In 62 Fällen beschäftigte sich der Presserat mit der "Kronen Zeitung". Sechsmal verstieß das Medium gegen den journalistischen Ehrenkodex.

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2022 beschäftigten den Presserat weniger Fälle als im Vorjahr, zu tun hatte das Selbstkontrollgremium aber immer noch genug. Die drei unabhängigen und weisungsfreien Senate des Presserats behandelten im abgelaufenen Jahr insgesamt 435 Fälle. Zum Vergleich: 2019 waren es 297, 2020 418 und im Rekordjahr 2021 waren es 647 Fälle.

Fallstatistik

Bei 24 von 435 bearbeiteten Fällen sah der Presserat Verstöße gegen den journalistischen Ehrenkodex. 2021 waren es noch 31, im Jahr davor 36. Allein sechs Verstöße gehen auf das Konto der „Kronen Zeitung“, gefolgt von vier Verstößen von „Oe24“/„Österreich“ und drei durch das mit Jahresende eingestellte Rechts-außen-Medium „Wochenblick“.

73 Mitteilungen zum STANDARD, kein Verstoß

Die meisten Fälle betrafen den STANDARD. Von den 73 mündete keiner in einen Verstoß. 62 Fälle gab es bei der „Kronen Zeitung“, 58 bei „Heute“ mit zwei Rügen. Außerdem gab es zwei Verstöße durch die "Bezirksblätter", jeweils einmal verstießen "Medianet", "OÖ Magazin", "OÖ Nachrichten", "Rundschau", "Tiroler Tageszeitung", "VN" und "Neue VT" gegen den Ehrenkodex der österreichischen Presse.

Femizid

Einen Verstoß gegen Persönlichkeitsschutz und Intimsphäre sieht der Senat drei etwa in einem Bericht über einen Femizid in der „Neuen Vorarlberger Tageszeitung“. In den Artikeln wurde aus dem Vernehmungsprotokoll eines Mordverdächtigen zitiert, das „einige erschütternde Details zur Tat offenbart“, argumentiert der Presserat. Die Gewalttat und das Leid des Opfers hätten dem Senat zufolge mit mehr Zurückhaltung und Sensibilität vermittelt werden können. Zudem hielt es der Senat für erklärungsbedürftig, dass der genannte Vorname und erste Anfangsbuchstabe der Verstorbenen genannt wurden, die Vornamen der Tatverdächtigen dagegen von der Redaktion geändert wurden.

Schwerwiegende Fälle

Einen schwerwiegenden Ethikverstoß stellte der Senat in einem Beitrag auf Krone.TV über Klimaproteste fest. In dem Beitrag befasste sich der Autor mit der Klima-Protestbewegung – seiner Meinung nach sei es „durchaus legitim, dass einem im Stau, verursacht durch jene Kakerlaken, die Sicherung schmort, und man den Verursachern einfach lustvoll in die Fresse hämmert.“ Einen schwerwiegenden Ethikverstoß stellte der Senat in einem Beitrag auf Krone.TV über Klimaproteste fest. DER STANDARD berichtete ausführlich darüber.

"Pauschalverunglimpfungen oder Eingriffe in die Menschenwürde" seien selbst in Kommentaren nicht mit der Presse- und Meinungsfreiheit vereinbar, argumentiert der Senat und verwies auf die bisherige Entscheidungspraxis: Tiermetaphern wie „Wanzen“, „Ungeziefer“ oder „Ratten“ wurden vor allem von den Nationalsozialisten bewusst eingesetzt, um Minderheiten, politische Gegner und Straftäter zu entmenschlichen.

Einen weiteren besonders schweren Fall sieht der Senat zwei in einem Video von "wochenblick.at". Im Beitrag wurde berichtet, dass in Italien eine Überwachungskamera gefilmt habe, wie ein 27-jähriger illegal aus Guinea stammender Mann eine 55-jährige Ukrainerin auf offener Straße vergewaltige. Der Senat konnte "an der Veröffentlichung des Videos kein legitimes Informationsinteresse erkennen. Das brutale Bildmaterial wurde wohl vor allem deshalb verwendet, damit sich der Beitrag stärker im Internet verbreitet hat." Das Medium verstieß gegen Persönlichkeitsschutz und Recht auf Intimsphäre.

Kritik an Chats von Chefredakteuren

Zum wiederholten Male kritisierte der Presserat die an die Öffentlichkeit gelangten Chats von Chefredakteuren: "Die Chatnachrichten unterzeichneten ein Sittenbild, das die Öffentlichkeit zu Recht empört und damit der Medienbranche insgesamt schadet. Aus medienethischer Sicht waren die in den Chats zu Tage getretenen Einstellungen und Vorgänge daher klar zu verurteilen. "

Einen Appell richtete man an die Politik, was die Finanzierung des Presserats betrifft. Seit der Gründung 2010 gab es betreffend der jährlichen Förderung von 150.000 Euro keine Erhöhung oder Inflationsanpassung, die mittlerweile aber dringend geboten wäre. "Unsere Entscheidungen sollen ein Ausgangspunkt für Diskussion sein, für den Austausch mit der Branche, aber auch mit der interessierten Öffentlichkeit. Es wäre schade, wenn das eingeschränkt werden muss, weil die Finanzierung nicht mehr gewährleistet ist", so Warzilek. Man hoffe, im Rahmen der geplanten Qualitätsjournalismusförderung entsprechend bedacht zu werden. (red, 23.3.2023)