Herbert Grönemeyer predigt auf "Das ist los", das am Donnerstag erscheint, Courage und Zuversicht.

Foto: Victor Pattyn

Auf seinem neuen Album Das ist los dominiert ein lockerer, zeitgenössischer Vibe: Herbert Grönemeyer möchte die Verhältnisse trotz multipler Krisen und "Daueralarms" unbedingt zum Tanzen bringen. Musikalisch reimt sich da Yacht-Rock auf Trip-Hop: Der Deutschen populärster Reimeschmied macht, was ihm gefällt.

STANDARD: "Die Welt dreht sich im Schleudergang", heißt es auf Ihrem neuen Album. Viele Menschen sind verdrießlich, fühlen sich vom Staat übergangen. Sie dagegen plädieren für Agilität, fordern: "Oh, entfriere dein Genie!" Ihr Vorschlag zur Krisenbewältigung?

Grönemeyer: Ich frage mich vor jeder neuen Platte nicht: "Was darfst du thematisieren, was nicht?", sondern ich unterziehe mich einem Selbsttest. Bediene ich mich eines Themas bloß, um besonders clever rüberzukommen? Ich habe für die neue Platte fast hundert Texte geschrieben und unendlich viele davon weggelassen. Der kluge Text ist nicht immer der bessere. Ich kämpfe darum, nicht zum Erfüllungsgehilfen einer bestimmten Erwartung zu werden. Letztendlich erzählt mir die Platte, wo, an welchem Punkt, ich mich zu einer bestimmten Zeit meines Lebens aufgehalten habe.

STANDARD: Sie betrachten sich nicht als politisches Auskunftsbüro?

Grönemeyer: Die Aufgabe von Kunst besteht nicht in der Ausgabe von Durchhalteparolen. Ich singe nicht: Trallala, die Welt ist wunderbar, ich schreibe auch keine Ballermann-6-Musik. Aber die Menschen in ihren Zweifeln zu stützen zu versuchen, das betrachte ich schon als eine der Aufgaben. Ich zeige ihnen: Mir geht es da auch nicht anders als euch. Das kommt bei mir vielleicht aus meiner Zeit in London.

STANDARD: Man soll nicht alle Schuld auf den Staat schieben?

Grönemeyer: Die Briten haben generell eine andere Sicht auf Öffentlichkeit, schon weil ihr System unbarmherziger ist. Sie sind im Zweifel dafür, selbst Verantwortung zu übernehmen. Ich kann doch auch nicht erwarten, dass mir der Staat Antworten auf alles gibt. Wenn ich während der Pandemie Konzerte spiele, habe ich einen Job wahrzunehmen. Ich muss entscheiden, ob es überhaupt sinnvoll ist, Leute in eine Halle einzulassen, wenn ich sie damit einer Infektionsgefahr aussetze. Das muss mir niemand erklären, das kann ich selbst durchdeklinieren.

STANDARD: Dergleichen löst man nicht im Erlasswege?

Grönemeyer: Exakt. Denken Sie daran, wie bereitwillig nicht nur die deutsche Bevölkerung 2015 den Geflüchteten entgegengekommen ist. Die Hilfsbereiten hat niemand zum Bahnhof geschickt, die haben sich selbst auf den Weg gemacht, um Hilfe zu leisten und Obdach zu geben.

STANDARD: Handelt so, dass ihr und eure Mitmenschen mit den Folgen eures Tuns verantwortlich leben könnt?

Grönemeyer: Es muss möglich sein, dass wir selbstverantwortlich handeln und uns von niemandem bevormunden lassen. Das wäre zum Beispiel den Engländern fremd. Ich habe meinen walisischen Produzenten Alex Silva gefragt, der seit einiger Zeit in Berlin lebt, was er von den hiesigen Gepflogenheiten hält. Er sagt: Toll ist es bei euch. Doch eine Sache ist komisch. Die Menschen gehen abends essen, und es fängt gut an. Alle trinken, retten die Welt, doch dann reden sie über Politik, und nachher gehen alle deprimiert nach Hause. In England möchte man nach dem Kneipenbesuch unbedingt fröhlich zu Bett gehen.

STANDARD: Was bleibt zu tun?

Grönemeyer: Wir stecken, mit Pandemie und Krieg, in einer hochkomplexen Situation: massiv anspruchsvoll für den Kopf. Trotzdem muss man seine Überlebensenergien mobilisieren. Wie kann ich mich engagieren, um aus dieser Angst herauszufinden?

STANDARD: Einerseits wird ein Zuviel an Zuwendung beklagt, zum anderen fühlen sich viele im Stich gelassen.

Grönemeyer: Wir sind alle mit dem Geist am Ende, es gibt auch keine Patentantworten. In Deutschland hat man während der Pandemie – bei aller Vielstimmigkeit – eine Unmenge von Geistesköpfen kennengelernt. Wir verfügen nicht nur über große Wissenschafter, wir besitzen jede Menge Persönlichkeiten, die wirklich nachdenken. Niemand hat die Weisheit mit Löffeln gefressen. Aber alle zusammen machen wir uns einen Kopf.

STANDARD: Arbeiten Sie noch mit der "Bananensprache"?

Grönemeyer: Komplett, bis zur Fertigstellung eines Liedes. Dann dackle ich nach Hause und kaufe mir vorher ein paar schöne Stifte. Ich bin erst einmal komplett verzweifelt, weil ich keine Ahnung habe, was das werden soll, weil ich Angst vorm Scheitern habe. Dann gerate ich in eine Art Wortwahn hinein. Ich fange an, alles aufzusaugen, zu klauen, was ich höre und was ich lese …

STANDARD: Dann reimen Sie "Horoskop" auf "transqueerphob".

Grönemeyer: Das macht schon Spaß. Dazu kommt der Klang der Bananensprache.

STANDARD: Der Ersatzlaute, die vorerst nichts bedeuten.

Grönemeyer: Damit gebe ich mir eine Art Sound vor, den vorgegebenen Klang. Eine solche Zeile verträgt auch nicht zu viele harte Konsonanten. "Es klappert der Huf am Stege …": So etwas kann vielleicht ein Österreicher singen. Das österreichische Deutsch hat eine viel schönere Stimmform, um alles zu beschreiben, alles wird pastelliger.

STANDARD: Sie singen auch: "Wer auf Selbsterhalt plädiert / hat's Wort Armut nicht kapiert".

Grönemeyer: Das Thema Armut beschäftigt mich ungemein. Warum kommt es ausgerechnet in reichen Gesellschaften zu so viel Armut? Darin steckt die größte Sprengkraft für unsere Gesellschaft. In einer reichen Gesellschaft wie der unseren muss jeder Mensch in der Lage sein, seinen Unterhalt selber finanziell bestreiten zu können. Das ist auch machbar. Nur fünf Prozent der in Deutschland von Armut Betroffenen haben keine Arbeit. 25 Prozent arbeiten, 70 Prozent sind im Ruhestand oder erwerbsunfähig. Die Armen haben keine Lobby, offenbar ist das nicht mehr schick oder Instagram genug. Ich bin ein Kind aus dem Ruhrgebiet: Es gab in den 1960ern, frühen 1970ern eine Zeit, als diese Form des solidarischen Miteinanders ihre sozialdemokratische Hochzeit hatte. Dieses Gefühl für Gemeinschaft, für das Miteinander ging irgendwann verloren, das muss wieder her. (Ronald Pohl, 23.3.2023)