Auch in Marseille wurde gegen die Reform demonstriert.

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Leere Bahnsteige und Hauptstraßen voller Menschen: Zwei Tage nach der überstandenen Vertrauensabstimmung, der sich Frankreichs Regierung nach ihrem Beschluss der umstrittenen Pensionsreform stellen musste, ebben die Proteste keineswegs ab. Auch an diesem Donnerstag rollt neuerlich eine Protest- und Streikwelle quer durch Frankreich. Von Nantes bis Marseille sind bereits Hunderttausende den Protestaufrufen gegen die Pensionsreform von Präsident Emmanuel Macron gefolgt.

Erwartet werden im Laufe des Tages landesweit bis zu 800.000 Demonstrantinnen und Demonstranten auf rund 240 Kundgebungen. Nach Angaben von "Le Monde" haben rund ein Viertel der Beschäftigten des Bahnunternehmens SNCF und des Energiekonzerns EDF sowie mindestens jeder vierte Lehrer beziehungsweise jede vierte Lehrerin ihre Arbeit niedergelegt. Zahlreiche Züge fallen aus.

Leere Bahnsteige in Bordeaux.
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Nahe der Stadt Toulouse im Südwesten des Landes blockierten Demonstranten am frühen Donnerstagmorgen eine Autobahn sowie ein Busdepot in der bretonischen Stadt Rennes, wie die Zeitung "Le Parisien" berichtete. Zudem blieben einige Schulen geschlossen – insbesondere in Paris haben sich zahlreiche Gymnasiasten den Protesten angeschlossen.

Unweit der Hauptstadt haben Demonstrierende am Vormittag auch einen Terminal am Flughafen Charles De Gaulle blockiert. In der Nähe des Pariser Bahnhofs Gare de Lyon sind laut Berichten zahlreiche Menschen auf die Gleise gestürmt und haben damit den öffentlichen Verkehr zeitweise lahmgelegt. Indes türmt sich auf den Straßen der Müll, da die Proteste die Aufräumarbeiten erschweren und zuletzt auch Müllverbrennungsanlagen blockiert wurden. Weil auch Öldepots belagert wurden, ging einigen Tankstellen im Land laut BFMTV der Kraftstoff aus.

Klare Mehrheit gegen Reform

Die Wut, die sich derzeit auf den Straßen entlädt, ist kaum verwunderlich: Zahlreiche Umfragen bestätigen, dass eine klare Mehrheit der Franzosen und Französinnen die Reform ablehnt. Und auch Macrons Vorgehen wird vielfach kritisiert: nämlich eine so wichtige Reform über die Köpfe des Parlamentes hinweg durchzusetzen. Immerhin wurde sie mithilfe der Verfassungsklausel 49.3 und damit ohne parlamentarische Zustimmung beschlossen. Die Klausel ermöglicht es, ein Gesetz ohne parlamentarische Schlussabstimmung zu verabschieden, sofern die Regierung ein anschließendes Vertrauensvotum übersteht. Am Montag scheiterten zwei Misstrauensanträge: Die Reform ist damit verabschiedet, liegt aber zur Prüfung noch beim Verfassungsrat.

Immer wieder wird der Vorwurf laut, Macron hätte die Reform nicht ordentlich durchdacht und erklärt.Einer der umstrittensten Punkte der Reform ist die Anhebung des Pensionsantrittsalters von 62 auf 64 Jahre. Am Mittwoch hatte Macron in einem Fernsehinterview sein Vorhaben verteidigt und gesagt, bis Jahresende sollten die Änderungen in Kraft gesetzt werden. Sie sind nach Auffassung des Staatspräsidenten nicht zuletzt eine Überlebensfrage für den Staat selbst: Würden sie nicht realisiert, drohe das Pensionssystem unfinanzierbar zu werden. Macron muss allerdings noch die Entscheidung des Verfassungsrates abwarten – das ist jenes Gericht, das die Verfassungsmäßigkeit von Gesetzen überwacht.

Abschläge bei Pension

Laut einer Auswertung der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) lag 2020 das durchschnittliche Pensionsalter in Frankreich bei rund 60 Jahren (Männer: 60,4 Jahre, Frauen: 60,9 Jahre). Dieser Schnitt gehört europaweit zu den niedrigsten.

Tatsächlich beginnt jedoch auch in Frankreich die Pension für viele inzwischen immer später: Wer für eine volle Pension (das sind rund 50 Prozent der 25 einkommensstärksten Jahre) nicht lange genug eingezahlt hat, arbeitet länger – oder muss signifikante Abschläge in Kauf nehmen. Erst mit 67 Jahren gibt es dann unabhängig von der Einzahldauer eine Pension ohne Abschlag – dies will die Regierung beibehalten, auch wenn die Zahl der nötigen Einzahljahre (derzeit 42 Jahre) für eine volle Pension schneller steigen soll. Die monatliche Mindestpension will sie auf etwa 1.200 Euro hinaufsetzen. (fmo, 23.3.2023)