Rivalen Pamela Rendi-Wagner und Hans Peter Doskozil: Die Amtsinhaberin wirkte nach den SPÖ-Beschlüssen am Mittwoch glücklicher als der Herausforderer.

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Wien – Der Wortgewaltige gibt sich zugeknöpft. Stumm ist Hans Peter Doskozil an der Traube von Journalistinnen und Journalisten vorbeigetrottet, die sich vor den Klubräumlichkeiten der SPÖ im Parlament formiert hat. Schnurstracks flüchtet er in das Büro von Bundesratspräsident Günter Kovacs, einem Landsmann – quasi heimatliches Terrain. Sicher ist sicher in Zeiten wie diesen auf dem tückischen Wiener Parkett.

Am Mittwoch erklärte das SPÖ-Präsidium, wann und wie die Mitgliederbefragung vonstattengehen soll.
DER STANDARD

Zum Plaudern sind auch die anderen Sitzungsgäste nicht wirklich aufgelegt. Die meisten ringen sich bloß einen flüchtigen Gruß ab. Nur Bundesgeschäftsführer Christian Deutsch wirft den Medienvertretern ein paar Sätze zu. Überrascht sei er über den Trubel: Es gebe doch eh fast nichts zu bereden.

Viele heikle Fragen

Das ist natürlich als ironische Untertreibung gemeint. Denn tatsächlich hat die Chefetage der SPÖ sehr viel zu diskutieren an diesem Mittwochnachmittag. Eine Woche zuvor hatten sich Präsidium und Vorstand der Partei zwar darauf festgelegt, den Führungsstreit zwischen der aktuellen Chefin Pamela Rendi-Wagner und ihrem Herausforderer Hans Peter Doskozil per Mitgliederbefragung zu klären. Doch wie und wann dieses Basisvotum ablaufen soll, blieb vorerst einmal offen.

Eine der wichtigsten Fragen, die es zu klären galt, ergibt sich aus der Dynamik der letzten Tage. Wie DER STANDARD als erstes Medium berichtete, trat am Dienstag ein dritter Kandidat auf den Plan. Weil sowohl Rendi-Wagner als auch Doskozil ungeeignet seien, die bei Wahlen heranschwappende "rechte Welle" zu stoppen, will der Ökonom Nikolaus Kowall, Vizeparteichef im Wiener Bezirk Alsergrund und einst Wortführer der kritischen Sektion 8, um den Platz an der Spitze mitmischen. Lieber wäre ihm ein prominenterer und damit wohl aussichtsreicherer Kompromisskandidat gewesen, sagt Kowall. Doch weil sich sonst keiner traue, mache er es als "Notlösung" nun eben selbst.

Wer darf antreten?

Doch darf Kowall das überhaupt? "Ja", lautet die – wie Rendi-Wagner verkündete – "einstimmige" Entscheidung des Parteipräsidiums. Alles andere hätte sich auch schwerlich als demokratisch saubere Lösung verkaufen lassen. Schriftführerin Selma Yildirim verriet, dass sich nach aktuellem Stand aber noch weitere zwei Männer – einer aus Niederösterreich, einer aus dem Burgenland – bewerben werden. Möglich ist das laut Beschluss nun noch bis morgen, Freitag, 24. März.

Eine Hürde ist nicht vorgesehen: Wer antreten will, muss also nicht erst Unterstützungsunterschriften von Mitgliedern sammeln.

Laut "Kurier" dürfte es sich bei dem Kandidaten aus dem Burgenland um den Unternehmer Berthold Felber handeln. Er begründete seine Kandidatur damit, den Abwärtstrend der Partei stoppen zu wollen. Sowohl Rendi-Wagner als auch Doskozil würden sich von der Bevölkerung abschotten und das gegenseitige "Befetzen in der Öffentlichkeit" sei parteischädigend. "Ich würde mir Vorwürfe machen, es nicht zumindest versucht zu haben", meinte Felber, seit den 1970er-Jahren Parteimitglied.

Wie viel reicht zum Sieg?

Die Öffnung für weitere Anwärterinnen und Anwärter wirft jedoch ein neues Problem auf. Was, wenn kein Kandidat auf eine absolute Mehrheit, also mehr als die Hälfte der Stimmen, kommt? Zählt allein Platz eins, dann könnte schon ein bescheidener Rückhalt von etwas über 20 Prozent für den Chefsessel reichen. Die Alternative ist ein Modus wie bei der Präsidentschaftswahl: Schafft niemand die Absolute, könnte es eine Stichwahl auf dem folgenden Parteitag geben.

Doch über diese zentrale Frage konnten sich die Sozialdemokraten am Mittwoch nicht einigen. Für Montag sind deshalb die nächsten Sitzungen geplant: Dann soll nicht nur das Präsidium, sondern auch der Vorstand zusammentreten.

Wer darf entscheiden?

Nicht minder heikel ist die Eingrenzung der entscheidungsberechtigten Mitglieder. Glaubt man manchen Berichten, dann hat die Aussicht auf ein Mitbestimmungsrecht in der Chef-Frage dazu geführt, dass in den letzten Tagen so viele Menschen an die SPÖ angedockt haben wie schon lange nicht mehr. Den Neomitgliedern will die Partei etwas bieten – doch das birgt ein Risiko. Es ist nicht völlig ausgeschlossen, dass politische Gegner der SPÖ Handlanger einzuschleusen versuchen, um das Ergebnis in die gewünschte Richtung zu manipulieren.

Das Präsidium will diese Möglichkeit allerdings in Kauf nehmen. Beschlossen wurde: Auch für die Mitglieder gilt als Stichtag der kommende Freitag, 24. März. Wer bis dahin zur Partei gefunden hat, darf über die künftige Spitze entscheiden.

Wer zählt die Stimmen aus?

Diskutiert wurde im Vorfeld überdies die Frage, wer die Stimmen auszählen soll. Anbieten würde sich die beim letzten Bundesparteitag gewählte Wahlkommission. Doch Leiter Harry Kopietz soll im Doskozil-Lager auf Misstrauen stoßen, wurde in den Medien kolportiert. Schließlich ist der 74-Jährige ein Urgestein der Wiener SPÖ, deren Chef Michael Ludwig sich bislang für Rendi-Wagner ausgesprochen hat.

Dieses Thema sei ausgeräumt worden, verkündete Yildirim, die Wahlkommission bleibe zuständig. Allerdings werde ihr ein Notar zur Kontrolle zur Seite stehen.

Wann wird entschieden?

Festgelegt hat sich das Präsidium auf folgenden Zeitplan: Starten wird die Mitgliederbefragung am 24. April, also einen Tag nach der Salzburger Landtagswahl. Bis 10. Mai darf votiert werden, ehe dann am 3. Juni jener Sonderparteitag stattfindet, auf dem die Person an der Spitze faktisch gekürt wird. Denn eine Mitgliederbefragung ist laut SP-Statuten für diesen Akt an sich nicht zulässig. Wie sehr das Votum der roten Basis die Entscheidung des Parteitags vorwegnimmt, soll – wie oben beschrieben – am Montag feststehen.

Ob die Resultate zur Zufriedenheit aller Seiten in der SPÖ ausfielen? Erste Reaktionen lassen auf unterschiedliche Interpretationen schließen. Während Rendi-Wagner und Yildirim betonten, dass die Beschlüsse einstimmig gefallen seien, wirkte Doskozil beim Abgang etwas zerknittert. Für seinen Geschmack liege der Start der Mitgliederbefragung zu nahe an der Salzburg-Wahl, ließ der burgenländische Landeshauptmann wissen. Nachsatz: Er müsse all das, was bei der mehr als dreistündigen Sitzung gesagt wurde, nun erst einmal ein paar Tage "sacken" lassen. (Gerald John, Jan Michael Marchart, 22.3.2023)