Nachdem offiziell Anklage gegen Donald Trump erhoben wird, würde er wohl seine Privatmaschine in Florida besteigen und nach New York fliegen, wo er sich am Criminal Courts Building im Süden Manhattans melden müsste.

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Der Mann wird von Polizeibeamten gepackt und zu Boden geworfen. In Handschellen wird er abgeführt. Später sitzt er einsam in einem orangefarbenen Häftlingsanzug in einer Gefängniszelle – so sieht es auf den täuschend echt gefälschten Bildern aus, die Gegner oder Anhänger von Donald Trump ins Netz stellen, seit der Ex-Präsident für diese Woche seine Verhaftung angekündigt hat.

Tatsächlich wurde Trump – zumindest vorerst – nicht festgenommen. Doch seine Anklage in Manhattan schien zuletzt nur noch eine Frage der Zeit zu sein. Es wäre in dem Fall das erste Strafverfahren gegen einen ehemaligen US-Präsidenten. Entsprechend groß ist die Aufmerksamkeit, die von Trump mit zweideutigen Protestaufrufen politisch aufgeheizt wurde. Nach US-Medienberichten stand die 23-köpfige Grand Jury, die über die Eröffnung des Prozesses entscheiden muss, zuletzt mitten im Abschluss ihrer Arbeit.

Der Bezirksstaatsanwalt von Manhattan, Alvin Bragg, hat den Geschworenen seine Beweise vorgelegt und Zeugen vernehmen lassen. Danach sollte Bragg die Jury zur Abstimmung auffordern: Votiert eine Mehrheit dafür, wird offiziell Anklage gegen Trump erhoben. Das Gremium tagt eigentlich dreimal in der Woche – montags, mittwochs und donnerstags. Die Sitzung am Mittwoch wurde Medienberichten zufolge allerdings abgesagt. Ob die Jury diese Woche überhaupt noch einmal zusammenkommt, war vorerst unklar. Damit könnte sich die Anklage auch auf nächste Woche verzögern.

Schweigegeld im Visier

Bei dem Verfahren geht es weder um die massiven Versuche Trumps, das Ergebnis der Präsidentschaftswahl 2020 zu manipulieren, noch um das Beiseiteschaffen von geheimen Regierungsunterlagen aus dem Weißen Haus beim Ausscheiden aus dem Amt ein paar Wochen später: Diese Vorgänge werden von einer Staatsanwältin in Georgia und von einem Sonderermittler des Justizministeriums separat verfolgt.

Im Zentrum des möglichen Prozesses in Manhattan steht vielmehr die vordergründig nebenrangig erscheinende Schweigegeldzahlung im Wahlkampf 2016 an Stephanie Clifford, die als Pornodarstellerin unter dem Namen Stormy Daniels bekannt wurde. Unstrittig ist, dass Trumps damaliger Anwalt Michael Cohen an Clifford 130.000 Dollar zahlte, damit sie während des Wahlkampfs keine Details über ihre Affäre mit dem damals frischverheirateten Trump bei einem Golfturnier zehn Jahre zuvor veröffentlicht.

DER STANDARD

Cohen stellte Trump den Betrag später in Rechnung, der einen Scheck über die Summe unterschrieb. Die Ausgabe verbuchte er als Anwaltskosten. Diese Fehlbuchung steht im Mittelpunkt des Verfahrens. Sie könnte mit einer Haftstrafe von bis zu vier Jahren geahndet werden, wenn das Gericht befindet, dass Trump die Buchhaltung fälschte, um ein anderes Verbrechen zu verdecken.

Als dieses andere Verbrechen, unken Beobachter, könnte der Staatsanwalt einen Verstoß gegen die Transparenzgesetze zur Kampagnenfinanzierung präsentieren, da der damalige Kandidat die seinem Wahlkampf dienende Zahlung vertuschte. Die genauen juristischen Vorwürfe sind ebenso wie der Ablauf des Verfahrens noch unklar. Sollte die Jury zugunsten der Anklage entscheiden, würde sich nach Einschätzung von Rechtsexperten die Staatsanwaltschaft wohl mit dem Secret Service und den Anwälten von Trump in Verbindung setzen.

Beobachter rechnen nicht damit, dass das FBI im Morgengrauen bei Trumps Anwesen Mar-a-Lago in Florida vorstellig wird und den Ex-Präsidenten in Handschellen abführt. Als wahrscheinlich gilt eher, dass Trump sich freiwillig stellt – was Tage dauern könnte. Dann würde er wohl seine Privatmaschine in Florida besteigen und nach New York fliegen, wo er sich am Criminal Courts Building im Süden Manhattans melden müsste.

Unruhen erwartet

Aus Sorge vor Demonstrationen und möglicherweise gewalttätigen Unruhen wurden die Sicherheitsvorkehrungen in der Millionenmetropole wie auch in der Hauptstadt Washington bereits massiv verstärkt und das Justizgebäude mit einem Zaun abgeriegelt.

Im Büro des Staatsanwalts müsste Trump dann wie jeder Angeklagte seine Fingerabdrücke abgeben. Auch würde ein Foto – der berüchtigte "mug shot" – von ihm gemacht. Der Ex-Präsident würde zum Gerichtssaal geführt, wo ihm die bis dahin versiegelte Anklageschrift vorgelesen würde. Bis zur eigentlichen Verhandlung können Monate vergehen, während seine Anwälte versuchen dürften, das Verfahren zu torpedieren. Die Präsidentschaftskandidatur kann davon unberührt weiterlaufen. Völlig offen ist, ob Trump am Ende verurteilt wird.

Er selbst behauptet, "keine Straftat irgendeiner Art" begangen zu haben und beschimpft den afroamerikanischen Staatsanwalt als "Rassisten", Handlanger des Philanthropen George Soros und linksradikalen Aktivisten. Tatsächlich gilt der Jurist trotz seiner Zugehörigkeit zur Demokratischen Partei als wenig interessiert an politischen Ränkespielen. Den Stormy-Daniels-Fall wollte er nach seinem Amtsantritt Anfang 2022 zunächst gar nicht weiterverfolgen. Unabhängige Beobachter halten die mutmaßliche juristische Argumentation noch immer für riskant. Der 49-jährige Chefermittler aber scheint sich seiner Sache inzwischen sicher zu sein. (Karl Doemens aus Washington, 22.3.2023)