Lana Del Rey beim Versuch, mysteriös zu wirken. Ihr Album "Did You Know That There’s a Tunnel Under Ocean Blvd" führt vor, das ist ihr nicht gegeben.

Foto: Universal Music

Es gibt da dieses Lied von Roy Orbison. Es ist eines seiner heiteren, die konnte er auch, wiewohl er am besten war, wenn sein Herz blutete. In Lana, nämlichem Lied, befindet er sich noch in der Vorstufe dazu. Er ist glücklich, ahnt aber, dass sich das bald ändern könnte: "Oh, beautiful Lana / I told my mama and my dad / What I had was the sweetest / And the neatest little girl in the world / (...) Whoa oh, Lana / Don’t make me blue / Oh, oh Lana ..."

"Don’t make me blue" – in Roy Orbisons Welt blieb das ein frommer Wunsch, die Tragik unausweichlich. Orbison passt zu Lana Del Rey. Nicht musikalisch, doch die US-Amerikanerin nährt ihr Image aus einer Welt, die aus Zutaten des alten Hollywood besteht – wie Lana Turner oder Orbisons filmreifer Schwermut. Zugleich bezieht sich der Künstlername der als Elizabeth Grant geborenen Musikerin auf ein Auto aus den 1980ern, das durchschnittlicher nicht sein könnte, den Ford Del Rey. Eine Schüssel für Familien mit Walmart-Kundenkarte.

Dergestalt als Kunstfigur platziert, bemüht sich die 37-Jährige, geheimnisvoll zu wirken. Ihr am Freitag erscheinendes Album Did You Know That There’s a Tunnel Under Ocean Blvd zeigt jedoch: Das geht sich wieder einmal nicht aus. Dabei könnte es theoretisch funktionieren. Sich niedergeschlagen ins Album schleppen, schweren Herzens – warum auch immer –, tränennass, verängstigt leiden. Auf so einem Nullpunkt könnte sie aufbauen, Sujets und die Musik variieren, beim Versuch wachsen oder wenigstens dramatisch scheitern. Nicht Del Rey.

Schabende Mückenbeinchen

Ihre Lieder sind und bleiben stillgelegt wie ihre Physiognomie, haben die lähmende Wirkung einer Botoxspritze, trenden aber seit Jahren – was das einzig wirklich Mysteriöse an ihr ist. Das gilt zugleich für den Erfolg der Taylor Swift, mit der sich Del Rey den Produzenten Jack Antonoff teilt.

Lana Del Rey

Mittlerweile ist das erste Viertel des Albums vorbei: Es dominieren mäandernde Balladen, brustschwach wispernder Gesang, der an der Oberfläche wie mit Mückenbeinchen schabt – da lässt sie sich im letzten Drittel von A&W plötzlich zu einigen Beats hinreißen, die bei manchen als Hip-Hop durchgehen würden. Wie von sich selbst überrascht nuschelt und sprechsingt sie, rappt im Rahmen ihrer Möglichkeiten. Es scheint darum zu gehen, high zu werden.

Nach so viel Ausschweifung unter Ruhepuls folgt ein Tondokument namens Judah Smith Interlude – die Aufnahme eines Predigers aus Seattle, dessen Vortrag von Klaviermusik unterlegt ist. Das Publikumsgelächter der gesampelten Aufnahme ergibt so etwas wie den heiteren Höhepunkt des Albums.

Ein Anästhesist am Klavier

Der Mittelteil des 16 Stücke umfassenden Werks erweist sich als ein tiefes Tal. Lana Del Rey pfeift zu komatösen Klaviermelodien, die Sekunden vergehen wie Stunden.

Selbst mit starkem Willen lässt sich ein Stück wie Kintsugi nicht als hübsches Kleinod schönreden. Und so geht es weiter. Selbst ein Lied mit dem bedeutungsschweren Titel des Wim-Wenders-Klassikers Paris, Texas verendet im Behauptungsmodus, bleibt Oberflächenpflege und den Beleg für jede tiefere Bedeutung einmal mehr schuldig. Da kann der Anästhesist am Klavier noch so brav nach Schablone mollen.

Lana Del Rey – ausdrucksarme Musik als Spiegel der Physiognomie.
Foto: Universal Music

Gäste wie der ebenfalls tendenziell naturschlappe Father John Misty ändern nichts am Gesamteindruck. In dem gemeinsam gesungenen Let the Light In erhöht sich zwar etwas das Tempo, aber man ahnt schon, das wird zur nächsten Erschöpfung führen – und so kommt es auch: Margaret, das folgende Lied, ist wieder stehend k. o.

LanaDelReyVEVO

An der Stelle hat man nicht nur mit sich selbst Mitleid, sondern auch mit Lana Del Rey. Fast halt. Ihr Bemühen um Tiefe, dem das Scheitern wie ein Schatten folgt, macht fast schon betroffen, ist in dieser Dosis und auf dieser Länge nur schwer zu ertragen. Auf bis zu sieben Minuten erstrecken sich ihre ereignislosen Etüden.

Roy Orbison, um zum Anfang zurückzukehren, hat in dieser Zeit drei Mini-Epen zwischen Himmel und Hölle geschrieben, Achterbahnfahrten durch gebrochene Herzen. Lana Del Rey bleibt der Markt für Einschlafhilfen aus dem Handy – da läuft ihr niemand den Rang ab. Wobei, es gibt ja noch die neue U2 ... (Karl Fluch, 24.3.2023)