erklärt, wieso: "Weil ein halb so langer Bremsweg gerade unter solchen Bedingungen den Unterschied zwischen Leben und Tod ausmachen kann." Und Radfahren, ergänzt Ines Ingerle, in Österreich insgesamt eben ein Henne-Ei-Thema sei: "Wenn wir auf die funktionierende Infrastruktur warten, fahren wir nie los: Umso sicherer müssen wir dabei also sein." (Tom Rottenberg, 24.3.2023)