Cowork-Living vereint Arbeiten und Wohnen– im Fall von Schloss Blumenfeld nahe der deutschen Stadt Tengen sogar an einem Ort.

Foto: Schloss Blumenfeld

Coworking-Spaces waren lange ein urbanes Phänomen. Inzwischen sind sie in Deutschland und Österreich auch in ländlichen Regionen angekommen. Leerstehende Hotels, Bauernhöfe oder Gasthäuser wurden bereits zu flexiblen Büros umfunktioniert. Das Start-up Emma Wanderer bietet im obersteirischen Nationalpark Gesäuse einen Arbeitscampus mit Blick auf die Berge an. In Deutschland gibt es mittlerweile mehr als 140 Coworking-Spaces außerhalb der Ballungsgebiete. Vor drei Jahren waren es gerade mal eine Handvoll.

Bisher blieb die Zahl an ländlichen Coworking-Spaces, die auch Schlafplätze anbieten, begrenzt. Einige Initiativen verfolgen die Idee, Coworking auf dem Land verstärkt mit Coliving zu verbinden. Dabei arbeiten Menschen nicht nur in einem Coworking-Space, sondern wohnen auch gleich dort oder in der Nähe. Im Gegensatz zu Workation, also der Kombination aus Arbeiten und Urlaub, sollen beim Cowork-Living nicht nur die Anbieter profitieren, sondern auch die örtliche Gemeinde.

Ein Sommer auf dem Schloss

Eine dieser Initiativen ist der "Summer of Pioneers", den das Berliner Unternehmen Neulandia erstmals vor vier Jahren startete. Für das Projekt nutzen sie leerstehende Immobilien, die zu Coworking-Spaces und zum Teil auch zu Wohnraum umfunktioniert werden. Kreativ- und Digitalarbeiter können sich bewerben und für sechs Monate auf dem Land leben und arbeiten. Eine Bedingung ist, dass sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer im Coworking-Space und vor allem in der Gemeinde engagieren – etwa durch kulturelle Veranstaltungen oder Workshops. Das Projekt finanziert sich über die Mieten der Teilnehmer und Coworking-Gäste, aber auch über staatliche Förderungen.

Auf Schloss Blumenfeld nah der deutschen Stadt Tengen fanden zwei Summers of Pioneers statt. Die Teilnehmer wohnten und arbeiteten dort nicht nur, sondern engagierten sich auch in der lokalen Gemeinschaft.
Foto: Schloss Blumenfeld

Auch Uta Krauss nahm als "Pionierin" an dem Projekt teil. Die Kreativschaffende, Texterin und Social-Media-Expertin verbrachte gleich zwei Runden des Projekts auf Schloss Blumenfeld knapp außerhalb der deutschen Stadt Tengen, nahe der Schweizer Grenze. Das Schloss ist umgeben von Grün, von den Mauern blickt man über den kleinen 5000-Einwohner-Ort. Gemeinsam mit rund 20 anderen Kreativ- und Medienschaffenden belebte Krauss das historische Schloss neu, das von 2015 bis 2021 leerstand.

Für rund 150 Euro im Monat erhielten die neuen Schlossbewohner einen Arbeitsplatz und ein eigenes Zimmer. Bad, Küche und Wohnzimmer nutzten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer gemeinschaftlich. Die neuen Schlossbewohner setzten dann ihr Können ein, um den Coworking-Space im Schloss für Interessierte attraktiv zu machen. Eine Architektin kümmerte sich darum, den Wohnraum zu gestalten. Eine andere Teilnehmerin belebte das Schlosscafé wieder. Das Team organisierte Hofkonzerte und andere Veranstaltungen. Krauss baute den Instagram-Account für das Schloss auf, kümmerte sich um die Öffentlichkeitsarbeit und die Verwaltung der Ausstellungsebene im Schloss, der für alle Interessierten offenstand.

Das Landleben testen

Direkt im Coworking-Space zu wohnen kommt vielen Teilnehmern gelegen. Aus der Stadt zu pendeln wäre zeitintensiv und umständlich. Beim Summer of Pioneers ist Pendeln aber auch nicht Sinn der Sache, erklärt Frederik Fischer, Geschäftsführer von Neulandia, im STANDARD-Gespräch: "Wir sprechen Menschen an, die die Stadt vielleicht irgendwann verlassen möchten." Das Projekt ermöglicht es den Teilnehmern, das Leben und Arbeiten auf dem Land auszuprobieren – um dann eventuell langfristig zu bleiben.

Durch diese Cowork-Living-Projekte will Neulandia das Landleben für Stadtmenschen wieder attraktiv machen. Sie sehen es deshalb als eine Antwort auf die Landflucht, die viele ländliche Regionen ausdünnt. Zudem lassen sich Emissionen sparen, wenn Menschen nicht in die Ballungszentren pendeln müssen, so der Gedanke.

Im Coworking-Space stehen Arbeitsplätze mit Internetverbindung bereit. Außerhalb der Mauern ist der Handyempfang mitunter schlecht.
Foto: Schloss Blumenfeld

Austausch mit der Gemeinde vor Ort

Von den Summers of Pioneers soll besonders auch die örtliche Gemeinde profitieren. Die Kreativschaffenden und digitalen Fachkräfte können lokale Unternehmen beraten – sei es bei der Digitalisierung oder im Umgang mit den sozialen Medien. Durch die Coworking-Spaces eröffnen sich Menschen vor Ort außerdem zusätzliche Angebote wie Konzerte, kulturelle Veranstaltungen, Werkstätten oder Cafés. Die Standorte sollen der Bevölkerung neue Räume bieten, um zusammenzukommen.

In Tengen tauschten sich die Schlossbewohner bei einem Stammtisch mit dem Dorf aus. "Beim ersten Kennenlernen haben die Menschen aus der Gemeinde realisiert, dass wir keine arroganten Städter sind, sondern mit ihnen gemeinsam etwas für den Ort bewirken wollen", sagt Krauss. Die Gemeinde und Schlossbewohner seien sich von Anfang an offen und herzlich begegnet.

"Ohne Unterstützung aus dem Rathaus ist es schwierig"

Das Cowork-Living auf dem Land hat aber auch seine Nachteile. Das Schloss ist abgelegen, zu Fuß läuft man rund 30 Minuten ins nahegelegene Tengen, wo es einen Supermarkt, Bäcker und eine Metzgerei gibt. Der nächste Bahnhof ist mit dem Auto rund 15 Minuten, mit dem Bus rund 20 Minuten entfernt. Ein einziges Restaurant lieferte sein Essen auch zum Schloss, erzählt Krauss.

In vielen ländlichen Regionen herrscht zudem oft schlechter Empfang. Es braucht ein stabiles Internet, damit die Digitalarbeiter und Selbstständigen auf dem Land arbeiten können. Da Videoanrufe durch Corona zugenommen haben, braucht es verstärkt Telefonkabinen, damit andere nicht gestört werden. Diese Rückzugsmöglichkeiten zu schaffen ist häufig eine Herausforderung.

Mittlerweile gestaltet es sich laut Fischer schwierig, überhaupt leerstehende Immobilien zu finden. Auch auf dem Land ist der Wohnraum knapp. Besonders entscheidend ist, dass die Gemeinden mitziehen. Neulandia ist darauf angewiesen, dass die Bürgermeisterin oder der Bürgermeister hinter dem Projekt stehen und es vorantreiben. "Ohne Unterstützung aus dem Rathaus ist es schwierig", sagt Fischer.

Der Innenhof von Schloss Blumenfeld.
Foto: Schloss Blumenfeld

Neue Projekte starten

Krauss zog Ende letzten Jahres aus dem Schloss aus. Die Zeit auf dem Schloss brachte sie beruflich enorm weiter. Als Selbstständige profitierte sie davon, sich mit anderen auszutauschen. Anderen Kreativschaffenden kann sie heute nur empfehlen, an solchen Projekten und Coworking-Spaces teilzunehmen. "Es ist eine Erinnerung, auf die ich immer zurückblicken kann", sagt sie.

Einen Summer of Pioneers auf Schloss Blumenfeld wird es in nächster Zeit nicht mehr geben. Das Projekt ist vonseiten Neulandia inzwischen ausgelaufen. Dennoch sind einige Pioniere geblieben. Mit der Stadt haben sie vereinbart, das Schloss noch eine Zeitlang weiter zu betreiben. Unklar bleibt aber, wie es langfristig mit Schloss Blumenfeld weitergeht. Darüber entscheidet heuer der Gemeinderat von Tengen.

In anderen Städten plant Neulandia aber bereits die nächsten Summers of Pioneers. Die nächste Runde findet etwa im schweizerischen Lichtensteig statt und beginnt im Mai. Auch im sächsischen Mittweida soll es in die nächste Runde gehen. An anderen Standorten wie dem nordhessischen Homberg und brandenburgischen Wittenberge hat das Cowork-Living die Gemeinden überzeugt. Dort sollen die neu belebten Räume den Gemeinden dauerhaft erhalten bleiben. (Florian Koch, 24.3.23)