ÖVP und FPÖ in Niederösterreich wärmen eine alte Idee aus Oberösterreich wieder auf, die nie implementiert wurde – aufgrund rechtlicher Bedenken.

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Die Kontroverse war der künftigen schwarz-blauen Regierung in Niederösterreich gewiss – und vermutlich auch nicht ganz unrecht: Es geht um die Deutschpflicht auf dem Pausenhof, auf die sich beide Parteien in ihrem Arbeitsübereinkommen verständigt haben. Mittels Hausordnung soll diese implementiert werden. Dass diesem Vorhaben nicht nur die Schulautonomie, sondern auch die Verfassung im Weg steht, dürften sie ebenso einkalkuliert haben wie die Tatsache, dass Lehrerinnen und Lehrer andere Aufgaben haben, als Sprachpolizei in den Pausen zu spielen. Eine klare Absage der Direktorinnen und Direktoren folgte sofort.

VIDEO: Beim "Sag's Multi"-Redewettbewerb stellen Jugendliche ihre Texte im Sprachenmix vor. Wir haben mit ihnen über die Vorteile der Mehrsprachigkeit geredet https://www.derstandard.at/story/2000126478463/welche-jezike-do-you-speak



DER STANDARD

Unerwarteter Rückenwind für die Deutschpflicht auf dem Pausenhof kam am Dienstag. Anders als sein Vorgänger nannte Bildungsminister Martin Polaschek (ÖVP) die Idee "interessant", wenngleich er dies nicht näher kommentieren wollte, wie er bei einer Pressekonferenz sagte. Ja, es sei schwer durchsetzbar, "aber es ist eine Maßnahme, um jungen Menschen klarzumachen, dass es wichtig ist, Deutsch zu lernen", sagte Polaschek.

Widerspruch zur Verfassung

Braucht es dafür aber eine Pflicht? Und was würde eine solche tatsächlich bewirken? Eine Antwort darauf zu finden ist schwer. In Oberösterreich wollte die schwarz-blaue Landesregierung im Jahr 2016 das gleiche Experiment wagen. Der damalige Bildungsminister Heinz Faßmann (ÖVP) ließ es aber gar nicht erst so weit kommen. Zu groß waren seine Bedenken mit Blick auf die Verfassung, konkret auf das Recht auf Privatleben, das ein Gutachten des Verfassungsdienstes im Falle einer Implementierung gefährdet sah.

Die Argumente sind auch jetzt gleich: Verfassungsexperte Heinz Mayer kommentierte im STANDARD das niederösterreichische Wiederkäuen der Deutschpflicht auf dem Pausenhof als "verfassungsrechtlich nicht durchsetzbar". Kritik kam am Donnerstag im Rahmen eines mehrsprachigen Vorlesetags an der Volksschule Brüßlgasse in Wien-Ottakring auch von Justizministerin Alma Zadić (Grüne). Zusätzliche Sprachen zu sprechen sei "eine Bereicherung – völlig egal, ob es sich dabei um Französisch, Indisch, BKS, Spanisch, Arabisch oder eine andere Sprache handelt". Den Kindern möchte sie mitgeben, dass sie stolz auf ihre Fähigkeiten sein können, betonte Zadić.

Doch all das scheint einige Schulleitungen und Lehrerinnen und Lehrer nicht davon abzuhalten, bereits jetzt solche Sprachverbote durchzuführen – wenn auch informell.

Sprachverbote bereits Realität

Davon berichtet Ali Dönmez, Logopäde und Lehrer für Deutsch als Zweit- und Fremdsprache, im STANDARD-Gespräch. Seit Herbst 2022 ist er mit seinem Workshop "In der Schule wird Deutsch gesprochen!" an Mittelschulen und AHS-Unterstufen in Wien unterwegs. Was dort aus Erzählungen mehrsprachiger Kinder hervorgeht: Sprachverbote sind bereits Teil ihres schulischen Alltags. "Und diese ziehen sich oft vom Kindergarten durch die ganze Bildungslaufbahn", sagt Dönmez.

Verantwortlich dafür seien einzelne Lehrkräfte oder Direktoren, die "störende" Sprachen wegzudrängen versuchen. "In Österreich wird Deutsch gesprochen, Arabisch kannst du zu Hause reden", ist dabei noch eine der netteren Wortmeldungen, die Schüler sich anhören müssen. "All das passiert natürlich informell, weil es gesetzlich verboten ist", sagt Dönmez. Doch wenn es niemand melde und das Kind, womöglich dessen Eltern, bereits in der Volksschule Ähnliches gehört hätten, dann werde dies normalisiert – und führe bei Betroffenen zu Resignation.

Moralisieren und verdächtigen

Neben den expliziten Sprachverboten, die aufgrund der gesellschaftlichen Sensibilisierung zurückgegangen seien, gebe es allerdings auch "Sprachgebote". Diese seien subtiler, würden aber letztlich aufs Gleiche hinauslaufen. "Redet doch bitte Deutsch, sonst fühlen sich die anderen ausgeschlossen oder denken, dass ihr über sie lästert", nennt Dönmez ein Beispiel, das an die Moral der Kinder appelliere – und sie verdächtige. Die zentrale Frage sei jedoch: "Ist die Sprache das Problem oder das Verhalten? Wenn alle Deutsch sprechen, wird dann nicht mehr gelästert?"

Für die Kinder seien diese Sprachverbote jedenfalls sehr belastend. Das zeigt auch der Fall eines achtjährigen Mädchens, das Schwierigkeiten mit Deutsch hatte. "Ich sollte abklären, ob bei ihr eine Sprachentwicklungsstörung vorliegt", erzählt Dönmez. Was sich stattdessen herausstellte: Dem Mädchen wurde in der Schule gesagt, sie dürfe nur Deutsch reden, und nicht mehr Türkisch. Sie hörte auf zu reden.

"Wenn Kinder in einer Sprache noch nicht handlungsfähig sind und ich ihnen das einzige Werkzeug, mit dem sie kommunizieren können, unterbinde, nehme ich ihnen jegliche Bewegungsfreiheit", sagt Dönmez.

Unbefriedigte Grundbedürfnisse

Diesen Aspekt greift auch Bildungspsychologin Christiane Spiel hervor. Für Wohlbefinden und Lernmotivation von Schülerinnen und Schülern – aber auch Erwachsenen – sei nämlich die Befriedigung der drei psychologischen Grundbedürfnisse essenziell, sagt sie im STANDARD-Gespräch. Dazu gehören Kompetenzerleben, Autonomie und soziale Eingebundenheit. "Gerade in Pausen können Kinder diese soziale Eingebundenheit erleben. Das kann mit Kindern sein, die Deutsch sprechen, aber vermutlich ist es leichter mit Kindern, die dieselbe Erstsprache, den gleichen kulturellen Hintergrund haben", sagt Spiel. Es sei daher verständlich, dass sich Kinder vertrauter fühlen, wenn sie in der Erstsprache kommunizieren.

Dazu komme, dass Pausen ja dazu da seien, um sich zu kurz zu erholen, sagt die Bildungspsychologin. Aber könnte eine Pausensprache Deutsch nicht doch einen positiven Effekt haben, etwa um Deutsch auch "spielerisch" zu erlernen? Hier verweisen Dönmez und Spiel auf bestehende Deutschförderung, die Schulkinder ohnehin in den Schulen haben. Um stärker mit Deutsch in Kontakt zu kommen, müsste man viel eher an anderen Schrauben drehen, meint Dönmez und spielt auf die Deutschförderklassen an. In diesen werden Schüler und Schülerinnen mit schlechten Deutschkenntnissen seit 2018/2019 separiert von Gleichaltrigen unterrichtet – und das trotz zahlreicher Studien und einer großen Evaluierungsstudie von Spiel, die diesen Klassen kein gutes Zeugnis ausstellten. Polaschek will dennoch an ihnen festhalten.

Perspektivenwechsel gefragt

Was die Pausensprache anbelangt, könne man, sagt Spiel, als Lehrperson durchaus sagen: "Es wäre nett, wenn ihr Deutsch sprecht." Letztlich sei es aber ein Unterschied, ob Lehrkräfte eine Empfehlung geben oder es vorschreiben. Was Spiel hier vorschwebt: "Man könnte das Thema durchaus in den Schulen selbst aufgreifen und mit den Kindern darüber diskutieren." Den Entscheidungsträgern aus der Politik legt sie ein Gedankenspiel nahe: "Sie sollen sich einmal vorstellen, wie es ist, wenn jemand ihnen vorschreibt, wie sie sich in ihrer Arbeitspause zu verhalten haben." (Elisa Tomaselli, 23.3.2023)