Umfragen zufolge lehnt die Mehrheit der Französinnen und Franzosen Emmanuel Macrons Pläne zur Pensionsreform ab.

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Die Frage war vielleicht rhetorisch, aber sehr emotional: "Glauben Sie, dass es Spaß macht, eine solche Reform zu machen?", herrschte Emmanuel Macron am Mittwoch die zwei Journalisten des Mittagsjournals an. Die Erhöhung des Pensionsalters von 62 auf 64 sei "kein Luxus, kein Vergnügen, sondern eine Notwendigkeit", erklärte der Präsident angriffslustig.

Auf seine Ausführungen, warum diese Reform nötig sei, vermochte der Moderator von France 2 nur noch zu fragen, wieso er das den Franzosen nicht schon seit Monaten erklärt habe. Doch der energiegeladene Präsident hörte nicht hin. Er versprach neue Reformen für Arbeiter und Arbeiterinnen mit harten Jobs, für den Berufswechsel ab 55 oder für Mindestlohnbezieher.

Am Pensionsalter 64 hält er aber fest. Die Reform soll bis Jahresende umgesetzt sein, sofern der Verfassungsrat zustimmt. Die Forderung der Gewerkschaften nach einem Zurückziehen der Reform überging Macron bei seinem ersten offiziellen Eingriff in die Pensionsdebatte.

Lösung in weiter Ferne

Die Fronten scheinen damit verhärtet. Der Vertreter der Gewerkschaft CGT in Marseille, Olivier Mateu, hatte schon vor Macrons TV-Auftritt erklärt, alles andere als ein Zurückziehen der Reform wäre für ihn inakzeptabel. Die Gewerkschaften rufen für Donnerstag zu einem neuen Protesttag auf. In Paris und anderen Städten kommt es seit einer Woche jede Nacht zu schweren Ausschreitungen. Züge werden zudem in Bahnhöfen – am Mittwoch etwa in Toulouse und Nizza – festgehalten. Die Ölraffinerien sind blockiert, was in ganz Südfrankreich zu Benzinmangel führt. In Marseille sperrte die CGT am Mittwoch auch die Zufahrten zum Hafen. Wegen des Streiks der Müllabfuhr häufen sich in vielen Städten die Müllberge.

Macron bekannte sich zum Streikrecht, gegen die diversen Blockaden bietet er aber Arbeiter des Privatsektors auf. Am Dienstag hatte er vor seiner Partei Renaissance ausgeführt, "die Menge" auf der Straße habe keine demokratische Legitimität. Jede Form von Gewalt werde er bekämpfen. In Frankreich werden immer wieder Parlamentarierbüros verwüstet. Macron lässt sie polizeilich schützen.

Der Präsident kann letztlich gar nicht anders, als stur auf seiner Linie zu bleiben, wenn er nicht schlicht kapitulieren will. Die Linksunion Nupès und die Rechtspopulistin Marine Le Pen verlangen einen Regierungswechsel mit allfälligen Neuwahlen oder – noch besser – eine Volksabstimmung zur Pensionsfrage. Beides kommt für Macron nicht infrage. Der Rücktritt von Premierminister Elisabeth Borne wäre für den Präsidenten allzu billig. Im Visier der Proteste ist schließlich Macron, nicht Borne.

Ein "référendum" steht für Macron ebenso außer Frage: Es würde unweigerlich in ein Plebiszit gegen den Herrscher im Élysée-Palast umgemünzt. Schon der ehemalige Landesvater Charles de Gaulle hatte diese Erfahrung gemacht, als er 1969 nach einer verlorenen Senatsreform den Hut nehmen musste.

Vorwurf der Arroganz

Die labile, aufrührerische Stimmung im Land wird Macron ebenso angekreidet wie die nicht abreißende Serie von Verwüstungen und Krawallen in zahllosen Städten. Laurent Berger von der gemäßigten Gewerkschaft CFDT warnte Macron, dass er mit seiner Arroganz und Starrsinnigkeit noch die Nation gegen sich aufbringe. Außer vonseiten des Unternehmerverbandes Medef sind effektiv kaum Stimmen zugunsten der Pensionsreform zu hören.

Einmal mehr geraten in Frankreich auch die Polizeikräfte in die Kritik, weil sie laut Augenzeugen oft wahllos Demonstranten verhaften – oder in Paris sogar Jogger und Geschäftsinhaber. Auch zwei minderjährige Österreicher landeten vorübergehend im Polizeigewahrsam.

Besonders gefürchtet sind die Motorradkohorten der "Brav". Diese "Brigaden zur Unterdrückung von Gewalthandlungen" waren vor vier Jahren als Antwort auf die Gelbwesten-Krawalle geschaffen worden. Sie erinnern Pariser Aktivisten an die berüchtigten "voltigeurs", bei denen es sich entgegen dem Namen nicht um Trapezkünstler handelte, sondern um Motorradgangs, die im Anschluss an die Unruhen von 1968 entstanden. Sie wurden erst 1986 nach dem Tod eines jungen Mannes aufgelöst. Eine ähnliche Verfehlung der "Brav" würde das Pulverfass zweifellos zur Explosion bringen. (Stefan Brändle aus Paris, 22.3.2023)