Es ist vernünftig, wenn mehrere Oppositionsparteien ihre Kräfte bündeln, um überhaupt eine Chance auf den Sieg zu haben, schreibt der Princeton-Politologe Jan-Werner Müller in seinem Gastkommentar. Ein Garant für den Erfolg wäre das aber noch lange nicht, denn man müsse auch genau aufzeigen, was falsch gelaufen ist, und wie eine andere Zukunft aussehen könnte.

Nach einem Jahr zäher Verhandlungen haben sechs türkische Oppositionsparteien endlich einen gemeinsamen Präsidentschaftskandidaten gefunden, mit dem sie hoffen, Recep Tayyip Erdoğans zunehmend autokratische und repressive Herrschaft beenden zu können. Erst diesen Monat einigte sich der sogenannte Sechser-Tisch auf Kemal Kılıçdaroğlu, den Chef der sozialdemokratischen und laizistischen Republikanischen Volkspartei (CHP). Damit übergingen sie jüngere, charismatischere Konkurrenten, wie den ebenfalls der CHP angehörenden Bürgermeister von Istanbul, dem es 2019 gelungen war, die Herrschaft von Erdoğans Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung (AKP) über die Stadt zu beenden.

Wenn ein autoritäres populistisches Regime die demokratischen Spielregeln zu seinen Gunsten manipuliert, ist es nur vernünftig, wenn mehrere Oppositionsparteien ihre Kräfte bündeln, um überhaupt eine Chance auf den Sieg zu haben. Ein solcher Zusammenschluss ist aber noch lange kein Garant für den Sieg. Im Gegenteil: Der schwierigste Teil kommt erst nach der Einigung.

Foto: AP/Turkish Presidency

Beispiel Ungarn

Oppositionsparteien, die zusammenarbeiten, um einen bestimmten Staatschef oder eine Partei und insbesondere einen populistischen "starken Mann" vom Thron zu stoßen, müssen dieses unbedingte Ziel über ihre anderen programmatischen Inhalte stellen. Schließlich arbeiten viele populistische Führungsfiguren erfolgreich daran, die Demokratie auszuhöhlen, und man kann mit gutem Grund annehmen, dass sie ihre Sabotagearbeit im Fall einer Wiederwahl fortsetzen. So hat der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán die ersten Wochen nach unfairen Wahlen, solange Opposition und Zivilgesellschaft noch total demoralisiert waren, dazu genutzt, kontroversielle Maßnahmen durchzudrücken und den schwelenden Kulturkampf im Land weiter anzuheizen. Budapests verlogenes Denkmal für die Opfer der deutschen Besatzung, das Ungarn von jeder Mitschuld am Holocaust reinwäscht, wurde direkt nach der Wahl von 2014 errichtet.

Dieses Ziel der "Schadensbegrenzung" ist zwar vernünftig, impliziert aber gleichzeitig, dass sich alles in der Politik um den starken Mann dreht. Das ist genau das, was Populisten wollen. Sie sind brillant darin, Polarisierung und Personalisierung zu ihrem eigenen Vorteil zu nutzen: "Alle sind gegen mich, den einzigen Politiker, der wirklich das Volk repräsentiert."

Das geringere Übel

Wie wichtige politikwissenschaftliche Arbeiten jüngst gezeigt haben, wählen viele Menschen autoritäre Populisten, obwohl sie wissen, dass diese die Demokratie untergraben – und korrupt sind, ein weiteres Kennzeichen populistischer Regierungen. Aber wenn sie mit einer Wir-gegen-die-Logik und einer Oppositionskoalition konfrontiert sind, deren eigentliche politischen Ziele sie nicht kennen, wählen sie oft trotzdem das, was sie als das geringere Übel wahrnehmen. Zumal geeint auftretende Oppositionsparteien häufig auf Kandidaten setzen, die wie eine demokratische Version des Amtsinhabers aussehen, gegen den sie antreten.

So sah das ungarische Oppositionsbündnis letztes Jahr in einem konservativen katholischen Provinzbürgermeister seine beste Chance, den weit rechts stehenden populistischen Amtsinhaber zu besiegen. Und eine israelische Oppositionskoalition nach der anderen setzte bei ihrem Versuch, Ministerpräsident Benjamin Netanjahu abzulösen, auf Law-and-Order-Politiker rechts der Mitte wie den pensionierten General Benny Gantz. Alle scheinen sich jedenfalls darin einig zu sein, dass die Wiederherstellung der Demokratie am besten alten Männern überlassen werden sollte. Für die demokratische Partei in den USA hat es jedenfalls funktioniert, ebenso wie für Westeuropa nach dem Zweiten Weltkrieg, als paternalistische Politiker wie Konrad Adenauer und Charles de Gaulle die deutsche beziehungsweise französische Politik beherrschten.

Schwung- und kraftlos?

Trotzdem schlägt diese Strategie oft fehl; entweder, weil sie die Opposition schwung- und kraftlos aussehen lässt, oder – weniger offensichtlich –, weil sie das defätistische Signal sendet, dass die vom herrschenden Populisten verschobenen politischen Parameter zur neuen Norm geworden sind. In der Türkei hat sich der Sechser-Tisch bisher dem nationalistischen Druck gebeugt und der prokurdischen HDP einen Korb gegeben. Und auch in Israel weigert sich die derzeitige Opposition gegen Netanjahus rechtsextreme Regierung immer noch, mit Vertretern der arabischen Bevölkerung zusammenzuarbeiten. Starker Nationalismus – und wenig Rücksicht auf die Rechte von Minderheiten – gilt als politisch selbstverständlich.

"Die gemeinsame Ablehnung des starken Mannes an der Macht reicht als Wahlargument nicht aus."

Selbst wenn sich Antipopulisten gegen einen gemeinsamen Gegner zusammenschließen, steht ihnen die schwierigste Aufgabe, nämlich neue politische Parameter zu etablieren, also erst noch bevor. Die gemeinsame Ablehnung des starken Mannes an der Macht reicht als Wahlargument nicht aus. Die Opposition muss auch andere Probleme thematisieren und über politische Programme und Prinzipien reden. Um einen populistischen Machthaber zu schlagen, kann man ideologische Differenzen eine Zeitlang beiseitelassen. Aber alle Wählerinnen und Wähler wissen, dass sie danach umso heftiger wieder aufflammen, und sind sich deshalb unsicher, was die Koalition in der Regierung dann eigentlich tun wird.

Sultangleiche Alleinherrschaft

Der Sechser-Tisch hat lobenswerterweise strukturelle Reformen skizziert, die viel dazu beitragen würden, den Rechtsstaat wiederherzustellen und das Hyper-Präsidialsystem zu beseitigen, das Erdoğan praktisch unbegrenzte Macht verliehen hat. Der türkische Oberste Rundfunk- und Fernsehrat und der Hochschulrat, das heißt genau die Art von Institutionen, die Populisten (natürlich "im Namen des Volkes") besonders gern vereinnahmen, würden wieder autonom. Und mit ihrem Versprechen, sich anstelle einer sultangleichen Alleinherrschaft wieder auf sachliche Institutionen zu verlassen, stellt die Opposition auch einen Abschied von Erdoğans hyperinflationären ("unorthodoxen") ökonomischen Strategien und erratischer Außenpolitik in Aussicht.

"Die Opposition muss den politischen Rahmen der Wahl bestimmen, anstatt nur auf die Gegenseite zu reagieren."

Allerdings ist das Versprechen eines "Institutionalismus" ziemlich abstrakt und lässt sich leicht durch einen Verweis auf die überdeutlichen Konflikte innerhalb des bunt zusammengewürfelten Oppositionsbündnisses in politischen und (besonders) personellen Fragen in Zweifel ziehen. Wenn sie gewinnen will, muss die Opposition eine unterschätzte politische Fähigkeit demonstrieren: Sie muss den politischen Rahmen der Wahl bestimmen, anstatt nur auf die Gegenseite zu reagieren. Es reicht nicht, darauf zu hoffen, dass die Korruption die herrschende Partei zu Fall bringt. Sie muss aufzeigen, was genau falsch gelaufen ist, und nicht nur in mühsam vereinbarten Strategiepapieren, sondern mit kraftvollen Symbolen skizzieren, wie eine andere Zukunft aussehen könnte.

Das jüngste Erdbeben – und das Versagen des Regimes vor und nach der Katastrophe – bietet der türkischen Opposition einen offensichtlichen Referenzpunkt für ihren Wahlkampf. Ihre größte Herausforderung besteht jedoch darin, gemeinsame Symbole für eine bessere Zukunft zu finden. (Jan-Werner Müller, Copyright: Project Syndicate, 24.3.2023)